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Stefan Gottfried und Concentus Musicus Wien. Foto: © Moritz Schell
Stefan Gottfried und Concentus Musicus Wien. Foto: © Moritz Schell
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Nicht heiraten ist auch keine Lösung – Mozarts „Le nozze di Figaro“ am Theater an der Wien als Premiere im Netz

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Das „Theater an der Wien“ ist ein Haus mit Stagionebetrieb. Und das mit Erfolg. In Wien ist dafür neben dem Repertoirebetrieb der Staatsoper allemal Platz. Zumindest unter normalen Bedingungen. Die Staatsoper hat genügend aufgezeichnete Produktionen auf Vorrat für täglich wechselnde Angebote auch im Netz. Doch auch das „Theater an der Wien“ hat sich im ersten Lockdown mit dem im Vorfeld gehypten „Fidelio“ in der Regie von Christoph Waltz nicht ganz freiwillig auf den Weg ins Netz aufgemacht. Auch die jetzt für den 12. November geplante Premiere, die in den zweiten Lockdown fällt, wurde ins Netz verlegt. Genauer: die Zuschauer kamen nur in den Genuss der Neuproduktion von Mozarts „Le nozzle di Figaro“, wenn sie sich über die Homepage des Theaters oder beim Kulturkanal ORF III einloggten. Musiker und Ensemble gingen im gespenstisch leeren Opernhaus an den Start.

Da ihm der Schauspielstar Christoph Waltz mit seinem Wechsel ins Opernregiefach mit seiner Prominenz einen erheblichen Aufmerksamkeitsbonus (und im Nachgang einigen Wirbel wegen Plagiatsvorwürfen beim Bühnenbild) eingebracht hat, fragte Intendant Roland Geyer den in Österreich bekannten Satiriker Alfred Dorfer, ob er nicht Lust auf sein Debüt als Opernregisseur habe. Da er ihm Mozarts „Le nozze di Figaro“ anbot, setzte er wohl auf die Affinität zum Salzburger Komponisten-Genie, die den Österreichern eh in den Genen liegt.

Dennoch ist es geradezu mutig, dieses Angebot auch anzunehmen. Gemeinsam mit Co-Regisseurin Kateryna Sokolova hat er jetzt sogar eine coronabedingt um eine Dreiviertelstunde gekürzte pausenlose Version auf die Bühne gebracht.

Dabei hält sich der Satiriker Dorfer bewusst zurück und stellt sich den Herausforderungen von Da Pontes und Mozarts Geschichte Plot mit professionellem Ernst. Durchaus mit Witz, aber, ohne den Ehrgeiz jede mögliche Pointe zu zünden.

Ausstatter Christian Tabakoff hat alles in eine Zimmerflucht – Marke ehemals wohlhabendes Herrenhaus verlegt. Die Kostüme verweisen auf eine ungefähre Gegenwart. Graf Almaviva ist hier der Mann mit Macht, der gerne im Trüben fischt. Das fängt schon während der Ouvertüre an, da kommt Susanna nicht so ohne weiteres an dem Mann vorbei, der da in Gedanken versunken auf einem Stuhl sitzt. Dieser Graf ist die personifizierte Übergriffigkeit. So wie es Cherubino mit seinem jugendlichen Charisma zu den Frauen zieht, so versucht es der alternde Graf mit seiner Macht und der Gewohnheit des herrschenden Patriarchen. Nur, dass in seinem Falle alle damit beschäftigt sind, sich seiner Zudringlichkeit zu erwehren. Und ob seine Frau (sopranklar melancholisch: Cristina Pasaroiu) in das deklarierte große Verzeihen am Ende auch den plumpen Vergewaltigungsversuch vor der verschlossenen Tür, hinter der er Cherubino vermutet, einschließt, darf man bezweifeln. Beim vergleichsweise etwas mutlos geratenen Finale vor dem Straßenbahndepot jedenfalls gibt es ein geradezu körperliches Zusammenrücken aller anderen. Nur der Graf tänzelt alleine von ihnen weg. Wer weiß wohin.

Der fabelhafte österreichische Bassbariton Florian Boesch stattet seinen Almaviva deutlich mit einem Schuss Weinstein-Habitus aus. Und dass er am Ende sozusagen das Weite sucht, ist gut nachvollziehbar. Zumal man bis dahin im Dämmerlicht der Zimmer (Licht: Benedikt Zehm) in einem präzisen Kammerspiel einiges von den dunkleren Seiten des Begehrens erfahren hat. Hier verschieben sich sogar die Wände wie von Geisterhand. Und als der Graf in seiner Wut einmal zu derb aufstampft, brechen gar die Bodendielen durch. Es ist also was faul im Hause Almaviva. Vor allem beim Grafenpaar - aber mehr oder weniger abgeschwächt auch bei den anderen drei Paaren im Stück. So ganz einfach ist es mit der Liebe weder bei ihrem ersten Erwachen wie bei Barbarina (Ekin Su Paker) und Cherubino, noch beim abgeklärten Blick zurück wie bei Marcellina und Bartolo (luxuriös: Enkelejda Shkosa und Maurizio Muraro) nicht. Die erst 25-jährige Mezzosopranistin Patrizia Nolz ist nicht nur der hormongesteuerte Cherubino. Er schafft es, wie der Statthalter Amors auf Erden, die Szene in ein anderes Licht zu tauchen und für Momente die Bewegungen aller Akteure wie ein Marionettenspieler zu steuern. Genau das versucht auch der Graf am Ende des 2. Aktes einmal; allerdings mit Macht und mit Erinnerung statt mit erotischem Charisma. An solchen Stellen ist die Inszenierung am klügsten.

Aber auch beim Hochzeitspaar muss noch einiges ausgehandelt werden, wie sich bei Figaros Eifersuchtsausbruch hier nicht im nächtlichen Garten, sondern vor den Toren eines Straßenbahndepots zeigt. Robert Gleadow ist als Figaro ein viriler kraftstrotzender Figaro – Giulia Semenzato seine überzeugende Susanna.

Stefan Gottfried setzt am Pult mit den Musikern des Concentus Musicus Wien durchaus beherzt auf zügige Tempi, lässt aber auch der Melancholie (vor allem der Gräfin) Raum. Die Stimmen des von Erwin Ortner einstudierten Arnold Schoenberg Chores werden nur eingespielt. Man kann nur hoffen, dass das Ganze nur der Probelauf für eine Aufführungsserie im Theater an der Wien wird, dem man dann wieder aus den engen Sitzen folgen kann.

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