Ein Dorf in der Provinz, die kokette Gutsbesitzerin Adina, der fahrende Quacksalber Dulcamara, Belcore, ein Militärsergeant, und Nemorino als „Held“, den alle für einen Trottel halten – kein Wunder, dass Regisseure sich immer wieder bemüht sehen, Donizettis L'elisir d'amore in ein anderes Ambiente zu verlegen: Von einem Badestrand bis zu einem Wellnesshotel war alles dabei; Rolando Villazon ließ die Geschichte in seiner Inszenierung im Baden-Badener Festspielhaus an einem Westernfilmset spielen mit Adina als Filmstar und Nemorino als kleiner Komparse. Diese theatralische Seite hat durchaus ihre Berechtigung, denn wenn in der letzten Szene Dulcamara und Adina ein Duett singen, dann wirkt das wie ein Schaustück in einer Oper, eine Einlage, und Belcore gibt am Anfang zu bedenken, dass alle Frauen Ritter liebten, obwohl er doch gewöhnlicher Soldat ist.

Loading image...
Long Long (Nemorino)
© Judith Gawol

Das ist die Sphäre des Theaters, und dort siedelt auch Tobias Ribitzki das Stück an der Staatsoper Hannover an. Auch bei ihm ist Nemorino ein Außenseiter in dieser Gesellschaft, hier gehört er eigentlich gar nicht dazu. Er steht stellvertretend für uns alle, er ist Opernbesucher, der gern hinter die Kulissen schaut. So lugt er während des Vorspiels hinter den Vorhang, und dort sind die Proben für ein mittelalterliches Kostümstück im Gang.

Alles in dieser Inszenierung ist letztlich Theater. Der Sänger des Dulcamara geistert immer wieder als Faktotum mit Handwerkszeug und Requisiten über die Bühne, repariert das Wort LIEBESTRANK, das über allem schwebt und aus dem das „T“ gepurzelt ist, durch ein K zu LIEBESKRANK. Belcoro kommt mit umgeschnalltem Pappmachépferd und Schwert auf die Bühne, und Adina steht als Burgfräulein auf einem Scheiterhaufen. Diesem Geschehen nähert sich Nemorino in vornehmem schwarzen Anzug mit Fliege verwundert und zunehmend fasziniert.

Auf diese Weise gelingt Ribitzki die Gratwanderung, die diese Oper für Regisseure so heikel werden lässt: Es gibt einerseits Witzfiguren wie den selbstverliebten Belcore und den seine Waren anpreisenden Dulcamara, und es gibt andererseits die echten Emotionen, denn Nemorino ist unsterblich verliebt in Adina, nicht zuletzt, weil sie sich lustig macht über die Geschichte von Tristan und Isolde und den Liebestrank, während er sie Wort für Wort ernst nimmt.

Allerdings hält Ribitzki dieses Hin und Her zwischen Theatersphäre und „echtem“ Leben nicht ganz durch. So erklärt Belcore in der zweiten Szene der Oper, die in einer Probenpause des Mittelalterstücks der Laienschauspieler hinter den Kulissen spielt, Adina seine Liebe mit übertrieben theatralischen Gesten, wo er doch in diesem Augenblick eben nicht Theater spielt, sondern echte Liebe empfindet. Doch über weite Strecken gelingt das Spiel mit Fiktion und Emotion reibungslos.

Und Ribitzki hat brillant aufgelegte Sängerdarsteller für dieses Treiben. Germán Olvera mimt einen Macho-Belcore, den man gleichwohl nicht ganz ernst nehmen kann. Long Long gelingt es, als Nemorino gehemmt und schüchtern zu agieren, zugleich aber auch überzeugt von der Wirkungskraft seines Liebestranks, als den ihm Dulcamara eine Flasche Rotwein verkauft hat. Mercedes Arcuri als Adina beherrscht die Situationen souverän, in denen sie lange Zeit erst Belcore zuneigt, um im letzten Augenblick zu Nemorino überzuschwenken. Und wie Pavel Chervinsky als Dulcamara großsprecherisch seine Waren anpreist und als Inspizient für das Funktionieren auf der Bühne sorgt, zeugt von komödiantischer Begabung. Stimmlich ist die Produktion in allen Rollen brillant. Long Long hat einen herrlich beweglichen lyrischen Tenor mit mühelosen Spitzentönen, Mercedes Arcuri vereint Koloraturengeläufigkeit mit hochdramatischen Ausbrüchen, eine Seltenheit in dieser Kombination, und Pavel Chervinskys urgewaltiger, dabei klangschöner und intonationssicherer Bassbariton ist ein Hörgenuss.

Enttäuschend dagegen ist die häufig sehr statische Figurenführung, bei der oft zur Rampe hin gesungen wird. Dulcamara preist seine Waren eher pantomimisch an und läuft nur hin und her. Vor allem geschieht zwischen den Figuren sehr wenig. Das mag Folge der herrschenden Umstände sein, denn die Inszenierung von 2017 wurde coronabedingt überarbeitet. Es ist aber in der jetzt präsentierten Form ein szenisches Manko.

Gravierende Auswirkungen hatte Corona auf die Besetzung. Das Orchester wurde auf dreißig Musiker reduziert, was dem Klang aber keinerlei Abbruch tat, vielmehr gelang Dirigent James Hendry eine sehr transparente Realisierung des Orchesterklangs. Der Chor war auf fünf Sänger reduziert, und doch spürte man in den Ensembleszenen keinerlei Verlust, und Hendry hielt eine fulminante Lautstärkebalance zwischen Orchester und Gesang.

So entstand eine amüsante Mischung aus verspielter Theaterästhetik und ernster Empfindung, die fast durchweg mit stringenter Logik durchgehalten wurde bis zum Schluss, an dem das Fragezeichen nach dem Wort LIEBE, das von LIEBESTRANK übriggeblieben war, auch noch purzelt. Bestehen bleibt: Liebe.


Die Vorstellung wurde vom Stream der Staatsoper Hannover rezensiert.

****1