Manchmal wünsche er sich, Offenbach käme und würde sich ansehen, was er da auf die Bühne bringe, bemerkt Regisseur Andreas Homoki, und vielleicht steckt hinter diesem utopischen Wunsch auch die Hoffnung, Offenbach würde ihm offenbaren, wie er sich diese Oper vorgestellt habe, denn kaum ein anderes Bühnenkunstwerk stellt Regisseure vor derart große Probleme. Der sogenannte Venedig-Akt ist nicht voll durchgestaltet, das Finale, das eigentlich wesentliche Fragen zu lösen hätte, ist nur äußerst fragmentarisch überliefert – Offenbach starb während der Arbeit an seinem Meisterwerk. Selbst die Reihenfolge der drei Mittelakte, die die eigentliche Handlung enthalten, ist nicht richtig festgelegt.

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Les Contes d'Hoffmann
© Monika Rittershaus

Homoki entschied sich für seine Neuinszenierung an der Oper Zürich für die von Fritz Oeser in seiner quellenkritischen Ausgabe von 1977 vorgeschlagenen Lösung: Meist folgt dem Olympia-Akt, in dem Hoffmann sich in eine raffiniert konstruierte Puppe verliebt, der Akt um die Kurtisane Giulietta in Venedig, in dem Hoffmann fliehen muss, weil einen Konkurrenten aus Eifersucht im Zweikampf getötet hat. Dass danach der Akt folgen soll, in dem es um die reine Kunst geht, verkörpert durch Antonia, die durch den unbändigen Wunsch, gegen alle gesundheitliche Vernunft doch zu singen, ums Leben kommt, wirkt unplausibel, und so hat sich Homoki sehr zu Recht dafür entschieden, die drei Szenen aus dem Leben Hoffmanns mit dem Venedig-Akt zu beschließen, was auch die völlige Vernichtung dieses Dichters erklärt, der sich nur noch dem Suff ergibt.

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Katrina Galka (Olympia) und Saimir Pirgu (Hoffmann)
© Monika Rittershaus

Psychologisch stringent ist auch Homokis Gesamtkonzept. In vielen Inszenierungen sind die drei Mittelakte unabhängige, meist opulent gestaltete Tableaus über drei Liebesepisoden der Titelfigur. Homoki nimmt den Titel der Oper ernst. Hier bitten die Studenten in Luthers Weinkeller zu Beginn den halb bewusstlosen Dichter, aus seinem Leben zu erzählen, derweil die von ihm derzeitig allerdings noch unerhört angebetete Sängerin Stella in der Oper singt, und so tauchen die Studenten denn während der folgenden Episoden immer wieder wie Zuschauer am Rande des Geschehens auf, als lauschten sie dem, was Hoffmann ihnen da erzählt.

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Ekaterina Bakanova (Antonia)
© Monika Rittershaus

Auch das Bühnenbild folgt diesem Konzept kongenial. Wolfgang Gussmann lässt alle drei Episoden auf einer trapezförmigen Fläche spielen, die sich leicht über dem Boden erhebt und aus weiß-grauen Kacheln besteht, die wie die verwirrenden Welten auf den Zeichnungen von M.C. Escher wirken. Auf diese Weise hat die Sphäre der drei Episoden etwas Unwirkliches. Dazu genügen wenige Requisiten – ein Lüster für die Kurtisane Giulietta, ein Sofa für die Puppe Olympia, ein Flügel für die Sängerin Antonia. Hoffmann bewegt sich dabei mal auf der Fläche, ist also handelnde Figur, mal außerhalb, ist also der Erzähler.

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Saimir Pirgu (Hoffmann) und Alexandra Kadurina (Nicklausse)
© Monika Rittershaus

Ähnlich raffiniert ist der Bösewicht Lindorf, Hoffmanns Gegenspieler, inszeniert, der in allen drei Episoden mit unterschiedlichen Namen auftaucht. Hier ist er ein Zauberer, der mit seinem Spazierstock die Welt nach seinem Gutdünken lenkt. Auf diese Weise gelingt es Homoki, eine Oper, die meist in disparate Einzelszenen zerfällt, zu einem geschlossenen Ganzen zusammenzufügen, hier ist alles aus einem Guss.

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Lauren Fagan (Giuletta) und Saimir Pirgu (Hoffmann)
© Monika Rittershaus

Allerdings begnügt er sich in der Inszenierung der drei Hauptakte, die Handlung zwar wirkungsvoll in Szene zu setzen, in Kostümen, die in etwa der Zeit von E.T.A. Hoffmann entsprechen; Versuche, die drei Frauenfiguren symbolisch zu deuten und zu differenzieren – die wahre Künstlerin, die künstliche Figur, die der reinen Lust frönende Kurtisane – fehlen weitgehend. Dafür hat er allerdings drei Sängerinnen ausgewählt, die die unterschiedlichen Charaktere brillant gestalten: Ekaterina Bakanovas Antonia ist herrlich lyrisch, mit weit ausströmenden Soprankantilenen, die gleichwohl in den Verzweiflungsphasen durchaus hochdramatisch werden kann. Lauren Fagan sang die Giulietta kapriziös, auch keck, herausfordernd, wie es der Figur entspricht, und Katrina Galka gelang eine herrlich komische Puppe Olympia mit virtuosen Koloraturen und brillanten Spitzentönen. Alexandra Kadurina als Muse bzw. in Verkleidung Hoffmanns Begleiter Nicklausse ist zurückhaltend, aber sehr präsent, wie es einer Begleitfigur entspricht. Die Stimme von Saimir Pirgu ist in den letzten Jahren hörbar gereift. Früher wäre er zu den heroischen hochdramatischen Ausbrüchen stimmlich nicht in der Lage gewesen, jetzt ist er eine Idealbesetzung für diese komplexe Rolle. Sie alle wurden souverän von Dirigent Antonino Fogliani begleitet, was umso bemerkenswerter ist, als Chor und Orchester aus einem anderen Gebäude über Lautsprecher in die Oper übertragen wurden.

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Andrew Foster-Williams (Dapertutto)
© Monika Rittershaus

Warum freilich Regisseur Homoki die Studenten in der Eingangsszene hölzern agieren lässt, als wäre die Inszenierung eine unfreiwillige Selbstparodie, bleibt unerfindlich. Und auch sein Schluss ist heikel. Bei Offenbach, so steht zu vermuten, sollte das Böse siegen, also Hoffmanns Gegenspieler Lindorf, der vermutlich die Sängerin Stella für sich gewinnen wird. Bei Homoki zerbricht die Muse Lindorfs Zauberstab und Stella, die bei Homoki sogar ein Lied singen darf, reicht Hoffmann ihre Hand und entschwindet mit ihm. Ein Happy End, und das bei einem Komponisten, der das glückliche Ende selbst in seinen oft Operetten verweigert?


Die Vorstellung wurde vom Livestream der Oper Zürich inszeniert.

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