Mit der Luxusjacht zu neuen Ufern – und ins Verderben

Bei der Neuproduktion von Emmerich Kálmáns
Operettenhit «Die Csárdásfürstin» am Opernhaus Zürich
ist fast alles anders als gewohnt.

Thomas Schacher
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Ahoi, Planet voraus! Ob da allerdings das Klima besser ist, fragt sich nicht nur die Crew der Jacht «Csárdásfürstin» an der Oper Zürich.

Ahoi, Planet voraus! Ob da allerdings das Klima besser ist, fragt sich nicht nur die Crew der Jacht «Csárdásfürstin» an der Oper Zürich.

Toni Suter / Opernhaus Zürich

«Als das Virus kam auf Erden, überall zu wüten, machten manche sich daran, das Schlimmste zu verhüten.» Feri, der diese Moritat zu den Begleitklängen seiner Drehorgel singt, ist ein ehemaliger Playboy, der sich längst mit der Flasche tröstet. Der Vers aus dem in die Operette hineingeschmuggelten Song «Der alte Noah» ist der einzige direkte Bezugspunkt zur gegenwärtigen Bedrohungslage. Dennoch hat das Coronavirus bei der Neuinszenierung von Emmerich Kálmáns Operette «Die Csárdásfürstin» am Opernhaus Zürich deutliche Spuren hinterlassen.

Mitte März musste die Probenarbeit von einem Tag auf den anderen abgebrochen, die Premiere vom April abgesagt werden. Nach der Wiederaufnahme der Proben im Juli wurde die Produktion einschneidend an die neuen Aufführungsbedingungen angepasst. Die Philharmonia Zürich und der Chor des Opernhauses spielen und singen nun – wie schon bei der Premiere von «Boris Godunow» vor einigen Tagen – im geräumigen Probelokal am Kreuzplatz; der Klang wird via Glasfaserkabel und Lautsprecheranlage live in den Zuschauerraum übertragen.

Unrettbar verliebt

Das Regiekonzept von Jan Philipp Gloger stand in den Grundzügen allerdings schon vor dem Shutdown fest. Die Handlung ereignet sich im Bühnenbild von Franziska Bornkamm nicht in einem Variététheater in Budapest, sondern auf einer Luxusjacht namens «Csárdásfürstin». Darauf vergnügt sich eine durchaus heutige, männliche Spass- und Wegwerfgesellschaft, nämlich der Millionärssohn Edwin und mit seinen Kumpels Boni und dem besagten Feri. Mit von der Partie sind Edwins Ehefrau Stasi (im Original seine Verlobte) und Sylva Varescu, ein Mitglied der Schiffscrew, in die sich Edwin vor den Augen seiner Gattin unrettbar verliebt.

Dass die titelgebende Sylva eigentlich eine karrierebewusste Csárdástänzerin ist, darauf verweist hier einzig ihr Auftrittslied «Heia, heia! In den Bergen ist mein Heimatland», zu dem sie in einem ungarischen Folkloregewand auftritt (Kostüme: Karin Jud). Bis zur Unkenntlichkeit zurückgestutzt hat der Regisseur denn auch die sozialkritische Ebene des Stücks: Im Original darf der Fürstensohn Edwin Sylva aus Standesgründen nicht heiraten, weil die Variétésängerin nach den damaligen Vorstellungen einer zwielichtigen Gesellschaftsschicht entstammt. Stattdessen zieht Gloger die derzeitige Umwelt- und Klimathematik heran. In ihr sieht er das Pendant zur Situation von 1915, dem Jahr der Wiener Uraufführung der «Csárdásfürstin», als der Erste Weltkrieg das Ende der Donaumonarchie besiegelte.

In einer Mischung von Realismus und Surrealismus passieren auf der Bühne die wunderlichsten Dinge: Das Meer verwandelt sich in einen unappetitlichen Abfallberg, der Horizont verdüstert sich zusehends, Möwen fallen vom Himmel. Das Schiff bleibt im Eis der Arktis stecken, wird zur Arche Noah, auf die sich Eisbären und Pinguine praktischerweise gleich paarweise retten, schliesslich zum Raumschiff, das der terrestrischen Apokalypse durch eine Fahrt zum Mars entflieht. Aus dem heiteren Stück macht der Regisseur somit eine schwer befrachtete, düstere Geschichte. In dem Bestreben zu demonstrieren, dass die Operette keine verstaubte Gattung ohne Tiefgang ist, schiesst er allerdings doch ein wenig über das Ziel hinaus.

Den Bootsausflug hatte sich Sylva Varescu (Annette Dasch) irgendwie anders vorgestellt: Paarweise drängen die Tiere der geschundenen Erde auf ihre havarierte Arche Noah.

Den Bootsausflug hatte sich Sylva Varescu (Annette Dasch) irgendwie anders vorgestellt: Paarweise drängen die Tiere der geschundenen Erde auf ihre havarierte Arche Noah.

Toni Suter / Opernhaus Zürich

Mit Annette Dasch ist die Titelrolle prominent und brillant besetzt. Die Sopranistin gibt die Csárdásfürstin darstellerisch und stimmlich nicht so sehr als lockeres Zigeunermädchen aus den Bergen Siebenbürgens, sondern als geerdete Frau, mehr als verlässliche Begleiterin denn als Verführerin. Pavol Breslik als Edwin ist der Good Guy mit einnehmender Tenorstimme. Dagegen verkörpert Spencer Lang den Kumpan Boni als jugendlichen Player und Lebemann. Dass er sich schliesslich in die hysterische Stasi, dargestellt von Rebeca Olvera, verliebt, kann man freilich nur schwer nachvollziehen. Eine komische Note trägt der Feri von Martin Zysset bei mit seinem herausgestellten schweizerdeutschen Akzent.

«Oper für alle» – geht auch digital

wdh. · Nachdem die Oper Zürich ihr beliebtes Open-Air-Format «Oper für alle» wegen der Pandemie absagen musste, hat das Haus am Wochenende gleich drei verschiedene Werke im Live-Stream übertragen, darunter die Premiere der «Csárdásfürstin». Die Mitschnitte sind teilweise noch bis Dienstagabend (29. 9.) weltweit und kostenfrei auf der Website des Opernhauses abrufbar. Um die Teilhabe an Aufführungen auch jenen Menschen zu ermöglichen, die derzeit keine Veranstaltungen besuchen möchten – es sollen laut einer Umfrage derzeit bis zu 43 Prozent aller Klassikhörer sein –, beschreitet die Intendanz der Oper Zürich mit den Live-Übertragungen überzeugend neue Wege. Denn die digitalen Formate bieten neben der nur minimal zeitversetzten Wiedergabe obendrein einen beachtlichen künstlerischen Mehrwert: durch Einführungs- und Hintergrundgespräche, durch einen gekonnten Wechsel zwischen Close-ups und der Bühnentotale (wie beim Einsatz eines Opernglases) sowie nicht zuletzt durch die beiden ebenfalls freigeschalteten Kamerakanäle, die den Dirigenten und das extern am Kreuzplatz musizierende Orchester samt Chor bei der Arbeit zeigen. Es wäre zu wünschen, dass dieses vorbildliche Multimedia-Format noch bei weiteren Aufführungen zum Einsatz kommt.

Schmerzlich vermisst man auf der Bühne den Chor der Variétédamen und ihrer Kavaliere, die durch ihre physische Präsenz viel zur erotischen Grundstimmung des Stücks beitragen könnten. Aus der Not macht der Regisseur indes eine Tugend, indem er auf der Bühne eine achtköpfige Tänzertruppe einsetzt, die mit bewundernswerter Verwandlungskunst als Schiffscrew, Prostituierte, Folkloregruppe, Tiere und schliesslich sogar als Aliens agiert.

Sinnliches Kolorit

Musikalisch funktioniert die Synchronisation zwischen Chor und Orchester, die man über Lautsprecher hört, und den Protagonisten, die auf der Bühne singen, recht gut. Die Verortung des Orchesterklangs und die Balance zwischen Solisten und Orchester gelingen allerdings, trotz dem Tonmeister im Saal, nicht immer perfekt.

Die verschobene Premiere gibt dem jungen Schweizer Dirigenten Lorenzo Viotti, den man in Zürich bereits von Massenets «Werther» in Erinnerung hat, erneut die Gelegenheit, am Opernhaus zu dirigieren, nachdem der ursprünglich vorgesehene Ulf Schirmer aus Termingründen nicht mehr verfügbar gewesen ist. Viotti bringt ein recht sinnliches Kolorit zustande; gelegentlich könnte man sich den Orchesterklang allerdings noch pointierter, um nicht zu sagen: ungarischer, und operettenhafter vorstellen.

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