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„Gräfin Mariza“ in Wiesbaden: Geigen schallen, Lichter blitzen

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Genau richtig: Sabina Cvilak als Gräfin Mariza.
Genau richtig: Sabina Cvilak als Gräfin Mariza. © Karl & Monika Forster

Mit bonbonfarbenen Dekors, mit filmstudioreifer, beweglicher Kulisse in einem traumhaft anmutenden Landschlossklassizismus hat das Staatstheater Wiesbaden eine kapitale Operettenproduktion zuwege gebracht.

Wobei ein wenig Vergoldung und eine wie für Revueauftritte geschaffene, farbig zu beleuchtende Freitreppe nicht fehlt. Um Emmerich Kálmáns „Gräfin Mariza“ aus dem Jahr 1924 geht es bei der Inszenierung für das Große Haus, verpflichtet wurde ein Könner des Fachs: Thomas Enzinger, der sich Bühne und Kostüme von Toto hat machen lassen und die vorzüglichen Lichtstimmungen von Klaus Krauspenhaar und Sabine Wiesenbauer. Man bleibt auf dem Boden der Kálmánschen Operettentatsachen und hat nicht versucht, theatralem Belehrungsdrang Raum zu geben. Gewonnen werden so schönste interagierende Personenarrangements in dem Spiel der täuschenden Oberflächlichkeiten aus Notwendigkeit, hinter und über denen ehrenwerte und tiefergehende Beweggründe sichtbar werden.

Da ist der zum Zweck der schwesterlichen Subsistenzsicherung den Gutsverwalter der Gräfin spielende und unerkannt bleibende Graf Tassilo. Und da ist die Gutsbesitzerin, die nicht mehr an die große Liebe glaubt und eine Verlobung mit einem erfundenen, sich aber dann doch tatsächlich einfindenden Baron Zsupan plant, um die lästigen Verehrer endgültig los zu werden.

In dieser szenischen Elipse werden die beiden Zentralfiguren des Stücks zu Brennpunkten bewegender Affektivität, für die die in Wiesbaden Thomas Blondelle und Sabina Cvilak glänzende Voraussetzungen mitbringen. Cvilak mit runder, offener Stimme, ist nicht die dauer-ironische oder nur-elegante Grande Dame. Und Blondelle, ähnlich geformt im Stimmmaterial, nicht der Gutsverwalter incognito mit der gehobenen oder getragenen Ausstrahlung. Beide sind weder zu leicht noch zu stilisiert, womit sich ein realistischer Kern in ihrer Beziehungsanbahnung vermitteln lässt.

Wunderbar gelingen selbst mächtig hinlangende Szenen

Bewegungen des großen Ensembles, Tanz in ballettuöser Dimension kommen hinzu: Tanzsequenzen aus der Feder des Kálmán-Sohns Charles sowie weitere Mode-Tänze aus Kreationen seines Vaters wurden integriert. Der Schwung und das Sentiment der Musik, ihre Eingängigkeit und ihre artikulatorische Reichweite werden dadurch auch optisch unterstützt. Wunderbar gelingen dabei selbst mächtig hinlangende Szenen wie die Transformation von Csárdás-Idiomen in skat- und rapartige. Mehr als einmal hat man den Eindruck, wegen packender Operettendynamik nicht gleich nach Berlin fahren zu müssen.

Kollektivem, auch versonnen rührendem Aufschwung sowie sachten Ausklängen wird in der für Operette immer alles entscheidenden musikalischen Ebene oberste Priorität eingeräumt. Das Zentrum dieser Mischung aus extravertierter Feierlaune und introvertierter Erotik ist im Orchestergraben situiert, wo Christoph Stiller einen großartigen Eindruck macht und dem Orchester eine enorme Fülle an Artikulationsweisen entlockt. Dabei keine forcierte Zackigkeit, aber viel Atem für die liedhaften Rundungen der Form. Wo es schmissig sein muss, gelingt das natürlich perfekt.

In der Sprechführung überzeugen alle Akteure: keine Betulichkeit und keine dauer-kesse Intonation. Exzellent das aufgedrehte Puszta-Klischee des Möchtegern-Barons Zsupan, den Erik Biegel brillant gibt. Nicht zu trottelig Björn Breckheimer als Fürst Populescu. Bezaubernd in ihrer munteren Naivität die Lisa von Shira Patchornik. Beachtlich der Auftritt Désirée Nicks als Travestie-Nummer der schlussendlich alles klarstellenden Fürstin Guddenstein.

Im letzten Akt lassen der Druck und die Dichte des klingenden und bewegungsintensiven Spiels nach und macht mehr verbaler Komik Platz, deren Witz (Schönheitswahn, politische Spitzen und literarische Anspielungen) meist zündet. Wiesbaden macht Laune!

Staatstheater Wiesbaden

11., 13., 18. Oktober, 6., 15. November. www.staatstheater-wiesbaden.de

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