Kammeroper

Türken und Tataren im Studio

Starke Darsteller: A. Morstein, S. Vinnik, R. Tomkiewicz, K. Jóhannesson, V. Petraeva.
Starke Darsteller: A. Morstein, S. Vinnik, R. Tomkiewicz, K. Jóhannesson, V. Petraeva. Kammeroper/Herwig Prammer
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Krystian Lada schuf für Vivaldis Opern-Pasticcio „Bajazet“ eine moderne Metaebene. Das funktioniert erstaunlich gut, auch durch das feine Ensemble.

Silenzio“ steht groß auf dem roten Leuchtkasten des Aufnahmestudios, in dem sechs junge Menschen ein Hörspiel über Tamerlano und dessen Sieg über den osmanischen Sultan Bajazet produzieren. Der Aufnahmeleiter erzeugt Paddelgeräusche mit einem Kochlöffel im Aquarium, seine Darsteller fingieren inmitten von Akustikplatten, Mikrofonen und Requisiten mit Metallketten und Klötzen das Reiten. Für die Aufführung von Vivaldis „Bajazet“ hat Regisseur Krystian Lada eine Metaebene geschaffen, um die Geschichte des blutrünstigen Tatarenherrschers, seines entmachteten Gegners und dessen auf Rache sinnender Tochter Asteria zu erzählen. Das mag weit hergeholt klingen, sorgt aber für Pep und Spannung. Seine Protagonisten – Hörspielsprecher, die in die Figuren aus dem 15. Jahrhundert schlüpfen – bekommen so zusätzliche Motivation, ihre Arien zu singen. Diese zog Vivaldi teils aus eigenen Opern, teils von seinen Konkurrenten Giacomelli, Hasse und Broschi zu einem Pasticcio heran – und thematisierte so den damals tobenden Streit zwischen venezianischen und neapolitanischen Opernkomponisten, indem er den Osmanen seine eigenen Arien, den Mongolen jene der Neapolitaner zuordnete.

Rund um die zu Vivaldis Zeiten populäre Tamerlan-Handlung hat Lada eine weitere erfunden: von einem Aufnahmeleiter, der Filmstar werden möchte und sich geringgeschätzt fühlt, und dessen Schwester, die nur assistieren sollte, aber ob der Verspätung der Diva in deren Schuhe schlüpfen muss. So läuft auf nonverbaler Ebene ein zweites Drama ab, das die Konflikte unterstreicht: Da wird durch strenge Gesten zum Singen oder zum Schweigen gebracht, da verschwimmen Hörspielstudio-Realität und Opernhandlung, und man weiß nicht mehr, zu welchem Strang Übergriffe nun gehören.

Stringent, spritzig: Bach Consort Wien

Dieser Kunstgriff sorgt für Tempo und noch mehr Lust, nicht nur der brillanten Musik – stringent und spritzig gespielt vom Bach Consort Wien unter Roger Díaz-Cajamarca – zu folgen, sondern auch dranzubleiben, was die eigentliche Handlung betrifft, die sich in dem Studio, aus dem es schließlich kein Entkommen gibt, doppelt zuspitzt.

Dabei verfügt Lada über ein homogenes Ensemble. In der Titelrolle gefällt Kristján Jóhannesson mit fülligem, erdigem Bariton, als sein Gegenspieler Tamerlano Rafał Tomkiewicz mit durchdringendem Countertenor und aalglattem Spiel. Vielversprechend die neuen Mitglieder des Jungen Ensembles Theater an der Wien: die eindringlich ihre Doppelrollen spielenden Sopranistinnen Sofia Vinnik und Valentina Petraeva sowie Andrew Morstein als Andronico.

Viel Applaus bekam Miriam Kutrowatz, für ihre beiden starken Arien wie für ihre stumme Rolle als Regieassistentin. In dieser war sie fast durchgehend auf der Bühne und sorgte für Gänsehauteffekte, wenn sie mit genau dosierten Bewegungen Mikrofone ebenso platzierte wie Markierungen der Kriminalpolizei. Diese wiesen latent auf einen späteren Mord hin – sollte die Geschichte doch nicht so glimpflich ausgehen wie im Programmheft beschrieben? Ladas Konzept mag weit hergeholt sein, die dadurch erzeugte Metaebene kreiert jedenfalls gruselige (An-)Spannung, die das Erleben von Vivaldis „Tragedia per musica“ intensiviert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.09.2020)

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