Neuproduktion der "Salome" in der Mailänder Scala

In Liebe zu einem Geköpften

Ein junges Mädchen in lilafarbenem Kleid sitzt verängstigt auf einem Bett und wird von einer älteren Dame bestärkt, während ein toter Mann und eine Schar schwarzer Engel vor und um ihrem Bett herum liegen und knieen.
Eine Szene aus der Inszenierung von Richard Strauss' Oper "Salome" am Teatro alla Scala di Milano vom Februar 2021 © Teatro alla Scala / Brescia e Amisano
Moderation: Volker Michael · 27.02.2021
Keinen Aufwand scheute das Teatro alla Scala di Milano: ohne Publikum wurde "Salome" von Richard Strauss szenisch produziert - die Geschichte um die gekränkte Salome - mit hervorragendem Cast und großbesetzten Orchester unter seinem Direktor Riccardo Chailly.
Sie ist eine der meist gespielten Opern, nicht nur am Teatro alla Scala di Milano – die "Salome" von Richard Strauss. Ganz aktuell hat das Mailänder Operntheater das Werk in einer neuen Produktion ohne Publikum aufgeführt und übertragen in Italien - nun auch in unserem Programm über Euroradio.
Eine Frau streckt die Hände auf einer Bühne zu einem übergroßen Medaillon aus, das von einem goldenen Heiligenschein umstrahlt ist, im Hintergrund weilt ein scharzer Engel.
Eine Szene aus der Inszenierung von Richard Strauss' Oper "Salome" am Teatro alla Scala di Milano vom Februar 2021© Teatro alla Scala / Brescia e Amisano
Es ist eine kompakte, dichte und für Strauss' Verhältnisse schnelle und moderne Oper, diese Geschichte um Johannes den Täufer, seine Gefangenschaft am Hofe des verkommenen Herrscherpaares Herodes und Herodias und den Liebeswahn der Herodias-Tochter Salome. Allerdings ist diese Oper kein biblisches Oratorium, sondern eine typische Erzählung im Stile der vorletzten Jahrhundertwende.
Es geht weniger um Gott und den Glauben, sondern um den einzelnen Menschen, die Liebe, die Macht, die Schönheit und die jeweiligen abgründigen Kehrseiten der Emotionen und Werte.
Eine Frau in lilafarbenem Kleid wird von mehreren Männern empor gehoben, während sie die Arme zur Seite streckt.
Eine Szene aus der Inszenierung von Richard Strauss' Oper "Salome" am Teatro alla Scala di Milano vom Februar 2021© Teatro alla Scala / Brescia e Amisano
Ein Theaterstück von Oskar Wilde ist die Vorlage, das Libretto hat die deutsche Dichterin Hedwig Lachmann geschrieben. Das ist eine exakte, bezwingend klare und starke Vorlage, die Richard Strauss konsequent vertont hat. Das Werk hat vier Szenen mit gut eineinhalb Stunden Musik und wird ohne Pause gespielt.

Vom Stück zum Libretto

Schon die Wege des Theaterstücks Salome sind verschlungen. Oscar Wilde schrieb es auf Französisch im Geschmack der Zeit. Kurz danach hat es sein engster Freund in eine Art Shakespeare-Englisch übersetzt. Auf der englischen Fassung beruht wohl das deutsche Libretto der Dichterin Hedwig Lachmann.
Doch Strauss ging davon aus, dass die deutsche Version sehr nah am französischen Original gewesen sei. Hedwig Lachmann, die Tochter eines jüdischen Kantors aus Slupsk in Pommern, hat wohl die Figur des Jochanaan, Johannes des Täufers reiner und christlicher gemacht, als ihn der bisexuelle Katholik Oscar Wilde angelegt hat.
Eine Frau liegt in einem Lichtkegel auf dem Boden, der mit schwarzer Erde bedeckt ist, zudem fallen rote Bänder wie Blut auf sie herab.
Eine Szene aus der Inszenierung von Richard Strauss' Oper "Salome" am Teatro alla Scala di Milano vom Februar 2021© Teatro alla Scala / Brescia e Amisano
Soweit die Fragen der Identität, die im Hintergrund immer eine Rolle spielen. Solchen Themen gegenüber war Richard Strauss bestimmt verschlossen, ihn interessierte nur das Theatralische. Der Komponist äußerte sich gegenüber dem Kollegen Franz Schreker über das Personaltableau in der Salome folgendermaßen:
"Wenn Sie die Figuren dieses Stücks betrachten, so sind es eigentlich lauter perverse Leute. Und nach meinem Geschmack, der perverseste der ganzen Gesellschaft ist – der Jochanaan. Wenn ich das so komponiert hätte, wie es vom Dichter wahrscheinlich gedacht war, wo hätte ich als Musiker die Kontraste hergenommen, die ich brauche? So habe ich eben Salome in eine menschliche Gefühlssphäre gehoben und Jochanaan auf das Religiöse, Erhabene hin komponiert."

Perverser unter Perversen

Die gesamte Oper spielt im und vor dem Palast des Herodes. Aus der Ferne, aus dem Verlies hören wir Jochanaan. Er ruft beinahe mechanisch immer wieder Prophezeiungen und Verdammungen nach oben, meistens ungefragt. Herodes gibt gern Festgelage. Ein solches findet auch in der ersten Szene statt. Der Wachsoldat Narraboth beobachtet von außen Salome in Zuneigung, wird aber vom Pagen der Prinzessin gewarnt, dass man Salome nicht ansehen solle. Salome flieht vor den Zudringlichkeiten ihres Stiefvaters und seiner Gäste. Sie spricht mit Narraboth, der ihr erklärt, wer da immer aus der Tiefe Verwünschungen ruft.

Verwünschungen aus der Gruft

Jochanaan ist als harter Kritiker der moralischen Verderbtheit des Königshauses bekannt. Salome findet den Gefangenen, der als Heiliger gilt, einfach nur interessant. Sie möchte ihn kennen lernen. Sie bezirzt den Soldaten Narraboth, Jochanaan aus dem Verlies zu holen. Die dritte Szene bringt einen seltsamen Dialog zwischen dem Eiferer Jochanaan und der Prinzessin, die zunehmend in Liebe entbrennt für den dünnen Gefangenen.
Der Soldat Narraboth ersticht sich aus Eifersucht, als er Salomes Liebesbeteuerungen für den Heiligen hört. Der weist alle Avancen der Salome zurück mit dem Hinweis, sie solle nicht ihn lieben sondern des Menschen Sohn suchen, also denjenigen, den er einst getauft hat. Gemeint ist Jesus. Jochanaan kehrt freiwillig in sein Verlies zurück.

Auf der Blutlache ausgerutscht

Auf dem Blut des Selbstmörders rutscht Herodes beinahe aus, als er mit seiner Festgesellschaft auf die Terrasse kommt. Das Blut und das Rauschen des Todesengels, das allerdings nur Herodes und Jochanaan spüren können, sind Vorboten des kommenden Unheils. Herodes will Salome für sich gewinnen und aufmuntern, in dem er ihr Obst, Wein und den Thron der Königin anbietet.
Es entsteht mit einigen Juden und Nazarenern ideologischer Streit darüber, ob Jochanaan ein Heiliger sein könne. Herodes respektiert Jochanaan, Herodias will ihn gern loswerden. Seine ständigen moralischen Vorwürfe kann sie nicht mehr ertragen. Nach langem Hin und Her tanzt Salome für ihren Stiefvater, allerdings nur unter der beeideten Bedingung, dass sie einen Wunsch frei hat.

Tanz vor dem wollüstigen Stiefvater

Der instrumentale Tanz der Sieben Schleier ist ein gut bekanntes Detail der Oper. Eher widerwillig ergibt sich Salome dem Voyeurismus ihres Stiefvaters, getröstet von der Aussicht, dass ihr sehnlicher Wunsch in Erfüllung gehen möge. Der Kopf des Jochanaan, serviert auf einem Silbertablett. Herodes lässt einen Redeschwall ab, in dem er versucht, Salome einen anderen sehnlichen Wunsch einzureden.
Modern sind das Stück und die Oper auch darin, dass hier viel geredet, aber wenig gesagt wird, dass wenig emotionale bis gar keine Kommunikation zwischen den Menschen stattfindet.

Abstoßender Kuss

Herodias unterstützt ihre Tochter weiterhin in ihrem Wunsch und beschleunigt die Exekution des Heiligen durch eigenes Handeln. Lang und verhältnismäßig unaufgeregt ist die Vereinigung der Salome mit dem Kopf des Geliebten. Schließlich küsst sie ihn und findet darin wahnsinnige Erfüllung. Herodes befiehlt ihren Tod, die Soldaten begraben Salome unter ihren Schilden, so wie es Jochanaan vorhergesagt hat.
Die Darsteller in dieser Mailädner Produktion sind als Salome Elena Stikhina, als Jochanaan Wolfgang Koch, Herodes ist Gerhard Siegel und Herodias Linda Watson, es spielt das La Scala Orchester, die Gesamtleitung liegt in den Händen von Riccardo Chailly.
Aufzeichnung vom 20. Februar 2021 im Teatro alla Scala, Mailand
Richard Strauss
"Salome"
Oper in einem Akt
Libretto: Oscar Wilde, Hedwig Lachmann

Salome - Elena Stikhina, Sopran
Jochanaan - Wolfgang Koch, Bassbariton
Herodes - Gerhard Siegel, Tenor
Herodias - Linda Watson, Sopran
Narraboth - Attilio Glaser, Tenor
Page der Herodias - Lioba Braun, Alt

La Scala Orchester
Leitung: Riccardo Chailly

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