Salome in einem blutgetränkten Negligé, sich selbst gleichsam auf einem Silbertablett präsentierend und in Händen den abgeschlagenen Kopf des Jochanaan haltend. Mit diesem ebenso ästhetischen wie grausamen Bild enden an diesem Premierenabend am Theater an der Wien 105 Minuten packenden Musiktheaters. Was in den knapp zwei Stunden davor passiert ist, lässt sich nur schwer in Worte fassen, war es doch ein Abend der klanglichen und auch der optischen Ekstase.

Als unheimlich effektvoll erweist sich nämlich das Bühnenbild von Julius Theodor Semmelmann in Form einer schlichten, mit Blütenblättern übersäten, Betontreppe in einer Art modernen Festung, in deren Mitte sich die Zisterne erhebt. Am oberen Ende der Treppe erhascht man gerade noch einige Blicke in das Esszimmer des Herodes, hinter dem sich in einigen Szenen ein überdimensionierter Mond erhebt. Verstärkt werden die poetisch-beklemmenden Stimmungen durch den klugen Einsatz des Lichts, für das Paul Grilj verantwortlich zeichnet. Ganz ohne Puppen scheint es bei Regisseur Nikolaus Habjan nicht zu gehen, Salome und Jochanaan werden gedoppelt, was der Inszenierung allerdings nicht unbedingt großen Mehrwert verleiht. Die Idee, Salome in eine Projektionsfläche in Form der Puppe und eine echte Persönlichkeit aufzuspalten, klingt auf dem Papier interessanter als in der Umsetzung dann zu sehen ist. Spannend ist neben dem optischen Bilderrausch aber ohnehin vor allem die präzise Personenregie, die der Regisseur mit dem Sängerensemble erarbeitet hat; zugeschnitten ist seine Inszenierung zweifellos auf die bühnenbeherrschende Interpretin der Titelrolle.

Marlis Petersen ist eine Sängerin, die eine Rolle nicht nur verkörpert, sondern mit ihr verschmilzt und auf der Bühne immer gnadenlos die Extreme sucht. So stöckelt sie in Habjans Inszenierung in halsbrecherischen High-Heels über die Bühne, bedient die Puppen-Version der Salome, räkelt sich in Kunstblut und beweist im stilvoll gehaltenen Tanz der sieben Schleier, dass sich die einst absolvierte Tanzausbildung auch im Opernbetrieb bezahlt macht. Dabei ist der körperliche Einsatz nie Selbstzweck, sondern dient stets dazu, die Figur in all ihren Facetten zu beleuchten und ergänzt die vokale Gestaltung perfekt. Die Stimme ist nicht nur ein Genuss an sich – so ebenmäßige Höhen und schwebende Piani hört man bei einer Salome nicht oft! – sondern wird auch intelligent eingesetzt. Wie sie mit einer Mischung aus Trotz und Unbehagen „Ich bin nicht durstig, Tetrach“ zischt oder zwischen Süße und Bitterkeit in der Szene mit Jochanaan changiert ist große Gestaltungskunst. Mit ihrem resignierten „Du hättest mich geliebt“ schaffte Marlis Petersen es schließlich, das ganze innere Drama dieses Charakters ebenso berührend wie unausweichlich auf den Punkt zu bringen.

Neben einer so überragenden Singschauspielerin nicht unterzugehen ist keinesfalls leicht, gelang jedoch dem Großteil des übrigen Sängerensembles ganz ausgezeichnet. Johan Reuters Jochanaan erarbeitete sich vor allem durch seine Stimme Präsenz, denn von der Regie wurde er von Kopf bis Fuß in dunkles Grau getaucht. Seinen Bariton setzte er gekonnt an der Grenze zwischen polterndem Fanatiker und schönstimmigem Gottesmann ein, wobei er die Stimme üppig strömen ließ. Als exzentrischen und leicht nervösen Despoten brachte John Daszak den König Herodias auf die Bühne, die schnarrende Färbung seines Tenors komplettierte seine Darstellung der Figur dabei ideal und bot einen guten Kontrast zur abgeklärt bis gelangweilt wirkenden Herodias, die Michaela Schuster mit sattem Mezzo ohne allzu große Schärfen ausstattete. Gerne noch ein wenig länger zugehört hätte man Martin Mitterrutzners elegant timbriertem Narraboth, während Tatiana Kuryatnikova als Page der Herodias einige vokale Unsicherheiten ereilten. Die vielen kleinen Rollen erwiesen sich als zuverlässige Stützen; stimmlich besonders auf sich aufmerksam machen konnte ein Mitglied des Jungen Ensembles, der isländische Bariton Kristján Jóhannesson als Erster Nazarener.

Um eine Aufführung von Richard Strauss‘ Salome an diesem Haus überhaupt realisieren zu können (und um die Musiker im relativ kleinen Orchestergraben dabei nicht übereinander stapeln zu müssen), wurde vom Theater an der Wien bei Eberhard Kloke eine reduzierte Orchesterfassung in Auftrag gegeben. Ein Risiko, das sich gelohnt hat, denn die Fassung für 59 statt 106 Musiker besticht durch eine sanfte Aufwertung der Bläser sowie eine ausgewogene Balance zwischen den Instrumentengruppen und dürfte gute Chancen haben, sich an kleinen Häusern zu etablieren. Die Befürchtung, dass durch einen schlankeren Klang die typischen Farben und die Üppigkeit verloren gehen würden, bestätigte sich keineswegs, das ORF Radio-Symphonieorchester bot unter der Leitung von Leo Hussain hundert Prozent Strauss. Mit Liebe zum Detail setzte der Dirigent auf eine psychologisch-düstere Lesart der Partitur, in der sich Rausch und Ekstase mit Sanftheit und Verzweiflung verbanden. Die Dynamik lotete Hussain mit dem Orchester in beiden Extremen voll aus, schuf einen stringenten Spannungsbogen und atmete außerdem mit den Sängern regelrecht mit; ein großer Abend sowohl im Graben als auch auf der Bühne!

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