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Leonie Euler (Puppenspiel), Sarah Aristidou (Pinocchio) und Emilia Giertler (Puppenspiel). Foto: Gianmarco Bresadola
Leonie Euler (Puppenspiel), Sarah Aristidou (Pinocchio) und Emilia Giertler (Puppenspiel). Foto: Gianmarco Bresadola
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Circensisches Sammelsurium – „Pinocchios Abenteuer“ von Lucia Ronchetti an der Berliner Staatsoper

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Nach den Live-Streamings „Lohengrin“ und „Jenufa“ von der Staatsoper Unter den Linden gab es nun endlich auch eine Opernpremiere für die jungen Besucher ab 6 Jahren. Am Sonntag, dem 28. Februar um 11 Uhr war Lucia Ronchettis 2017 in Rouen uraufgeführte instrumentale Komödie „Pinocchios Abenteuer“ erstmals in deutscher Sprache zu erleben.

In bewährter Weise diente dabei der Alte Orchesterprobensaal als kleine Spielstätte des derzeit zuschauerlosen Schlachtschiffs Staatsoper Unter den Linden. In der Ausstattung von Friederike Lettow (Bühne) und Miriam Schubach (Kostüme) wird die Handlung neben, vor und auf den Stufen zu einem kleinen Podest gespielt.

Der Clou der sich eng an den Kinderbuch-Klassiker von Carlo Collodi aus dem Jahre 1883 anlehnenden Oper ist die Reduzierung auf nur eine Sopranistin, die das hölzerne Bengele wie auch die Fee mit den blauen Haaren singt und obendrein die Bewegungen der von Leonie Euler und Emilia Giertler geführten hölzernen Puppe doubliert. Nicht nur die beiden Puppenspielerinnen, auch die fünf solistischen Musiker*innen der Staatskapelle Berlin leihen dem in 60 Minuten rasant abgespulten Episoden-Reigen ihre Stimmen, – als Ansagerin oder chorisch („Geld oder Leben?“) und skandierend („Willst du mit uns kommen? – Ins Spielzeugland!“).

Die Violoncellistin Isa von Wedemeyer trippelt, nachdem sie ihrem Instrument Flageoletttöne entlockt hat, zurück an ihren Platz. Der Kontrabassist Kaspar Loyal verkörpert in rascher Abfolge von instrumentaler und körpersprachlicher Ausdeutung „Feuerschlucker“ und „Ritter“ und spielt dann als „Kommandant“ geschmeichelt unterhalb seines Steges. Zumeist jedoch scheint es der Komponistin darum zu gehen, das junge Publikum nicht zu verschrecken, die grotesk-grausamen Momente der Geschichte lieber unvertont verbal in den Raum zu stellen und anschließend wohlklingend, mit Röhrenglocken und Streicherkantilenen, die Opernbesucher*innen für sich zu gewinnen.

Wie schon so oft an dieser Spielstätte, die für die neue Ära nach der Wiedereröffnung der Staatsoper ebenfalls mit einer Oper von Ronchetti („Rivale“) eingeweiht worden war, brilliert in der Titelrolle singend, gestaltend, in Ausdruck und Mimik gleichermaßen überzeugend die Sopranistin Sarah Aristidou.

Horn (Merav Goldman), Schlagwerk (Martin Barth) und die drei Streichinstrumente (mit Henny-Maria Rathmann an der Violine) entfesseln dabei ein Sammelsurium zwischen Geräuschebene und zitathaften Allusionen, zwischen archaisierend barocker Kadenz und Strawinskys Ragtime aus der „L‘ Histoire du Soldat“. Wenn am Anfang von den Puppenspielerinnen auf einer Hobelbank gearbeitet wird, hobeln auch die Streicher, wenn die Puppe mit Eselsohren auf einem gespannten Gummiband seiltanzt, ertönt eine Paraphrase der Zirkuspolka. Dass dieses glissandi-verliebte musikalisch Sammelsurium mit allerhand Anleihen aus der Musikgeschichte zu einer vielfältig circensisch schimmernden Einheit gerät, ist dem in der Übertragung unsichtbaren Dirigenten Adrian Heger zu danken.

Die von Regisseurin Swaantje Lena Kleff gewählte Bildwelt überzeugt nicht immer – am wenigsten wohl für den verschlingenden Wal, aus dessen Maul sich Pinocchio, gemeinsam mit seinem Schöpfer-Vater, durch einen Sprung befreit, wonach Dunkelheit herrscht und auch die musikalische Versinnlichung nicht mehr als eine Meeresrauschen-Einspielung anzubieten hat. Zauberhaft dagegen die beiden räuberischen Puppentiere Fuchs und Katze (Puppenbau: Ida Herrmann).

Im Nachspann der Premieren-Übertragung der in der Bildregie von Magdalena Zieba-Schwind mit drei Kameras gut eingefangenen Aufführung erfährt der Zuschauer dann, dass es sich dabei um keine sonntagvormittägliche Live-Leistung handelte, sondern um eine von Imke Koseck perfekt geschnittene Aufzeichnung vom 30. Januar dieses Jahres. Die ist nun für einen Monat kostenlos abrufbar.

Zwar vermag die digitale Vorstellung, die von Berliner und Brandenburger Grundschulen bis Ende dieses Schuljahres genutzt werden kann, in keiner Weise das Erlebnis eines Theaterbesuchs zu ersetzen, doch – nach der unabdingbar erforderlichen Vorkenntnis des Buches – dürfte die musikalisch-szenische Umsetzung eine klangvolle Bereicherung des Unterrichts und Homeschoolings darstellen.

 

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