DIE WALKÜRE an der Deutschen Oper Berlin

Premierenkritik Stefan Herheim (Regie) konnte - trotz Corona - mit dem neuen "Ring" beginnen

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Der neue Wagner-Ring der Deutschen Oper Berlin (nachdem ihr "alter" und umso berühmterer und bis zu diesem Zeitpunkt gültigster der gültigen inzwischen materiell entsorgt wurde) ist DAS derzeitige Prestigeprojekt des renommierten Hauses in der Bismarckstraße! Lange war es angekündigt und mit unvorstellbaren Erwartungen behaftet - würde Stefan Herheim (dieser Quasi-Nachfahre) Götz Friedrich je das Wasser reichen können? was wollte er der vieldeutbaren Geschichte zwischen Feuer, Wasser und Posaunen abluchsen, worauf die anderen vor ihm vielleicht niemals gekommen wären?? wo läge sein Heute, das er diesem abgehang'nem Schinken dringend infiltrieren müsste??? Fragen über Fragen, deren abschließende Ungefährbeantwortungen sicherlich erst nach der Götterdämmerung [o Gott, wann würde diese - und in Anbetracht der sich erneut verschärfenden pandemischen Indizienlage - seh- und hörbar sein] statthaftig sind.

Nachdem nun die Premiere Das Rheingold letzten Sommer dem Corona-Chaos aufgeopfert werden musste, war bis kürzlich noch nicht sicher, ob dann "wenigstens" Die Walküre (zu ihrem regulären Premierentermin) stattfinden könnte - doch, tatsächlich und wie durch ein Wunder: sie fand statt. Der Saal war immerhin halb voll, das Maskentragen wurde fünfeinhalb Stunden zur Pflicht, die Mitwirkenden wurden unentwegt getestet, kurz: Die neue Infektionsschutzverordnung des Senats [Stand: 16.09.2020] ermöglichte das Unmögliche, eine Art Triumph des Muts über die Angst.

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Aber zunächst:

Der Flügel. (Kennen wir den nicht? War der nicht schon im Bühnenbild zu Béjarts RING UM DEN RING - hierselbst am gleichen Haus, wo sich der große Choreograph mit Wagners Vierteiler als Gigaballett auseinandersetzte - zu betrachten? ja und standen nicht etwa solche Konzertflügel auch schon in andern Opern- oder Schauspielinszenierungen auf Bühnen hie und da so rum?? in Leipzigs Götterdämmerung z.B. klimperte das Gibichungenpaar pro forma, ja und Mitte dieses Monats sah ich ihn in Köln bei einer Hermannsschlacht von Oliver Frljić.)

Nichts Neues also oder um mit Loriot zu sprechen: "Ein Klavier, ein Klavier!!"

Herheim und Co-Bühnenbildnerin Silke Bauer (die auch für die Tausenden von Koffern mitzuständig war, doch dazu später mehr) hatten mit diesem Instrument eine genialische Idee: Bei Siegmunds "Winterstürme wichen dem Wonnemond" enthob sich aus ihm ganz abrupt ein Riesenlaken, woraus sich noch viel abrupter eine Art von Baumkrone (= Weltesche? Weltesche, klar) formte, die mit viel, viel Video-Farbgekleckse erst schön grün, dann sonnenhell und schließlich mit den Augen eines Wolfs bestrahlt wurde - - ach so, am Anfang, als die Sturmmusik aufbrauste, machte in der Tat ein (braver und dressierter) Wolfshund ein paar neugierige Bühnenrunden...

Auch: Der Regisseur hat sich für uns einen "Hundingling" ausgedacht und in die Handlung integriert: Und der Performer Eric Naumann spielt ihn als den schwachsinnigen Sohn von Hunding (und Sieglinde? nein, nicht von Sieglinde, Gott bewahre), und er wird am Schluss des 1. Aufzugs von Sieglinde umgebracht; sie schlitzt ihm seine Kehle auf, von wegen Heimchen am Herd und so.

Im 2. Aufzug gibt's die große eheliche Aussprache zwischen Gott Wotan und der Gottgemahlin Fricka (John Lundgren, Annika Schlicht: beide passabelst). Und das "Neue" dieser Szene ist, dass Herheim sie mit einer halben Hundertschaft vermutlich von irgendwoher nach irgendwohin geflüchteter Menschen bestehend aus Frauen, Männern, Kindern, Greisen aktuellpolitisch illustriert; "ah, Flüchtlingskrise" hämmert es sofort in unsren Hirnen. Macht zwar - im Zusammenhang mit den gehörten Wagnerszenen - wenig oder fast so gut wie keinen Sinn, klärt aber schon mal sauber vorweg ab, auf welcher Seite Herheim und die Ausführenden insgesamt und auch der Rest der am Premierenabend in dem Haus befindlichen Ansammlung guter Menschen (inkl. Publikum) so steht bzw. stehen soll, natürlich auf der richtigen, wenn wir uns an die schöne Willkommenskultur-Zeit von 2015 rückbesinnen. Oder habe ich da jetzt was völlig falsch verstanden?

Ja und tausende und abertausende verstreute Koffer sind zu sehen; sie sind das, was bei Friedrich/Sykora anno dazumal der Zeittunnel gewesen war. Das wiederum ergibt ein starkes Bild und Sinnbild unsrer Gegenwart und passt (wenn man diesen Gedankenbogen überstrapazieren wollte) auch zum Ring, wo auch geflüchtet und geflohen wird; nur dass mir jetzt außer der Flucht von Siegmund & Sieglinde keine weitere Flucht von noch andern sofort einfällt.

Bevor im 3. Aufzug das Gekreische der Walküren (beim Walkürenritt) beginnt, sieht man die acht Dramatischen und Hochdramatischen dieselbe Szene vorher proben, also wie als fühlten sie sich dabei unbeobachtet; auch blättern sie vor und zurück im Walküre-Klavierauszug, und manche tun gar so, als ob sie (auf dem Flügel, wo auch sonst) das Eine oder Andere dann von der Partitur abklimpern; mega-gääähn!

Hübsch allerdings, wie sie von ihren acht gefall'nen Helden (die nach deren Schlachten aufzulesen ihre eigentliche Arbeit war) zum Zombie-Sex gezwungen werden - aus Strafe dafür, dass sie sich schützend über ihre Schwester Brünnhilde versammelten; mit Wotan ist halt nicht gut Kirschen essen.

Lauter solches spaßiges und pseudospaßiges Gelumpe.

Nein, der Regisseur weiß nicht, wohin mit seinen vielen Schnapsideen; und er wird zum Schluss der Aufführung dafür gehörig ausgebuht. Verarschen gehört zum Theater, zweifelsohne, doch es sollte irgendeine scharfsinnige, und vielleicht sogar etwas intelligentere, Bedeutung haben; falls von der Substanz her möglich.

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Sängerische Hauptattraktion ist Lise Davidsen (= Sieglinde)! Sie singt alle an die Wand.

Auch gut: Andrew Harris (= Hunding).

Solide: Ninna Stemme (= Brünnhilde).

Nicht schlapp gemacht: Brando Jovanovich ( Siegmund).

Das Orchester der Deutschen Oper Berlin spielt wie vom Blatt.

Sir Donald Runnicles hat sich fast nichts Besonderes für seine x-te Walküre einfallen lassen; klingt so wie immer.

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Beim Feuerzauber sieht man, wie Mime (mit Wagner-Barett) als Hebamme von Sieglinde, die in diesem Augenblick ihr Kind (= Siegfried) aus sich heraus presst, fungiert - - das verweist auf Herheims mögliche Fortsetzung seines Rings, die hoffentlich etwas glaubwürdiger vonstatten gehen wird; mal sehen.

[Erstveröffentlicht auf KULTURA-EXTRA am 28.09.2020.]

DIE WALKÜRE (Deutsche Oper Berlin, 27.09.2020)
Musikalische Leitung: Donald Runnicles
Inszenierung und Bühne: Stefan Herheim
Bühne: Silke Bauer
Kostüme: Uta Heiseke
Licht: Ulrich Niepel
Video: William Duke und Dan Trenchard
Dramaturgie: Alexander Meier-Dörzenbach und Jörg Königsdorf
Besetzung:
Siegmund ... Brandon Jovanovich
Hunding ... Andrew Harris
Wotan ... John Lundgren
Sieglinde ... Lise Davidsen
Fricka ... Annika Schlicht
Brünnhilde ... Nina Stemme
Helmwige ... Flurina Stucki
Gerhilde ... Aile Asszonyi
Ortlinde ... Antonia Ahyoung Kim
Waltraute ... Irene Roberts
Siegrune ... Ulrike Helzel
Roßweiße ... Karis Tucker
Grimgerde ... Nicole Piccolomini
Schwertleite ... Beth Taylor
Hundingling ... Eric Naumann
Orchester der Deutschen Oper Berlin
Premiere war am 27. September 2020.
Weitere Termine: 01., 04., 08., 11.10.2020

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Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

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