Opern-Premiere am Luzerner Theater: Ein Virustoter auf dem Treppenkarussel

Endlich ein neues Corona-Format im grossen Stil: Das Luzerner Theater startet mit Rossinis «Il Barbiere di Siviglia» in die Opernsaison. Die Inszenierung thematisiert mit viel Komödiantik die Befreiung von Virus-Ängsten und -Repression.

Urs Mattenberger
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Ein Wurf: Diana Schnürpel (Rosina) und Flurin Caduff (Virologe Bartolo) auf der drehbaren Treppe von Jakob Brossmann. Bild: Ingo Höhn

Ein Wurf: Diana Schnürpel (Rosina) und Flurin Caduff (Virologe Bartolo) auf der drehbaren Treppe von Jakob Brossmann. Bild: Ingo Höhn

Ingo Höhn

Auf den Kuss, den Regisseur Martin G. Berger versprochen hatte, müssen wir lange warten (Interview: «Geküsst wird ab der Generalprobe»). Aber gegen das Ende von Rossinis Oper «Il Barbiere di Siviglia» geschieht es. Der «Liebesterror»-Trupp um den sympathischen Zuhältertyp Figaro hat endlich Rosina aus der Quarantäne befreit. In die hat sie hier ihr Vater, der Virologe Bartolo gesteckt, um sie vor der Ansteckung durch das Virus und voe den Nachstellungen ihres Liebhabers Graf Almaviva zu schützen. Da stürzen alle Schranken und Regeln ein.

Sogar die futuristischen Soldaten, die in dieser «kontaklosen» Zukunftsgesellschaft Corona-Abstände und -Hygiene durchsetzen, reissen sich ihre Masken und Desinfektions-Tornister vom Leib und küssen sich hemmungslos auf grossformatigen Filmprojektionen. Rosina und ihre jungen Befreier streifen sich die Kleider vom Leib und feiern in Unterwäsche Party. Bis der auf der Wendeltreppe hingestreckte Virologe sie in Panikstarre versetzt: ein «Virustoter»!

Corona-Produktion mit einem Kompromiss

Damit ist diese erste Oper seit dem Lockdown am Luzerner Theater explizit eine Corona-Produktion. Berger thematisiert, wie die Angst vor einem Virus eine repressive Gesellschaft hervorbringt – omnipräsent durch die apokalyptische Viruspolizei – und eine Jugendrebellion gegen die «Lustverneinung» mobilisiert. Das mag damit zusammenhängen, dass Berger erst vor zwei Monaten einsprang. Und umso erstaunlicher ist, wie schlüssig er das Coronathema auf die Komödie projiziert und diese dem Thema anpasst.

So ermöglicht die Streichung aller Rezitative eine neue Rahmenhandlung. Fiorello treibt sie als Drahtzieher und eine Art Fridays-for-Future-Aktivist voran und erläutert sie immer wieder dem Publikum. Damit ist diese Produktion auch in der drastischen Kürzung auf weniger als zwei Stunden eines jener neuen Formate, die viele sich von Corona erhofft hatten.

Musikalisch allerdings war die ebenfalls Corona-bedingte Lösung mit nur dreizehn Musikern im «Globe» des Theaters eine Enttäuschung. Zwar bot die mit einem purzelnden Marimba und Akkordeon angereicherte Fassung allen Drive und Schmelz, den Rossinis spritzige Musik verlangt (Musiker des Luzerner Sinfonieorchester unter der Leitung von Alexander Sinan Binder). Aber weil die Musiker hinter der drehbaren Wendeltreppe als zentralem Bühnenelement platziert sind, ist eine Verstärkung erforderlich, die über weite Strecken ein künstliches, ja aufgeblähtes Klangbild ergab. Das ermöglicht einen süffigen Sound, aber wer es ganz «live» besser mag, wird in den Aufführungen auf der Bühne (mit vollem Orchester im Graben) besser bedient sein.

Ensemble mit starken Stimmen und viel Komik

Keine Corona-Einschränkungen gibt es beim Spiel auf der Bühne, wo Berger auf dem Treppenkarussell gängige Komödienregister bis hin zum Slapstick zieht und viele Lacher erntet. Die Komik liegt vor allem in den Figuren, wobei einem das Corona-Lachen auch mal im Hals stecken bleibt. Etwa bei der Koloraturspritze für die Rosina von Diana Schnürpel, die das ganze Ensemble überstrahlt. Unglaublich, wie sie mit tänzelnder Stimme das süsse Mädchen mimt und als freiheitsdurstige «Viper» ihre Koloraturen wie Messerstiche platziert.

Dagegen hat der panikgetriebene Virologe Bartolo trotz der Autorität von Flurin Caduffs Bassstimme keine Chance. Das gilt auch für das schräge Rebellentrio. Der klunkerbehangene Eungkwang Lee als Figaro, der schmelzzarte Tenor von Hyoiong Kim als opportunistischer Graf-Liebhaber und Robert Maszl als augenzwinkernder Rucksackrevolutionär Fiorello scheitern beim Versuch, mit ihrer Liebesintrige das sterile Social Distancing abzuschaffen. Das gibt dem Abend zum Schluss eine ebenso komische wie melancholische Pointe: Nicht nur angesichts von Corona ein starker Start in die Opernsaison.

Nächste Vorstellungen: 25., 27. September, 1., 2., 16. Oktober (ab da mit Orchester und Alexandre Beuchat als Figaro, bis 31. 12).www.luzernertheater.ch