Oper ist, wenn am Ende einer stirbt. Und Marina Abramović hat dieses Konzept in ihrem neuen Projekt auf die Spitze getrieben.Nach mehrmonatiger Verspätung wurde 7 Deaths of Maria Callas nun unter der musikalischen Leitung von Yoel Gamzou an der Bayerischen Staatsoper uraufgeführt.

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Marina Abramović
© Wilfried Hösl

Schon seitdem sie 14 Jahre alt war, so gab Abramović in einem Interview zu verstehen, war sie fasziniert von der Callas. Drei Dekaden lang begleitete sie das Konzept und es war nicht das erste Mal, dass die Primadonna assoluta in ihrem Werk auftaucht. Doch nun also endlich die langersehnte Möglichkeit, die Diva ganz ins Zentrum zu rücken. Sieben weltbekannte Arien, sieben Tode und sieben verschiedene Sichtweisen auf das immer gleiche Thema: Der Tod und wie er vom Publikum wahrgenommen wird.

Auf der Bühne steht ein einsames Bett inmitten eines überzeichneten Wolkenmeers aus Videoproduktionen. Starr und reglos liegt eine Frau unter dem schneeweißen Laken. Ist es Callas? Ist es Abramović? Die Antwort bleibt offen, auch weil die Ähnlichkeiten frappierend sind. Selbst im Besetzungsheft heißt die Rolle nur „Filmdarstellerin und Performerin“. Diese Ambivalenz ist sicherlich eines der großen Reize der Inszenierung.

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Lauren Fagan (Norma)
© Wilfried Hösl

Flirrende Streicher, schlaglichtartig unterbrochen von hellen Glocken und Bläsern, bauen einen limbusartigen Klangraum auf. Dazwischen meint man Donizetti, Bellini oder Verdi durchblitzen zu hören. Die einleitende Musik stammt von Marko Nikodijević und wurde eigens für dieses Projekt komponiert.

Eine Solistin nach der anderen tritt, langsam schreitend, über die nächste knappe Stunde aus den sich immer weiter auftürmenden Wolken hervor und gibt berühmte Arien aus den, so heißt es im Programmheft, prägenden Werken aus dem Leben der Callas zum besten. Doch die sieben Sängerinnen bleiben unscharf verschleiert hinter einem Gazevorhang. Wer singt hier eigentlich? Der Fokus des Zuschauers liegt ganz auf den Videoproduktionen, die den hinteren Bühnenraum in cineastischer Größe ausfüllt.

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Kiandra Howarth (Cio-Cio-San) und Marina Abramović
© Wilfried Hösl

Zu sehen ist jeweils Abramović mit einem Partner (gespielt von Willem Dafoe) in den verschiedensten Sterbeszenarien. Kurze narrative Chiffren zwischen den einzelnen Arien, untermalt mit Elektromusik vom Band, sollen Kontext und Überleitung liefern. Zu den Klängen von Madama Butterfly verendet sie Elends an einer Gasvergiftung in einer postapokalyptischen Sperrzone. Bei Norma schreitet das Paar in den gemeinsamen Liebestod in ein Flammenmeer und zu Tosca wählt sie den Freitod und stürzt sich von einem Wolkenkratzer. Starke und eindringliche Bilder, welche die Performerin ihrerseits als Diva etablieren vermögen.

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Adela Zaharia (Lucia Ashton) und Marina Abramović
© Wilfried Hösl

Umso interessanter ist die Auswahl der Hauptrollen: Norma, Lucia und Tosca – hier steht die Verbindung zu Callas außer Frage. Bei Carmen oder Cio-Cio-San, und erst recht Desdemona, ließe sich indes streiten. Und genau hier gerät das Konzept ins Wanken und die Illusion zerbricht. Geht es hier wirklich noch um die wohl bekannteste Operndiva des 20. Jahrhunderts oder um eine Selbstinszenierung von Abramović?

Und so wirkt die Aneinanderreihung der sieben Arien stellenweise nur wie eine x-beliebige CD aus dem Kaufhausregal mit gängigen Opernklassikers. Sie waren nicht viel mehr als die Untermalung für bewegte Bilder mit Abramović im Zentrum. Egal ob das Lauren Fagan als Norma, Hera Hyesang Park als fabelhafte Violetta Valéry, Adela Zaharia als starke Lucia Ashton oder Selene Zanetti als Floria Tosca – die sängerische Leistung geriet dermaßen in den Hintergrund, dass sich das Publikum nicht einmal zum Szenenapplaus bewegen ließ.

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Nadezhda Karyazina (Carmen) und Marina Abramovi
© Wilfried Hösl

Am Ende steht Abramović als Reinkarnation von Callas selbst auf der Bühne und spielt, begleitet von nun hoch-dramatischen und schlagspiellastigen Klängen von Marko Nikodijević, den echten Tod der Callas in der Avenue Georges-Mandel Nr. 36 in Paris nach. Höhepunkt und Gänsehautmoment ist sicher, als zu den originalen Tonaufnahmen von „Casta Diva” Abramović in einer goldenen Glitzerrobe die Bühne vereinnahmt und das Bayerische Staatsorchester den Glanz vergangener Zeiten aufleben lässt.

Nur wenige Takte zuvor war die Callas durch eine Hintertür – ganz ohne Herzinfarktsszene – von der Bühne entschwunden. Zufall oder Absicht? Abramovićs nächstes Project heißt jedenfalls Afterlife. Ob es nun als Verneigung oder Zynismus verstanden werden kann, dass die sieben Solistinnen nach dem Abgang der Callas das Apartment der Diva aufräumen, muss wohl jeder für sich selbst entscheiden.

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Marina Abramović
© Wilfried Hösl

Und dann heißt es auch schon Vorhang runter, Maske auf. Insgesamt nur 500 Zuschauer waren für diese außergewöhnliche Uraufführung zugelassen. Vielleicht fiel der Schlussapplaus für dieses moderne Konzept, welches die traditionellen Grenzen von Oper in Frage stellt, deswegen auch weniger frenetisch aus. 

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