Starkes Bühnenbild, das starke Bilder ergibt.

APA

Der so bedauerliche wie dramatische Sachverhalt ist vermutlich bekannt: Der von Christoph Waltz für das Beethoven-Jahr 2020 inszenierte "Fidelio" konnte am Theater an der Wien nicht mehr erleben, was Premiere genannt wird. Aufgrund der ersten Coronavirus-Verordnungen wurden jedoch einige Proben (ohne Publikum) aufgezeichnet, um die Inszenierung der zweiten "Fidelio"-Fassung (aus 1806) in TV-Form zu bannen, deren Bildregie Felix Breisach oblag.

Wer vom Opernsofa aus (auf ORF2) dabei war, spürt bereits in der Ouvertüre, dass konzentriert und in besonderer Atmosphäre gearbeitet wurde. Dirigent Manfred Honeck und die Wiener Symphoniker, die auch bei ihren letzten Publikumskonzerten überragende Form bewiesen, klangen impulsiv und fokussiert, wenn es darum ging, die scharfen Akzente herauszumeißeln, welche dem Dirigenten vorschwebten.

Blaue Flecken

Regelrecht malerisch übermächtig das Bühnenbild, in dem ein Gefangener zu Beginn herabtorkelnd blaue Flecken sammelt (Bühne: Architekturbüro Barkow Leibinger). Die Fallhöhe für ihn ist beachtlich: Ein geschwungener Kosmos aus Stufen ergibt zwei ineinander verschmolzene riesige Wendeltreppen. Die Protagonisten scheinen somit in einer abstrakten Höhle gefangen, in der sich das Drama um Freiheit und Humanismus abspielt. Die Atmosphäre erinnert an eine Kontrollgesellschaft, wie sie in der Verfilmung von George Orwells 1984 durch Regisseur Michael Radford inszeniert und eingekleidet wurde. Das schmucklose, entindividualisierte Äußere suggeriert jedenfalls ein streng überwachtes, militaristisches Milieu (Kostüme: Judith Holste), das auch am Schluss dominiert. Das Ganze hat nichts von einem Happyend, außer vielleicht für den kontrollierenden "Großen Bruder".

Das Ambiente wäre vom Zuschauerraum aus sicher imposant gewesen. Es ist allerdings selbst im TV von atmosphärisch kühler Kraft, und dennoch bietet es den Figuren "Space". Bereits der erste Dialog zwischen Marzelline (Mélissa Petit) und dem heiratsversessenen Jaquino (Benjamin Hulett) zeigt: Waltz hat in diesem Seelenkerker der Treppen die genaue Geste gesucht und besonders bei diesem "Paar" gefunden. Zwischen den beiden spielt es sich ab, Abweisung, Mitleid, Begehren und Aggressivität befinden sich quasi im wütenden Dialog. Es ist ein bisschen die Ausnahme.

Gute Sängerinnen

In seiner insgesamt dritten Operninszenierung hat Waltz eine Geschichte ohne besondere Subjektivität erzählt und die auch eher skulptural angelegt. Der gute Arnold Schoenberg Chor bewegt sich jedenfalls konventionell. Bei den vokal hochkarätigen Protagonisten leuchtet zwar im Closeup manch Detail intensiv auf. Nicole Chevalier als grandiose Leonore, Eric Cutler als intensiver Florestan, Gábor Bretz als Don Pizarro, Christof Fischesser als profunder Rocco und Károly Szemerédy als Don Fernando bleiben darstellerisch letztlich aber im routinierten Bereich.

Dirigent Honeck und die Symphoniker brachten jedenfalls eine vielschichtige Ausdruckswelt zum Klingen. Inklusive Nuancen, soweit man dies wegen des – der Coronavorsicht geschuldeten – Home-Office beurteilen kann.

Am Ende eine Szene, die bei dem zwischen Individuen mittlerweile erbetenem Abstand so nicht mehr möglich wäre. Von Waltz aufgefordert, applaudierten alle auf der Bühne zusammengerückten Beteiligten in den fast leeren Zuschauerraum. Mögen sie alle gesund geblieben sein. (Ljubisa Tosic, 21.3.2020)