Zweimal „NORMA“, einmal „SIEGFRIED“ – drei Abende am Teatro Real in Madrid

Palacio Real Madrid/Foto @ Josef Fromholzer

In Madrid ist alles offen, und das schon seit Juni 2020. Einen zweiten Lockdown hat es hier, in dieser autonomen Region, nicht gegeben. Das wäre eine eigene  Geschichte. Auch die Theater, Opernhäuser und Konzertsäle sind geöffnet. Langsam kommt dieses Signal  in Deutschland und Österreich an. Vor ein paar Tagen hatte die SZ auf einer halben Seite über das Madrider Opernhaus berichtet, der ORF war auch schon da und die Klage, die österreichische Künstler (initiiert vom Pianisten und Festival-Leiter Florian Krumpöck,  und unterstützt von Günther Groissböck, Angelika Kirchschlager, Nina Proll oder Nikolaus Ofczarek) gegen den Kulturlockdown in Österreich einreichen wollen, bezieht sich explizit auf das geöffnete Teatro Real in Madrid. (Besuchte Vorstellungen: 09. + 10. + 11.03.2021)

 

Hier wird gespielt vor 1000 Besuchern, Abend für Abend. Als ich das Teatro Real am 09. März  zu meiner ersten NORMA Vorstellung betrete,  und durch die Kontrollschleusen (Fiebermessen !) gehe, kann ich  gar nicht glauben, es tatsächlich hierher geschafft zu haben. Von Deutschland aus gesehen: eine andere Welt. Die Restaurant-Terrassen  im Umfeld des Opernhauses sind voll. Frühling in Madrid.

Es gibt zeitliche Empfehlungen für die Besucher der unterschiedlichen Ränge – mein Platz befindet sich  im 4. Rang, also ganz oben. Die Zuschauer dort werden gebeten 45 Minuten vorher da zu sein. Es ist eine Bitte, wer später erst ins Haus kommt, wird natürlich ebenso eingelassen. In der Pause darf man den Rang nicht verlassen, Abgänge und Aufgänge sind abgesperrt.  Programmbücher werden verschenkt, so kommt es zu keinen endlosen Zahlvorgängen in den Gängen und Foyers. Man muss Masken tragen, aber es reichen ganz einfache Modelle oder irgendwelche Stoffmasken.

Teatro Real Madrid/Foto @ Josef Fromholzer

NORMA! Ausgerechnet Norma, nach dieser langen Zeit des Opernentzugs. Bellinis Norma mit den großen, lauten  Chorszenen. Hier traut man sich. Am Liceu in Barcelona wurde der für Mai geplante Tannhäuser wegen der Chorszenen abgesagt. Das ist das spanische Corona-Gefälle: in Katalonien zumindest so etwas wie ein Lockdown in den Wintermonaten und vieles geschlossen – und Madrid geöffnet seit letztem Sommer. Spricht man Einheimische auf die Katalanen an, dann bekommt man Böses zu hören. Ja, die dürfen sich gerne selbst ruinieren……… . Gespielt wurde aber trotzdem meistens, am Liceu. Künstler, die an spanischen Opernhäusern engagiert sind, können sich glücklich schätzen.

Norma wird geleitet vom italienischen Dirigenten Marco Armiliato. Dessen Spielfreude ist auch vom 4. Rang aus gut zu sehen: tänzelnd und lächelnd dirigiert er, applaudiert den Sängern und lacht ihnen zu. Norma wird in zwei Besetzungen gegeben, wobei beide  gleichwertig sind; es gibt  (wie oft an anderen Häusern) beim Ticketverkauf keine Unterschiede in den Preiskategorien zwischen den beiden Besetzungen.

Norma/Madrid/John Osborn und Hibla Gerzmava/Foto @ Josef Fromholzer

Ich kann allerdings meine persönliche Vorliebe für den Tenor John Osborn nicht verbergen, der sicherlich einer der besten Pollione-Sänger der Gegenwart ist. Osborn hat  an der Seite von Cecilia Bartoli in Salzburg den Pollione gesungen. Michael Spyers (der andere Pollione – ich vermeide die Worte der erste oder zweite Pollione) fehlt etwas die kraftvolle Leichtigkeit von Osborn. Osborn steht  teilweise an der Rampe, die Arien ins Publikum schmetternd. Rampensingen bei Norma – warum nicht ?! Die Inszenierung des Regisseurs Justin Way spielt keine große Rolle. Eine liebevoll, altmodische Inszenierung, die der Musik den Vortritt lässt. Bellinis Musik steht immer im Vordergrund. Wenn ein Regisseur das akzeptiert, ist das heute sehr viel. Auch die beiden Normas, Yolanda Auyanet und Hibla Gerzmava,  begeistern das Publikum. Es ist eine dankbare Begeisterung, die Madrilenen wissen, dass anderswo nicht gespielt wird. Schon gar keine Norma. Die Vorstellungen enden jeweils kurz vor 22.30 Uhr. Um 23 Uhr beginnt die Ausgangssperre. Daher fällt der Applaus  kürzer aus, was aber nicht am Publikum liegt, sondern am Herunterlassen des Vorhangs durch das Theater. Sofort geht das Saallicht an. Eilig haben es aber nur wenige Besucher. Ich schon gar nicht, mein Hotel liegt direkt neben dem Teatro Real. Keine 50 Meter.  

SIEGFRIED beginnt bereits um 17.30 Uhr. Die schon sehr kraftvolle spanische Sonne wärmt die Plaza de Oriente vor dem Real. Transporter des spanischen Fernsehens stehen vor dem Opernhaus. Die heutige Vorstellung wird aufgezeichnet. Die Inszenierung von Robert Carsen hatte schon vor langer Zeit Premiere am Opernhaus Köln, ist zeitlos. Die fast zwanzig Jahre sieht man ihr nicht an. Geometrie, Licht, karge Raumgestaltung und am Ende eine leere Bühne, die den notwenigen Freiraum für Siegfried (Andreas Schager) und Brünnhilde (Ricarda Merbeth) läßt. Zweifellos der musikalische Höhepunkt des Abends, dieser 3. Akt Siegfried. Überhaupt gibt es bei Siegfried in Madrid eine neue musikalische Erfahrung : durch größere Abstände im Orchestergraben hatte nicht mehr das gesamte Orchester darin Platz. Teile der Bläser sind  in die gesamten Parkettlogen des Hauses ausgelagert, was zu einer neuen Dimension an Raumklang und Lautstärke führt. Die Musik steigt potenziert nach oben. Das ist meine subjektive Empfindung vom Seitenblock des 4. Rangs aus. Die ausgelagerten Musiker sitzen direkt unter mir – drei Etagen tiefer.

Teatro Real/Innenraum v. 4. Rang aus/Foto @ Josef Fromholzer

Und trotzdem sind hier oben seitlich (direkt unter dem Dach des Hauses), die strahlenden Stimmen von Ricarda Merbeth und Andreas Schager in aller Deutlichkeit zu hören. Textverständlich. Dieses Duett, Brünnhilde – Siegfried,  klingt lange nach beim Verlassen des Opernhauses . Die Corona-bedingte Madrider Umgestaltung des Orchesters ist eine außerordentlich gute Idee, im Vergleich zu derjenigen am Züricher Opernhaus; dort wurde bis zur Schließung im Dezember das gesamte Orchester in einem andern Raum untergebracht und lediglich durch Lautsprecher in den Opernsaal übertragen. Jedoch auch dies noch besser als die Schließung eines Hauses.  Ganz deutlich wird hier klar: kein Live-Streaming  vor leerem Saal kann den persönlichen Besuch in  Oper und Theater ersetzen, ganz egal wie gut es gemacht ist.

Ich hoffe, dass  die deutschen und österreichischen  Theater und Opernhäuser bald auf den spanischen Weg finden bzw. zurückfinden —  und damit meine nicht ein paar Alibi-Veranstaltungen für ein regionales getestetes Publikum. Es geht doch auch anders. Die Zahlen in ganz Spanien gehen  zurück. Heute, 15.03.21, wurde die deutsche Reisewarnung für weite Teile Spaniens aufgehoben. 

 

  • Rezension von Josef Fromholzer für Redaktion DAS OPERNMAGAZIN
  • Teatro Real Madrid
  • Titelfoto: Teatro Real Madrid/Foto @ Josef Fromholzer 
  • alle weiteren Fotos @ Josef Fromholzer

 

 

Teile diesen Beitrag:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert