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Kritik – "West Side Story" in Nürnberg Trump und Tribal-Tattoos

Die "West Side Story" ist die Modernisierung von "Romeo und Julia", angepasst auf das New York der 1950er-Jahre. Naheliegend also, die schwierige Liebesgeschichte von Maria und Tony ins Heute zu übertragen. Dass das allerdings nicht ganz einfach ist, zeigt sich bei der Inszenierung in Nürnberg.

Szene aus "West Side Story" am Staatstheater Nürnberg, Premiere 26. Oktober 2019 | Bildquelle: Bettina Stöß / Staatstheater Nürnberg

Bildquelle: Bettina Stöß / Staatstheater Nürnberg

Die USA sind das Land der Freiheit, der Träume, der Möglichkeiten. Oder aber das Land der sozialen Spannungen, des Rassismus, der Polizeigewalt. Diese Widersprüchlichkeit gilt heute genauso wie 1957, als Leonard Bernsteins "West Side Story" uraufgeführt wurde. Gut, dass Regisseurin Melissa King das Stück in ihrer Inszenierung am Staatstheater Nürnberg ins Heute verlegt – leider gelingt ihr das nur zum Teil.

Die Inszenierung in Bildern

Der Stoff ist natürlich viel älter, "Romeo und Julia", nur statt italienischen Adelsfamilien bekämpfen sich zwei Jugendgangs: die weißen Jets und die puerto-ricanischen Sharks, dazwischen Tony und Maria, deren gangübergreifende Liebe in der angespannten Stimmung verboten ist. Daran rüttelt auch Regisseurin King nicht.

Polizeigewalt wird deutlich gezeigt

Sowieso bleiben ihre Eingriffe recht bedächtig. So versucht sie größtenteils, Aktualität durch Anspielungen auf Donald Trump zu erreichen: Ein Gangmitglied trägt ein Shirt mit "Build the wall", auf der Mütze des rassistischen Polizisten Schrank steht "MAGA", also "Make America Great Again". Erst im zweiten Akt wird wirklich in das Stück eingegriffen: In die eigentlich utopisch-schöne Traumwelt von "Somewhere" brechen Polizisten mit Schutzschilden und Schlagstöcken ein, verprügeln die friedlichen Jugendlichen, im Hintergrund erscheint eine schockierend riesige Liste von Opfern amerikanischer Polizeigewalt. Das bedrückende Gefühl löst sich dann gleich darauf in der wunderbar vulgären Satire "Officer Krupke". Das sind die Höhepunkte dieser Inszenierung.

Die spielt zwischen hohen Stahlträgern, ein traditionelles Manhattan-Bühnenbild also. Dass diese "West Side Story" nicht modern wirkt, liegt auch an den Kostümen von Judith Peter: Die Jets sollen mit Jogginghosen und Hoodies nach weißer Unterschicht aussehen, wirken aber eher wie eine Boyband der Nuller-Jahre. Die Sharks sind dagegen eyeliner-bewehrte Netzhemdträger mit Tribal-Tattoos, die nach allem, nur nicht nach Straßengang aussehen. Es fehlt die Glaubwürdigkeit, dazu tragen auch die hölzernen Dialoge bei.

Es knallt aus dem Graben

Schade, denn sonst leistet das Ensemble eine hervorragende Arbeit: Es singt und tanzt mitreißend, mit ausdauernder Energie und Tempo, trotz der großen Tanzeinlagen. Andromahi Raptis als Maria und Hans Kittelmann als Tony sind zwei starke Hauptdarsteller. Man hört zwar ihre klassische Ausbildung, doch auch als Musicalsänger machen sie eine gute Figur. Auch die Staatsphilharmonie Nürnberg unter Lutz de Veer kann sich als Musicalorchester hören lassen. Manchmal aber verlieren sich die Musiker in den nebeneinander laufenden Rhythmen und Stimmen. Dann knallt es ziemlich ruppig aus dem Graben, Balance und Groove gehen verloren.

Unterhaltsam ist die "West Side Story" von Melissa King allemal. Wer das Original mag, der bekommt im Staatstheater Nürnberg eine gute Adaption, die traurig, lustig und mitreißend ist. Aber: Die aktuelle Gesellschaftsanalyse, die sie gerne wäre – die ist sie nicht.

"West Side Story" in Nürnberg

Weitere Informationen zur Aufführung sowie zu Terminen und Tickets finden Sie auf der Website des Staatstheaters Nürnberg.

Sendung: "Allegro" am 27. Oktober 2019 ab 06:05 Uhr in BR-KLASSIK

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