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Christian Gerhaher als Simone Boccanegra in Zürich: Wenn Worte verwunden

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Christian Gerhaher als Simone Boccanegra
Selbstbespiegelung in der Psychokammer: Bariton Christian Gerhaher in der Titelrolle von Verdis Oper. © Monika Rittershaus

Mit der Titelrolle in „Simone Boccanegra“ singt Christian Gerhaher seine zweite Verdi-Partie. Eine extremistische, aus dem Nihilistischen entwickelte Interpretation.

Verdi tue ihm gut, hat er einmal gemeint. Anders als Schumann oder Mahler, die ihn zur Extremreflexion zwängen. Doch das Direkte, unverblümt Dramatische des Italieners hat Christian Gerhaher erst zweimal gesucht – als Posa in „Don Carlos“ und jetzt in der Titelrolle von „Simone Boccanegra“. Das Opernhaus Zürich als Debüt-Ort für wichtige Partien, dies hat für Gerhaher Tradition. Dass es beim Boccanegra nur zur Netz- und TV-Premiere gereicht hat, ist das Pech dieser Tage. Man hofft auf Live-Aufführungen im neuen Jahr.

Und tatsächlich: Im Unterschied zu anderen Komponisten überlässt sich Gerhaher mehr der natürlichen Wölbung der Gesangsphrasen. Seine Eigenheit, in jede Bedeutungsecke der Rolle zu kriechen, gibt er dennoch nicht auf. Eine extremistische Deutung also. Das Schneidende, Grelle, die Ganzkörper-Vokalarbeit führt Gerhaher auch an Grenzen – so kontrolliert alles bleibt. Doch sehr im Sinne von Verdis schwarzem Stück ist dieses Porträt eines von Intrigen und Volkswillen an die Macht gespülten Dogen ganz aus dem Nihilistischen entwickelt. Auch wenn mal eine Pistole auftaucht: Gerhaher führt am Ende der Ratsszene vor, wie Worte, auch die leisen, schwere Verwundungen zufügen können.

Keine Massenszenen, dafür eine starke Fokussierung auf die Figuren

Boccanegras berühmte Ansprache ans Volk wird hier zum Selbstgespräch. Corona-bedingt agieren Chor, Orchester und Dirigent Fabio Luisi einen Kilometer entfernt im Probengebäude. Der Klang wird ins Opernhaus übertragen, in der Arte-Version wirkt das überraschend gut abgemischt.

Andreas Homoki, Zürichs inszenierender Intendant, nimmt das Fehlen von Massenszenen mit Ausstatter Christian Schmidt als Chance. Ergebnis ist eine starke Fokussierung auf die Figuren und große szenische Klarheit. Auf der fast ständig aktiven Drehbühne werden hohe klassizistische Zimmer zu Psychokammern und Erinnerungsräumen, zu Schauplätzen von Wunsch und Selbstbespiegelung. Verpflanzt ist alles in die Zwanzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts – und wird zur Analyse einer autoritären Clique. Am Ende der wohltuend unsentimentalen Sterbeszene trifft der vergiftete Doge auf seine geliebte, seit Jahrzehnten tote Maria. Mit der Tochter an der Hand schreitet das Paar fort in eine andere, bessere Dimension.

Nur zwei Sänger können zu Gerhaher aufschließen

In der Durchdringung ihrer Partien schließen nur zwei Sänger zu Gerhaher auf. Christof Fischesser ruht sich als Fiesco nicht auf Verdis Melos aus, sondern nutzt es zur nach innen gerichteten, fein schattierten Charakterstudie. Nicholas Brownlee lässt seinen Paolo emotional lodern. Ein Gegenbild zur Dauerzerknirschung des übrigen Personals – und ein Beispiel dafür, dass an jedem guten „Boccanegra“-Abend der Paolo auch den Titelhelden übernehmen könnte. Jennifer Rowley wirkt als Amelia mit ihrer gebändigten Aida-Emphase eine Spur zu konventionell. Otar Jorjikia (Adorno) wird mit zunehmender Aufführungsdauer auch Opfer seiner Expressivität.

Was Fabio Luisi mit der Philharmonia Zürich anstellt, hätte man gern live und im Opernhaus gehört. Koordination scheint wichtiger als Luisis typischer Furor. Dennoch fordert der Generalmusikdirektor viel Flexibilität und Detailarbeit. Man begreift: Verdi lieferte hier zwar eines seiner dunkelsten Werke – Schwerlastverkehr im Orchestergraben ist dafür aber keine Lösung.

Aufzeichnung
auf www.arte.tv und in der Arte-Mediathek.

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