Monumentalität ist Immo Karamans Sache nicht: der Regisseur mit deutsch-türkischen Wurzeln schiebt in der Wiederaufnahme der 2010 erstmals gezeigten Produktion des Nabucco am Staatstheater Nürnberg allen Prunk zwischen königlicher Goldbrokatkulisse und religiösem Tempelsilber beiseite und erfindet den Rahmen einer Stummfilm-Produktion, in die die Auseinandersetzung zwischen Hebräern und Babyloniern einbezogen wird. Und Rahmen ist ganz wörtlich zu nehmen, bestimmt doch der große silbrig glänzende Rahmen einer aufgeklappten Kulissenbox im schwarzen Bühnenraum die Szenenfolge, prägen sich im fokussierten Lichtkegel an die Leinwand projizierte abwehrende Handbewegungen und vorüber huschende Silhouetten der Sänger in die Erinnerung ein.

Leinwandtexte titeln hilfreiche Erklärungen zwischen die Szenen. Schwarz ist auch die Farbe der in die babylonische Gefangenschaft deportierten Hebräer, und selbst den Babyloniern gestehen Okarina Peter und Timo Dentler (Bühne und Kostüme) nur wenig zusätzlich anthrazit oder silbern verbrämte Gewänder zu. Wie in den schwarzweißen Streifen der Zwanziger Jahre, die an Stelle der Tonkulisse extrovertiert aufgeladene Bewegungsabläufe zeigen, spielen die Sänger in oftmals scheinbar überzeichneten Szenenbildern, bei denen gerade die Überspitzung als Mittel zur ironisierenden Kennzeichnung erfolgreich trägt. Und erst wenn schließlich alle Szenen „im Kasten“ sind, dürfen pastellblaue und sanft rote Töne wie in alten Postkarten ins Spiel kommen.

Nach zwei wenig erfolgreichen Frühwerken war Nabucco so etwas wie die Nagelprobe, hätte in der Depression nach dem Tod von Ehefrau und zwei Kindern den Schlussstrich unter Giuseppe Verdis Komponieren bedeuten können. Aber er erkannte sofort das dramatische Potential dieses Librettos von Temistocle Solera, das angesichts der Sehnsucht nach Freiheit im italienischen Volk zwischen den politischen Zentren in Österreich und dem Vatikan zum ersten überwältigenden Bühnenerfolg wurde.

Die Freiheit hatten die Juden nach der Zerstörung Jerusalems 586 v. Chr. verloren, Nebukadnezar entführte einen Teil des Volkes nach Babylon. Rund 70 Jahre dauerte diese Erniedrigung; die Verbannten wurden nicht eigentlich gefangen gehalten, sondern fanden als Siedler und Bauern Beschäftigung. Sogar die Liaison zwischen Babyloniern und Juden war möglich. Aber das Verbot des althergebrachten Gottesdienstes und der Hohn der assyrischen Gegner wurde als göttliches Strafgericht empfunden, alttestamentliche Psalmen geben ergreifend die Volksstimmung wieder.

Und es geht – wie in fast jeder Oper – um Liebe: Abigaille, vermeintliche erstgeborene Tochter von Nabucco, liebt Ismaele, einen Neffen des hebräischen Königs; der jedoch liebt ihre Schwester Fenena, die ihm das Leben gerettet hatte. Abigailles Zuneigung lässt ihn kalt; da versucht sie, Nabucco die Macht zu entreißen, der eigentlich seine leibliche Tochter zur Herrscherin krönen möchte. Doch die bekennt sich zum jüdischen Volk, bereit sogar zu sterben. Ihr Vater, zeitweise im Machtwahn verwirrt, rettet sie vor dem Tod. Und fürs konstruiert wirkende Happy End lässt Verdi Abigaille umkommen, in Nürnberg unter einstürzenden Tempelmauern.

Sangmin Lee hinterließ in der Partie des Nabucco den stärksten Eindruck: seine Auseinandersetzung in der Rolle zwischen Gott und Herrscher, Vatergefühlen und Wahnsinn war überzeugend, in seinem dunkel-timbriertem Bariton ausdrucksstark gefüllt von kraftvollen wie lyrischen Facetten.

Die Gestalt der in aberwitziger Virtuosität Machthunger und Gefühlskälte versprühenden Abigaille verlangt viele hochdramatische Spitzentöne: Katia Pellegrinos gesangliche Attacke wirkte anfangs oft schrill und übersteuert. Dass sie im zweiten Bild in ihrer großen Szene „Anch’io dischiuso un giorno” auch zu berührenden, stimmlich zurückgenommenen Momenten fand, wurde mit verdienten Szenenapplaus belohnt. Amüsant zu Beginn des dritten Bildes „È l'Assiria una regina”, wenn Pellegrino, ganz im Stil einer Diva am Filmset, dreimal startet, bis der bequemste Thronschemel endlich gefunden ist.

Almerija Delic war eine beseelte Interpretin der Fenena. Sehr beherrscht und sanft berührte sie mit zauberhaftem Sopran, in leicht vibrierender Höhe oder prächtigem Brustregister wie bei ihrer leidenschaftlichen Arie „Oh, dischiuso è il firmamento” im vierten Bild.

Um Ausgleich sowie Hoffnung auf göttliche Rettung bemüht: der jüdische Hohepriester Zaccaria. Ihn verkörperte Nicolai Karnolsky mit eindrucksvollem Bass, in den Höhen glänzend, voluminös in seiner Tiefe. Als Ismaele gefiel Tadeusz Szlenkier mit klug verhalten leuchtendem Tenor-Schmelz, konnte sich gut in die klangschönen Terzette und Quartette der Ensembleszenen einbringen.

Vom Eingangschor „Gli arredi festivi” bis zum berühmten „Va pensiero, sull'ali dorata”: eine glänzende Hauptrolle liegt in Verdis Partitur immer bei den Chorsängern. Chor und Extrachor des Staatstheaters gestalteten musikalisch grandios, spielten auch konzentriert und beziehungsreich im Sinn des Rollenbilds der Stummfilmzeit. Vom Ballett der Fabeltiere bis zu den Schergen des Machthabers: auch der Statisterie machte die Freilegung ironischer Andeutungen sichtlich Spaß.

Schnelle Tempi ließen die musikalischen Wurzeln von Verdis Frühwerk erahnen und verliehen dem Werk Leichtigkeit und Esprit. Esteban Dominguez-Gonzalvo hielt am Pult die Fäden straff in der Hand, ließ trotz Verve und Durchschlagskraft die Musiker nie lärmen, das Staatsorchester mit Präzision und gut ausbalanciertem Klang aufblühen: schöner Blechbläserchoral in der Ouvertüre und wunderbar kammermusikalische Momente wie das Quartett aus Kontrabass, Cello, Englischhorn und Flöte beim letzten Auftritt Abigailles, die sich aus Reue zu ihren Fehlern bekennt.

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