Jenseits von Corona

Maximaler Minimalismus: Christof Loy inszeniert "Così fan tutte" bei den Salzburger Festspielen

03.08.2020 | Stand 23.09.2023, 13:19 Uhr
Perfekte Ensembleleistung: Lea Desandre (Despina), Marianne Crebassa (Dorabella) und Elsa Dreisig (Fiordiligi) in Mozarts Oper "Cosi fan tutte" in Salzburg. −Foto: Rittershaus,dpa

Salzburg - Minimalismus ist wahrscheinlich die beste Waffe der Künstler gegen die Zumutungen der Corona-Krise.

Unter den Bedingungen von gelichteten Zuschauerrängen, rigiden Abstandsregeln und ausgedünnten Orchesterkonzerten werden die Umstände des Verzichts immer wieder zum ästhetischen Prinzip erhoben. Oder die weltumspannende Epidemie wird gleich selbst zum Thema der Veranstaltungen gemacht. Auf diese Weise ist etwa die Ingolstädter Kulturszene wiederholt mit der Seuche umgegangen, wie zuletzt Leni Brem im Altstadttheater, die speziell ein luftig-leichtes Boulevard-Stück über die Sehnsucht nach körperlicher Nähe geschrieben hat. Passender Titel des Dramas: "Anderthalb Meter".

Auch in der zweiten großen Opern-Inszenierung der Salzburger Festspiele, Wolfgang Amadeus Mozarts komische Oper "Così fan tutte", herrscht radikaler, kunstvoller Minimalismus - und gleichzeitig maximale Kunstfertigkeit. Mit Covid-19 hat das allerdings nichts zu tun. Wie überhaupt auf seltsame Art und Weise die Festspiele an der Salzach mit der derzeitigen Krise gerade nicht umgehen, sie vielmehr ausblendet, verdrängt. Sie spielt eine Rolle im Foyer, wenn das Publikum maskiert zu den Eingängen drängelt, sie macht sich bemerkbar im Saal, wenn der Nebenplatz frei bleiben muss - auf der Bühne und im künstlerischen Programm der Festspiele kommt Corona aber nicht vor. Das Festival soll offenbar möglichst genau so wie immer über die Bühne gehen, als wäre weiter nichts geschehen.

Und zwar so schön wie Christof Loys "Così"-Inszenierung im Großen Festspielhaus. Im strahlend weißen Bühnenbild verzichten der Regisseur und sein Bühnenbildner Johannes Leiacker auf beinahe alles, was Inszenierungen lebendig macht: Lediglich zwei große Türen sind symmetrisch in die Wand eingelassen, davor einige bühnenbreite Treppenstufen. Die Kostüme kultivieren fast immer edles Schwarz-weiß. Einmal, in der Serenaden-Szene, öffnet sich für einige Minuten die Wand und gibt den Blick frei auf eine Platane. Ansonsten? Nichts. Der weiße Nicht-Raum bietet natürlich ein perfektes Umfeld für die berühmte Versuchsanordnung, die Mozart und sein Librettist Lorenzo Da Ponte entworfen haben: die Treueprobe der zwei jungen Liebhaber für ihre Verlobten. Die beiden verlassen ihre Geliebten, um vermeintlich in den Krieg zu ziehen; sie kehren allerdings verkleidet zurück und stellen inkognito die jungen Frauen auf die Probe - das Experiment fällt eher ernüchternd aus. Denn: So machen es schließlich alle - Così fan tutte.

Dass Loys reduktionistisches Konzept so überwältigend gelingt, ist natürlich allein der Personenführung, den fantastischen Sängerdarstellern und den hinreißenden Wiener Philharmonikern unter der Leitung der neuen Nürnberger Generalmusikdirektorin Joana Mallwitz zu verdanken. Die sechs Darsteller agieren tatsächlich umwerfend körperlich, witzig, reaktionsschnell. Die große Überraschung ist dabei der Salzburg-Neuling Elsa Dreisig, die mit ebenso starkem wie glasklarem, manchmal tiefgründig-traurigem Sopran die Fiordiligi verkörpert. Mit Andrè Schuen, der über einen leichten, sehr farbigen Barton verfügt, bildet sie ein Traumpaar. Bogdan Volkov als Ferrrando bringt einen wunderbar feinfühligen Mozart-Tenor ein, seine Geliebte Dorabella, gespielt von Marianne Crebassa, singt warm und dunkel.

Kaum weniger Eindruck machen der im Laufe des Abends immer derangierter wirkende Strippenzieher der Intrige, Don Alfonso, dargestellt von Johannes Martin Kränzle. Und nicht zuletzt die gar nicht so klischeehaft kammerzofenhafte Despina (Les Desandre).

Diese Inszenierung bewegt, weil sich alles auf die sechs Sänger konzentriert, die auf höchstem Niveau singen und sehr viel über Liebe und Lüge, Täuschung und Aufrichtigkeit offenbaren, vor allem das, was sehr fein eingewebt in Mozarts Musik zu entdecken ist. Da spielt es fast keine Rolle, dass Mallwitz und Loy vor der Premiere die Oper um rund eine Dreiviertelstunde kürzen mussten. Das Musikdrama funktioniert auch so, in einer ohnehin beschleunigten Welt kann leicht über kleine inhaltliche Lücken hinweggespielt werden.

Einen großen Anteil am Erfolg hat auch Joana Mallwitz am Dirigentenpult. Sie ist tatsächlich die erste Frau, die eine Premiere der Salzburger Festspiele dirigiert. Und gleichzeitig ist es die erste Zusammenarbeit der Dirigentin mit den Wiener Philharmonikern. Auch das also ein Experiment. So rasant und hochkonzentriert wie Mallwitz zum Dirigentenpult eilt, so stringent dirigiert sie auch. Der mozartisch-weiche Wiener Orchestersound ist bei ihr niemals kitschig-süßlich. Fast noch eindrucksvoller als die blitzend-virtuose Ouvertüre ist ihre Kunst der Begleitung, die so klug austariert, so spannungsgeladen ist, dass man manchmal mehr auf die Dirigentin achtet als auf die Sänger.

So ist Joana Mallwitz wahrscheinlich der wahre Star dieser Produktion, die mit dem größten Beifall belohnt wird. In einer Inszenierung, die so schön, so zeitlos ist, dass sie uns von den Stühlen reißt. Da haben wir Corona und den lästigen Mund-Nase-Schutz bereits fast vergessen.

DK


ZUM STÜCK
Theater:
Großes Festspielhaus Salzburg
Inszenierung:
Christof Loy
Musikalische Leitung:
Joana Mallwitz
Orchester:
Wiener Philharmoniker
Weitere Termine:
5., 9., 12., 15., 18. August.
Übertragung im Internet:
Arte concert.

Jesko Schulze-Reimpell