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„Anna Nicole“ in Wiesbaden: Traurige Frau mit sehr großem Busen

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Anna Nicole
Elissa Huber als Titelheldin, die sich vorstellt, Marilyn Monroe zu sein. © Monika Forster

Mark-Anthony Turnages Oper „Anna Nicole“ bleibt konsequent an der Oberfläche: Bernd Mottl zeigt in Wiesbaden einen bunten, bösen Abend.

Das traurige, aber zwischenzeitlich glamourös aussehende Leben von Anna Nicole Smith, deren stark vergrößerte Brüste in einschlägig interessierten Kreisen offenbar eine Weile auf Interesse und Wohlwollen trafen, hat den englischen Komponisten Mark-Anthony Turnage zu einer Oper veranlasst. „Anna Nicole“ wurde 2011 im Royal Opera House in London uraufgeführt, vier Jahre nach dem Tod des 1967 geborenen Playmates, Partyluders, der reichen Witwe, tragischen Mutter.

Mark-Anthony Turnages Oper „Anna Nicole“ in Wiesbaden

Turnage und sein Librettist Richard Thomas blieben dabei rigoros an der bösen Schauseite des Geschehens: Der Text lässt in kurzen, auf zwei Akte verteilten Szenen die eingangs schon tote Titelheldin noch einmal von der Bahre steigen und alles noch einmal erleben. Die Fadheit einer texanischen Landjugend, die miese erste Ehe, den Weg in ein Erotik-Tanz-Lokal in Houston und zum großen Busen, die lukrative, aber trotzdem ebenfalls miese zweite Ehe, die Partys und die Drogen, die Blamagen, die Traurigkeit, die Leere, das Herunterkommen, die brutale Vermarktung von allem. Der Tod des Sohnes. Am Ende wieder der eigene Tod, der jetzt schauerlich zwangsläufig erscheint, Paradebeispiel für ein am Glück vorbeigeschrammtes Leben.

Turnage hat eine scharfe, immer wieder unterhaltsame, aber dann gleich ins Ungemütliche sich wendende Musik dazu geschrieben, angejazzt, aggressiv, fidel amerikanisch. Man kann darauf tanzen, aber man kann es auch mit der Angst bekommen. Ein Chor begleitet und kommentiert das Geschehen in den wechselnden Szenen, es gibt zahllose kleinere und kleine Rollen, die ein Theater gut beschäftigen können. Und ein beweglicher, großer Anna-Nicole-Sopran muss her, so jetzt bei der Inszenierung am Staatstheater Wiesbaden, wo sich die Sängerin Elissa Huber als perfekte Besetzung zeigt.

Mark-Anthony Turnages Oper „Anna Nicole“ bleibt oberflächlich

Elissa Huber, stimmlich sehr überzeugend, dazu mit offensivem Charme, sieht – wie Anna Nicole Smith – bei dieser Gelegenheit Marilyn Monroe ähnlich. Anna Nicole Smith, Fotos lassen es ahnen, war eine sehr vereinfachte Marilyn Monroe, Huber ist aparter, interessanter, aber darauf kommt es gar nicht an. Die junge Frau, die aus dem texanischen Kaff und aus ihrem langweiligen Leben weg wollte, nahm sich den Star jedenfalls zum Vorbild, ein trauriges Vorbild, zumal Anna Nicole Smith sich lediglich an bestimmten Kriterien orientierte. Der Haarfarbe, der Frisur, der Körbchengröße.

So handhabt es auch die Oper, und so handhabt es auch die Inszenierung von Bernd Mottl: Der Regisseur, Ausstatter Friedrich Eggert und Choreografin Myriam Lifka tun wirklich nicht so, als könnten sie hinter die Oberfläche der Klatschspalten kommen. Glitzer und Depression, mehr wird nicht zu sehen sein, davon aber ausreichend viel.

Eggert hat eine Showbühne gebaut, hinten eine Tribüne für den Chor, der die stereotype Vielfalt Amerikas zeigt (auch ein schwarzer Sportler musste her, eine vollverschleierte Muslima, ein orthodoxer Jude). Zugleich machen alle brav mit, wenn es gilt, gemeinsam zu applaudieren, zu lachen oder zu tanzen. Es ist also schon so, wie sich nicht nur Amerikaner eine gelungene Vielfalt vorstellen. Der Wiesbadener Chorleiter Albert Horne absolviert hier eines seiner Dirigate, was angesichts der starken Chorpräsenz sinnvoll ist. Das Orchester quillt über in die Seitenlogen und macht musikalisch was los, aber mit Disziplin.

Mark-Anthony Turnages Oper „Anna Nicole“ hinterlässt eine Leerstelle

Vor der Showbühne schlägt sich Anna Nicole Smith mit ihrer Familie, mit den Verwandten ihres unfassbar reichen zweiten Mannes (Uwe Eikötter), mit einem windigen Anwalt (Christopher Bolduc). Sie ist lange mit ihren „zu kleinen“ Brüsten befasst. Man hat dabei einerseits die Ironie, aber andererseits ist es wie in den vermischten Nachrichten: Hinter der Ironie gucken die Neugier und die Gier zu. Turnage komponiert auch einen Lustschrei tüchtig aus. Nur einmal singt der tote Sohn, als er aufzählt, welche Substanzen sich bei der Autopsie in seinem regelrecht zusammengebrochenen Körper fanden.

Nachher, so ist das bei den traurigen Boulevard-Themen, steht dann wieder die Frage im Raum, was das jetzt eigentlich gebracht hat. Wir haben halt alle wieder zugeschaut, wie eine Frau mit wirklich enorm vergrößertem Busen zugrunde gegangen ist, haben die Frau nicht verstanden, haben auch keine Chance dazu bekommen. Das ist konsequent, aber es bleibt eine Leerstelle – die Turnage und Thomas vermutlich im Blick haben, auf die sie setzen und die im Premierenjubel erst einmal nicht weiter auffiel.

Staatstheater Wiesbaden: 21., 28. Februar, 1., 7., 11., 19. März www.staatstheater-wiesbaden.de

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