SALZBURGER FESTSPIELE 2020    
             
ELEKTRA   Premiere: 01.08.2020
Musikalische Leitung:: Franz Welser-Möst
Regie: Krzysztof Warlikowski
Bühne und Kostüme: Matgorzata Szczesniak
Beleuchtung: Felice Ross
Video: Denis Guéguin
Choreografie: Claude Bardouil
Dramaturgie: Christian Longchamp
Photo shows:Tanja Ariane Baumgartner, Ausrine Stundyte, Asmik Grigorian
Bernd Uhlig / Salzburger Festspiele
Fulminante Premiere

„Elektra“ und die Erlösung

Erfolge kann man im Bereich der Bühnenkunst bekanntlich schlecht programmieren. Und in Zeiten von Covid-19 schon gar nicht. Mit der ersten Premiere im Hundertjahrsommer haben die Salzburger Festspiele alles auf eine Karte gesetzt. Das Risiko ist belohnt worden. Nach der 2018er „Salome“ bringt mit der „Elektra“ erneut eine Richard-Strauss-Oper den Salzburger Homerun, mit Ausrine Stundyte in der Rolle der Elektra als neuem Star und einer Oper, die sich ungewollt wie eine Parabel auf die Gegenwart liest.

„Elektra“ wurde am Samstagabend in einer coronavirusssicherheitsbestuhlten Salzburger Felsenreitschule als eine Erlösung gefeiert. „Die Tat ist wie ein Bett, in dem die Seele ruht“, verkündet Elektra an diesem Abend und bringt die Psychoanalyse der Zeit, in dem Libretto und Oper entstanden sind, auf einen archaischen Punkt: Selbst die brachialste Art, sich der eigenen Vergangenheit und Aufgabe zu stellen, soll die Erlösung bringen.

Ob man nicht auf Zeit errettet ist, diese Frage nahm das Premierenpublikum mit aus der Vorstellung, in der Hoffnung und Abgrund nur durch einen schmalen Grat getrennt sind. Ob da der Stoß Desinfektionsmittel beim Rausgehen aus der Felsenreitschule Sicherheit und Halt geben würde?

Strauss, Hofmannsthal, Reinhardt

Überhaupt wurde an diesem Abend die besondere Liaison von Richard Strauss, Hugo von Hofmannsthal und der Max-Reinhardt’schen Festspiel-Idee deutlich: Wenn schon Moderne, wenn schon Innovation, dann muss diese massenkompatibel und publikumsverträglich sein. Das ist die Musik von Richard Strauss. Denn dort, wo er wagt, spannt er zur Sicherheit immer einen motivischen Sicherheitsfallschirm zur Welt Richard Wagners auf. So lässt sich in das ungestüme 20. Jahrhundert und seine Abgründe blicken, ohne dass man dauerhaft erschüttert sein müsste.

Gesamtbild der Bühne mit herunterrinnender Blut-Projektion
Bernd Uhlig / Salzburger Festspiele
Familienaufstellungen in Mykene gehen selten glimpflich aus

Familienaufstellung nicht auf Krankenschein

Der geschichtsbewusste Intendant mit Kenntnis der Salzburger Welttheater-Topografie weiß das – und legt nicht umsonst seine Opernwagnisse mit Strauss an: 2018 die Castellucci-„Salome“ mit der davor im Salzburger „Wozzeck“ approbierten Asmik Grigorian als Salome. Ein Hochrisikospiel. Gewonnen. Heuer die zwei Jahre nach der „Salome“ uraufgeführte „Elektra“ – mit Grigorian in der Rolle der Elektra-Schwester Chrysothemis.

Und in der Hauptrolle der dunkeltönenden Sopranistin Ausrine Stundyte. Man hat sich gewünscht, dass die junge Litauerin ähnlich wie Grigorian vor zwei Jahren die Frau der Stunde ist – und sie ist diesen Erwartungen gerecht geworden. Und auch wenn sie den Abend wie die Salome davor im weißen Kleid verbringt, ist diese Sängerin ganz anders: von einer beinahe ungreifbaren Schönheit, einer Dramatik, die Stärke und Brüchigkeit zusammenzuführen vermag.

Grigorian lässt sich neben Stundyte nicht kleinkriegen, auch wenn die Chrysothemis ja die Antithese zur Elektra ist: pragmatisch, eine nötige Echokammer für ihre Schwester – und am Ende auch sehr flexibel, sich auf die neue Situation einzustellen – wo Blut war, kann man schon mal mit dem Schrubber drüber gehen, signalisiert die Frau im silbernen Business-Zweiteiler. „Ich bin ein Weib und will ein Weiberschicksal“, legen ihr Hofmannsthal und Strauss in den Mund. Grigorian kümmern diese Sätze nicht. Selbstbewusst dagegen halten, ist, gerade auch sängerisch, ihr Motto in dieser Frauenoper, die in manchen Untertönen dann doch auch die Alte Schule des männlichen Denkens markiert (musikästhetisch wenig Wunder, wenn Strauss sogar in seinem Mykene immer auch die Hörner der Wagner-Oper bereithält – man weiß ja nie, wie das Publikum alles verträgt).

Applaus und Erlösung

Asmik Grigorian und Ausrine Stundyte wurden am Ende der „Elektra“-Premiere gefeiert

Eine Brandrede am Anfang

Tatsächlich war es heikel, diese Aufstellung zu wagen. Regisseur Krzysztof Warlikowski lässt die Oper ja mit einer von Hofmannsthal geborgten Brandrede der Klytämnestra, prägnant und bestimmt von Tanja Ariane Baumgarter verkörpert, beginnen. Wer den Plot kennt, weiß, dass in dieser Familienaufstellung nicht auf Krankenschein, sondern blutig abgerechnet wird.

Bekanntlich hat Elektra seit Sophokles ja ein Thema in ihrem Lebensrucksack: die Rache am getöteten Vater. Der ja vielleicht wieder getötet wurde, weil er Iphigenie den Göttern geopfert hat. Andererseits macht die Oper klar: Klytämnestra ist abseits aller Begründbarkeit für den Gattenmord einfach auf absolutistische Macht aus und hat sich mit dem neuen Stiefvater Ägisth (Michael Laurenz) einen ähnlich gesinnten Lebensgefährten nach Mykene geholt.

Eine klare Botschaft für die Mutter

Elektras Schwester Chrysothemis sucht das Arrangement im Staat und will die von der Rache ferngesteuerte Schwester pragmatisch auf Linie bringen. Doch Elektra kann und will nur Rache. Wir schreiben mit der Hofmannsthal-Bearbeitung das beginnende Zeitalter der Psychoanalyse, und da wird man die Geister der Vergangenheit nicht los. Das muss schließlich auch Klytämnestra erfahren, die bekanntlich so schlecht träumt, dass sie sogar Elektra fragt, welches Mittel sie von den schlechten Träumen befreien könnte. Elektra ist in dieser Frage letztlich direkte Antwort und verkündet ihr die simple Losung: Traum aus heißt Leben aus!

Ausrine Stundyte und Asmik Grigorian als Schwestern auch der Bühne
Bernd Uhlig / Salzburger Festspiele
Zwei Töchter, Elektra links, Chrysothemis rechts, und die Mutter in der Mitte

Eine Beteiligung von Männern ist in der ersten Hälfte dieser Oper nicht gefragt. Überdies ist es keine Stunde des Appeasements. Der totgeglaubte Bruder Orest (Derek Welton) kehrt zurück. Und auch wenn ihn der Norwegerpulli, in dem er steckt, nicht als Tatmenschen ausgibt, wird er doch den Plan der Schwester vollenden und die Mutter und den Stiefvater hinrichten.

Salzburger Festspiele mit Premiere von „Elektra“

Diese Salzburger Festspiele werden zweifelsfrei wegen der CoV-Sicherheitsmaßnahmen in die Geschichte eingehen. Aber am Samstag überwiegt einmal die Freude, die 100. Jubiläumsausgabe eröffnet zu haben. Die erste Premiere: Richard Strauss’ Drama „Elektra“ mit spannender Besetzung.

Warlikowskis Therapieraum

In einem dunklen Würfel, dem Haus der „Familie“, lässt Regisseur Warlikowski diese Lesart von Psychoanalyse enden. Konnte man am Anfang hineinblicken in dieses glatte Haus der Macht, ist in der Stunde des Gemetzels das Licht aus. „In der Antike wurde auch keine Hinrichtung gezeigt“, so Warlikowski, der die Felsenreitschule gerade wegen ihrer Archaik so schätzt.

Vielleicht ist der Mord an Mutter, Vater und den Machthabern ja Erlösung und Katharsis. Doch folgt man Strauss bis in die letzten Takte seines Werkes, dann ist die Botschaft klar: Der Tanz der Elektra ist so verrückt wie der Tanz der Salome. Es gibt keine Erlösung. Geschichte dreht sich immer wieder auf sich selbst zurück. Und Elektra ist die Figur, die von der Abrechnung getrieben ist und keine neue Rolle finden wird.

Wenn es zwischen dem Publikum und der Bühne so etwas wie eine Form der Empathie gab, dann an diesem Abend. Der Applaus galt auch der Unbeugsamkeit, sich nicht unterkriegen zu lassen. Und man bekam hier eine „Elektra“, die wenig Wünsche offen ließ. Vielleicht nur den: weniger Blutspritzer als Projektion auf dem Stein der Felsenreitschule.

Premiere von „Elektra“ bei den Salzburger Festspielen
ORF.at
Frenetischer Schlussapplaus nach knapp zwei Stunden „Elektra“

Salzburg und Welser-Möst

Franz Welser-Möst setzte auch mit dieser Strauss-Interpretation seinen Salzburg-Auftrag fort: Und das ist wohl die Repositionierung seines Images und Tuns. Er führte die Philharmoniker beinahe noch besser als bei der schon legendären „Salome“. Seine Liebe gilt der Erkennungsszene zwischen Elektra und Orest. Hier Strauss zu würdigen, als den gerissenen Könner, der Abgrund kann und Pathos – und doch das Einverständnis zwischen schicksalshaft verbundenen Geschwistern in Noten zu setzen vermag – das ohne jede Verkitschung so direkt und nuanciert zum Ausdruck zu bringen, war einer der ganz großen Momente an diesem Abend.

Hinweis:

„Elektra“ ist bei den Salzburger Festspielen noch am 6., 10., 16., 21. und 24. August zu sehen.

ORF2 zeigt „Elektra“ am 10. August – mehr dazu in tv.ORF.at.

Die Ö1-Übertragung ist noch eine Woche auf oe1.ORF.at verfügbar.

Botschaften für 2020

Man hält den Salzburger Festspielen gern das Elitäre vor und unterstellt ihnen den reaktionären Geist mancher Nachkriegsjahre. Tatsächlich aber erkennt gerade Intendant Markus Hinterhäuser die Chance, die nur ein Festival gegenüber dem Repertoirebetrieb bietet. Stars macht man hier, auf der kurzen Rampe eines Sommers. Heuer ist die Aufmerksamkeit noch fokussierter, beinahe schon überspannt.

Jetzt kann man hier punkten, wenn die Inszenierung gegen die Zeichen der Zeit auf der Bühne ist und durch ist. Die Aufmerksamkeit für Salzburg 2020 wird genützt für starke Frauen. Nach Asmik Grigorian ist nun mit Ausrine Stundyte die Sängerin der Stunde im Rampenlicht. Und gleich am Tag danach steht mit Joana Mallwitz bei der „Cosi“ erstmals eine Frau am Opernpult in Salzburg. Wenn jemand die Zeichen der Zeit im etablierten Kulturbusiness erkannt hat und nutzt, dann ist es Hinterhäuser. Und er riskiert nicht wenig bei diesem Ansatz. Fürs Erste ist die Rechnung in Salzburg aufgegangen.