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Klassik „Lohengrin“ in Berlin

Regietheater rückwärts

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Staatsoper Berlin LOHENGRIN ROMANTISCHE OPER IN DREI AUFZÜGEN (1850) MUSIK UND TEXT VON Richard Wagner Staatsoper Berlin LOHENGRIN ROMANTISCHE OPER IN DREI AUFZÜGEN (1850) MUSIK UND TEXT VON Richard Wagner
Sofaoper: Calixto Bieitos "Lohengrin"
Quelle: Monika Ritterhaus
An der Berliner Staatsoper inszeniert der Skandalregisseur Calixto Bieito seinen „Lohengrin“ fürs Fernsehen. Sein Startenor Roberto Alagna hat diesmal zwar nicht abgesagt. Aber so richtig bei der Sache ist auch er nicht.

Er hat es also getan. Zweieinhalb Jahre nach dem geplanten Debüt in Bayreuth hat Startenor Roberto Alagna erstmals Wagners Lohengrin gesungen. Nachdem der Italofranzose auf dem Grünen Hügel wegen Übermüdung, Ärger mit Christian Thielemann oder fehlender Rollenvorbereitung, jedenfalls völlig unprofessionell im Juni 2018 unmittelbar vor Probenbeginn absagte, bekam nun die wegen des zweiten Pandemie-Lockdown geschlossene Berliner Staatsoper Unter den Linden das Recht der ersten Schwanenritternacht. Allein und einmalig vor den wie geplant positionierten Arte-Fernsehkameras, übertragen zeitversetzt zu nachtschlafender Zeit, denkwürdig also in jedem Fall.

Nein, wir müssen jetzt nicht so weit gehen wie Twitter, wo, als der letzte Schwan eben zurück zu Papa Parsifal abgefahren und der patschnasse Knabe und Brabant-Erbe Gottfried erst einen Papierfaltersatzvogel, dann ein Plastikschwert an sich genommen hatte, schon das hässliche Wort vom „singenden Pizzabäcker“ zu lesen war. Aber sonderlich sensationell war Roberto Alagna in seiner ersten deutschen Rolle nun auch nicht gerade.

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Wobei seine Aussprache eigentlich noch das Beste war. Die Stimme des 57-Jährigen, das war auf den frischesten Streams aus Wien und Mailand schon zu hören, hört sich gegenwärtig angestrengt an, viele Töne erreicht er nur noch im Forte oder mit Pressen. Gerade das schwebend zarte, auch transzendent unwirkliche Gralssilber ist seine Sache nicht mehr. Und als Wagner-Recke in dessen „italienischster“ Rolle hat er zu wenig Feuer und Temperament. Im hellen Anzug, Elsa schreibt ihm „Liebe“ aufs Jackett, am Ende macht er sich verletzbar frei, tönt er halt so vor sich hin, wenig engagiert, noch weniger transparent.

Vida Mikneviciutes Elsa, die Litauerin arbeitet sich gerade auf die großen Bühnen vor, passt mit ihrem eher dunklen, metallischen Timbre gut zu ihm. Sie aber besitzt eine schöne, freie Expansion in der Höhe, nicht anrührend, aber eindrucksvoll.

Ja, Roberto Alagna hat also die Rolle geschafft, auch wenn in der Gralserzählung die Stimme bisweilen kippelte. Regisseur Calixo Bieito, mit dem der Star nicht zum ersten Mal arbeitete, hat seinem Lohengrin aber auch recht wenig abverlangt. Anfangs saß der plötzlich links auf einer Tribüne, in einem neonkühlen, holzgetäfelten Gelass (technoide Bühne: Rebecca Ringst), wo der Streit um das Erbe von Brabant zwischen Bürogestühl ähnlich prosaisch wie eine Testamentseröffnung vor einer nicht eben freundlichen Familie verhandelt wurde.

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Elsa in Lederjacke und Jerseykleid mit Hyazinthenprint stand in einem Käfig, den Zweikampf als Gottesgericht mit dem Herausforderer Telramund trug Lohengrin irgendwie telepathisch aus. Der Chor hielt stoisch „Hoffnung“-, „Mut für alle“-, „Eine Freundin“-Transparente hoch. Auch vor dem Münster wurde nur wenig gerangelt, obwohl die Solisten Covid-getestet waren. Im Brautgemach logierte man auf einer hellen Zweisitzercouch samt Rasenstückteppich.

Am Ende der Fragestunde blutete Elsa an der Stirn. Später schnappte sie sich das Kräutertöpfchen, das vorher schon der Telramund des starkstimmigen, endlich einmal die gefürchtete Brüllerrolle nicht blöckenden Martin Ganter mit sich herumgetragen hatte. Die Bösen, die hier alle nicht sterben, machten überhaupt bessere Figur.

So auch die furios ihre Flüche schleudernde Ortrud der mezzosatten Ekaterina Gubanova. Wenn die gleich zu Anfang in fies gelber Bluse ein beißend oranges Sportwagenmodell streichelt (warum auch immer), dann weiß man sofort: „So zieht das Unheil in dies Haus!“ Auf der dunklen Seite steht wohl auch der hippelig hüpfende Heerrufer (machtvoll: Adam Kutny), der sich zum Joker schminkt und eine Hochzeitstorte mitbringt, die am Ende des zweiten Aktes Ortrud lustvoll zerschmeißt. Zuvor noch hatte sie ihre giftgrünen Fingernägel in nackte Babypuppen gekrallt.

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René Pape basssachverwaltet ungerührt den König Heinrich. Und Calixto Bieito, der auch schon inspiriertere Tage gesehen hat, liefert – sein Pariser „Ring“ wurde eben vom Corona-Viruswind auf mindestens 2024 verwehrt – übersichtliches Wagner-Regietheater von der Stange: ein wenig trashig, vor allem aber sehr atmosphärelos und kaum originell. Ein paar Videos flimmern zudem über der drögen Einheitsszenerie samt Treppengerüst für den meist bewegungslos auf Abstand gehaltenen Chor. Aber selbst das zum Vorspiel erscheinende Abbild eines Schwans als Leibesfrucht einer Schwangeren ist von Joseph Beuys geborgt.

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Nicht wirklich beurteilen lässt sich das Dirigat von Matthias Pintscher. Für gewöhnlich steht bei Wagner an der Berliner Staatsoper ja Hausherr Daniel Barenboim am Pult. Für die dritte „Lohengrin“-Produktion seiner Ära durfte nun der eher selten herkömmliches Repertoire klangdisponierende wie klanginterpretierende Komponist ran. Die Staatskapelle ist erstklassig metierkundig, die Tempi waren flüssig. Aber es blieb doch weitgehend im kapellmeisterlich unaufgeregten Spektrum.

Zumal das Fernsehen, wo die Produktion noch 30 Tage abrufbar ist, natürlich ein gekünstelt zusammengemischtes Tongebräu aus zugespielten Trompetenfanfaren, weit entfernt platziertem Chor und – wie bei der Uraufführung 1850 in Weimar – noch nicht einmal 50 Musikern offerierte. Gerne würde man hören, wie sich das im Verein mit den plastischeren Stimmen im Linden-Opernraum entfaltet. Aber das wird wohl erst in Monaten wieder möglich sein.

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