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Bayerische Staatsoper: Webers „Freischütz“ als Wutprobe im Dax-Bau

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Pavel Černoch als Max und Kyle Ketelsen als Kaspar
Männlichkeitsrituale, die zum Amoklauf führen: Max (Pavel Černoch, li.) lässt sich von Kaspar (Kyle Ketelsen) zum Schuss provozieren. © Wilfried Hösl

Als Konzept einleuchtend, in der Durchführung mit Mängeln: Regisseur Dmitri Tcherniakov stützt sich bei Webers „Freischütz“ auf ein grandioses Ensemble.

Es fängt an so mit fünf, sechs. Mit Baumklettern, immer höher, mit Springen, immer tiefer und waghalsiger. Und wer später ein echter Kerl sein will, rast nachts mit dem Rivalen über die Leopoldstraße oder landet in diesem Dax-Konzern mit dem ultimativen Männlichkeitsritual: Wir saufen Hacker-Pschorr und schießen aus der Chefetage auf Passanten. Das blutige Opfer auf dem Pflaster ist keines, alles Fake und böser Witz. Macht doch nichts, oder? Mit Max schon: Am Ende ist die Psyche zermürbt, und die Ampel steht auf Amok. Das Böse, so sagt (auch) dieser „Freischütz“, nistet gern im Nervenwald des eigenen Hirns – man muss es nur wachkitzeln.

Wo sich kein Mensch mehr vor Deutschlands Tann gruselt, liegt Regisseur Dmitri Tcherniakov also genau richtig. An der Bayerischen Staatsoper, die mit dieser Geister-Premiere schon wieder nur auf einen Internet-Stream angewiesen ist, zeigt er Aufstieg und Fall des Möchtegern-Firmenerben als Psychogramm eines Losers. Kalt, nüchtern, Ungereimtes inklusive. Als Setting und Konzept funktioniert das bestens: der labile Max, der kernige Konkurrent Kaspar im Wettkampf um die schöne Agathe, ihr Papa und Firmenboss Kuno sowie Ännchen, die sich nur als Mrs. Maskulin in der Männerwelt behauptet und in lesbischer Liebe zu Agathe entflammt ist. Tcherniakov hat dazu selbst die Bühne entworfen, ein kahler Einheitsraum, dessen geschwungene Lamellen-Rückwand ab und zu den Blick auf benachbarte Bürotürme freigibt.

Das Stück hat mehr Aspekte, als die Regie suggeriert

Dass alles auf eine Katastrophe zusteuert, ist bald klar – der Schluss sei trotzdem nicht verraten. Dass Tcherniakov allerdings auch zu Einfällen wie der Vorstellung des Personals per Video-Steckbrief greift, ist verräterisch. Statt Entwicklungen zu zeigen und wirklich plausibel zu machen, müssen Textstrecken her, von WhatsApp-Gesprächen bis zu inneren Monologen in Form von Übertiteln für Begriffsstutzige („Scheiße, was für eine Sackgasse“).

So sehr sich Tcherniakov für den armen Buchhalter Max interessiert, entgeht ihm doch einiges. Carl Maria von Webers Hit, der heuer 200. Geburtstag feiert, arbeitet nämlich mit mehr Fallhöhen und Konfrontationsebenen, als die Regie suggeriert. Kunos Welt, die im Stück einen gerade überstandenen Krieg feiert, ist eigentlich positiver, zukunftsgewandter, hoffnungsfroher. Umso verheerender ist folglich der Einbruch des Bösen. Auch die Rolle der Religion und ihrer dogmatischen (Folter-)Werkzeuge bis zur Behauptung des Teufels wird weitgehend ausgeblendet. Trotz eindrücklicher Momente schiebt Tcherniakov das Werk gleichsam zusammen und verengt es auf einen monochromen Psychothriller.

Golda Schultz als ideale Agathe

Vieles funktioniert trotzdem. Und das liegt zum Gutteil an der Präsenz eines erlesenen Ensembles, in das sich eine (manchmal auch irrende) Kamera gern verliebt. Die Besetzung der beiden Männer-Hauptrollen ist fast immer ein Kompromiss, hier nicht. Pavel Černoch findet für den Max den passenden, nie weinerlichen Verzweiflungssound, bewältigt auch heikle Lagen mit schlanker, stets heldisch gefärbter Tongebung: ein Empfindsamer, der auch vokal zum Angstbeißer werden kann.

Kyle Ketelsen beweist, dass Kaspar keine Brüllpartie mit vokaler Dauergrimasse sein muss. Eine Stimme mit hohem Schwarzanteil ist das und mit beeindruckendem Umfang, der ohne Forcieren hergestellt wird. Dämonie kann auch aus Ruhe entstehen, wie Ketelsen vorführt – selbst wenn sein Kaspar als schizophrener Antiheld eine Oktave tiefer die Samiel-Worte spricht.

Einen Fremdkörper im besten Sinne bildet Golda Schultz. Und man weiß nicht, was man an ihrer Agathe mehr loben muss: die fast perfekte Ton- und Atemkontrolle in ihren beiden, gefährlich lyrischen Arien, wo die Stimme so nackt und bloß liegt. Oder die unverspannte Tiefe, die weiche Rundung in der Höhe. Oder das so kluge Textbewusstsein. Und doch ist ihre Agathe nicht im Dauerbarm-Modus: Da wäre auch, bei entsprechendem Gentleman-Gebaren, eine Liaison mit Kaspar drin.

Dirigent Antonello Manacorda ohne Romantik-Klischees

Anna Prohaska gibt Regie-gemäß nicht das neckische Ännchen, sondern die Businesslady, der leicht künstelnde Gesang ist wohl Teil der Interpretation. Manche Sprechstrecken driften bei dieser Solistenriege ins Bemühte, ein sprachmächtiger Regisseur – und das ist keine Deutschtümelei – hätte da für Glaubhafteres gesorgt.

Weitab vom Klischee bewegt sich Antonello Manacorda mit dem Bayerischen Staatsorchester. Wenn man mal akzeptiert hat, dass er nicht ständig mit dem Turbo unterwegs ist, gibt es viel zu entdecken. Vor allem aufregende Klangmixturen im Kleinen wie am Beginn der Wolfsschlucht, alles ganz ohne Überdruck hervorgeholt. Wer bei dieser Partiturbefragung zuhört, begreift das Schnittstellen-Wesen von Webers Partitur zwischen Volkstum, Spieloper und heraufdämmerndem Musikdrama. Manacordas „Freischütz“-Wald ist kein Gestrüpp, sondern ein sorgsam gelichtetes Biotop mit all seinen Farbspielen. Wer weiß, wie das alles noch live im Nationaltheater geklungen hätte.

Aufzeichnung
für 30 Tage als Gratis-Video ab 15. Februrar, 19 Uhr, unter staatsoper.tv.

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