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„La forza del destino“ von Giuseppe Verdi, Regie: Frank Castorf, Premiere am 8.9.2019, Foto, Copyright: Thomas Aurin
„La forza del destino“ von Giuseppe Verdi, Regie: Frank Castorf, Premiere am 8.9.2019, Foto, Copyright: Thomas Aurin
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„I am American!“ – Giuseppe Verdis „La forza del destino“ an der Deutschen Oper Berlin

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Die in die Neuinszenierung der Oper „Die Macht des Schicksals“ an der Deutschen Oper Berlin eingestreuten Textblöcke evozierten bereits in der Premiere lautstarke Publikumsreaktionen und sorgten für Unterbrechungen. Zwar waren in der dritten Aufführung keine Trillerpfeifen mehr zu hören, aber erneut tobte, insbesondere im 4. Akt, ein Meinungs-Kampf in den Reihen des Publikums. Bert Brecht hätte daran seine Freude gehabt, wie nun wohl auch der Regisseur Frank Castorf. Peter P. Pachl mit Details.

Der Abend begann durchaus vielversprechend. Die in das faschistische Spanien Francos verlegte Handlung macht den Marchese von Calatrava zu einem politischen Agitator, was Steffen Bronk vor der zentralen Hakenkreuzfahne auf einem zur Polit-Bühne umfunktionierten Militär-LKW während der Ouvertüre zunächst stumm, später dann verbal überzeugend umsetzt: das gesprochene Wort als Agitation, das gesungene für die domestizierte Seite des Vaters der Donna Leonora.

Das Duett mit ihrem Liebhaber, dem Indio-stämmigen Don Alvaro, interpretiert der junge, zur Premiere kurzfristig eingesprungene Dirigent Jordi Beràcer, der Deutungsebene des Regisseurs folgend, als ein „komponiertes Vögeln“ (Castorf); dazu schlürft Leonoras mit Schmalfilmkamera bestückte Dienerin aus einem übergroßen Korb Austern – das klassische Aphrodisiakum.

Doch in seinem anschließenden Monolog enthüllt der Marchese, was dieser Korb, neben den Schalentieren, insbesondere enthält, Hunderte von ausgestochenen Augen der feindlichen Indios als ein Geschenk seiner Parteifreunde; und dies zeigt auch das Bild der stets präsenten Live-Videokamera auf mehreren Screens. Ebenso sind Nahaufnahmen der im Halbdunkel häufig schwer erkennbaren Darsteller*innen sowie das, was auf der abgewandten Seite der Drehbühne jeweils gleichzeitig gespielt wird, dominant in der Bildwelt der Szene. Das kennt man nicht nur aus Castorfs Inszenierungen an der Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, sondern auch aus seiner Bayreuther „Ring“-Inszenierung. Erneut gehören Aleksandar Denic als Bühnenbildner und Adriana Braga Peretzki als Kostümbildnerin sowie die für Video-Design und Live-Kamera verantwortlichen Andreas Deinert, Kathrin Krottenthaler und Maryvonne Riedelsheimer zu seinem Team.

In einer Ausstellung im Foyer der Deutschen Oper prangen großformatige Fotos von Denics Bühnenbildern für Opern; auf diesen Fotos wirken sie durchaus imposanter als beim Live-Erlebnis, etwa im Zuschauerraum des Bayreuther Festspielhauses. Dies liegt wohl an der besseren Ausleuchtung für diese Fotos, wohingegen Castorf auf der Bühne schummriges Licht bevorzugt.

Klassisch löst sich im ersten Bild die Kugel aus der zu Boden fallenden Pistole unabsichtlich und – Macht des Schicksals – tödlich gegen die Brust des Marchese, doch der stirbt nicht, sondern hält eine weitere politische Ansprache. Auch später wird in dieser Inszenierung niemand sterben: Don Carlo di Vargas, der selbst erkorene Rächer seines Vaters an der Schwester und ihrem Geliebten, den Markus Brück markant und verbissen verkörpert, raucht Zigaretten in Nahaufnahme und – als er von der Handlung her bereits tot ist – seine sechste Zigarette bis an den Filter (bekanntlich ein gesundheitsgefährdender Vorgang mit potenziell tödlicher Folge!).

Bereits im Gefolge des Marchese taucht ein mit Federn und Goldkettchen geschmückter, nur mit einem goldenen Slip bekleideter Indio auf. Die hinzugefügte Partie verkörpert der Tänzer Ronni Maciel, der artistisch Treppenaufbauten von außen beklettert und sich kopfüber herabhängen lässt. Weitere stumme (oder später auch melodramatisch eingesetzte) Personen sorgen durch den Blick des Kameraauges als Mafiosi und Unterdrückte für ein südländisches Ambiente im Spanien des Jahres 1943.

Der singende Mestize in der kruden Handlung von Francesco Maria Piave und Antonio Ghislanzoni nach dem Drama „Don Alvaro o la Fuerza del sino“ von Angel de Saavedra, ist hier mit dem farbigen Tenor Russell Thomas besetzt, der in der dritten Aufführung (möglicherweise im Gegensatz zur Premiere) ganz ausgezeichnet, kraftvoll, makellos und ohne schluchzende Italianità diese Partie verkörpert. Weniger nimmt man Maria José Siri die Leonora ab, obgleich die Sopranistin Verdis Ansprüchen vokal gerecht wird, mit sauberer Intonation und abgerundeter Höhe.

Mit einer zur Schmugglerszene (ausgerollte Teppiche und Dosen von Erdnüssen) umgedeuteten Gasthofszene und einer mit dem von Fra Militone (souverän: Misha Kiria) misshandelten Indio-Darsteller, der nun vor den Portalen einer Kathedrale als stummer Begleiter Leonoras fungiert, hat die Aufführung an Tempo und Witz verloren, erreicht aber nach knapp anderthalb Stunden mit katholischem Pomp die Pause.

„50th Field Hospital“ prangt über der leicht veränderten Einheitsszenerie für den zweiten Teil, der zunächst die Begegnung und kurze Waffenbrüderschaft der Todfeinde Don Carlo und Don Alvaro mit sich bringt. Doch hilf- und aktionslos steht der als Militärarzt eingesetzte Solist neben den der ärztlichen Pflege bedürfenden Alvaro und Carlo. Lazarett-Behandlungen mit viel Bühnenblut vollziehen hingegen Statisten; die Video-Schnitte gemahnen an den Film „M.A.S.H.“, wobei abermals der sich kunstvoll krümmende und zitternde Tänzer Maciel den Löwenanteil hat.

Walzerdrehungen zwischen Patienten und einer roten Krankenschwester gemahnen an Hans Neuenfels’ Verdi-Inszenierungen. Und sie richten den vergleichenden Blick jener Besucher*innen, die jene erlebt haben, auf die vorangegangene, kaum weniger umkämpfte Inszenierung von „La forza del destino“ – 1982, in der zweiten Saison der Ära Götz Friedrich. Allerdings hatte Neuenfels mit dem Chor besser gearbeitet und für die Konfrontationen der Solisten weitaus stimmigere, im Gedächtnis bleibende Bildlösungen gefunden.

Nunmehr, wie bereits in seiner Inszenierung der „Walküre“ in Bayreuth, greift Castorf zum Mittel eines alten Schwarzweißfilms mit politischem Hintergrund, einer Handlung zweier Männer in den Bergen, die um dieselbe Frau rivalisieren. Hiermit werden die Live-Bilder der immer hölzerner werdenden Personenführung kombiniert.

Opulent begründet wird dieser Kunstgriff durch einen im Bühnenbild hinzugefügten Kino-Eingang mit einer Kamera, durch welche der Duce blickt, und der Parole, das Kino sei die noch stärkere Waffe. (Angesichts medialer Fake-News und ihrer Folgen eine in der Tat zutreffende Prognose.)

Beabsichtigte Tumulte

Doch der Dauerrundlauf eines Fahnen-Abträgers ist für Verdis große Chorszene im dritten Akt als Aussage zu wenig. Und auch die an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz gern gesehene Spaghettischlacht auf einer eigens über die Vorbühne gebreiteten Plastikfolie vermag als Übersetzung der Armenspeisung durch den nun weltlich gewandeten Fra Militone dramatisch eben so wenig zu überzeugen wie der frontal ins Publikum gesungene Rataplan-Chor (des gleichwohl vokal trefflich disponierten, von Jeremy Bines einstudierten Chores der Deutschen Oper Berlin).

Als der Tänzer Ronni Maciel dann skandierend, aber mit Vertauschung von Silben und Buchstaben, Heiner Müllers Engel der Geschichte aus „Der Auftrag“ auf Deutsch und Englisch deklamiert und in einer weiteren Szene ein Dialog zwischen einem Besatzungs-Amerikaner und einer Italienerin, die er (basierend auf Curzio Malapartes Roman „Die Haut"), vergeblich zur Emigration zu überreden versucht, kommt – es neben der Diskussion über Christentum im Krieg auf der Bühne – auch im Auditorium zu den vom Regisseur beabsichtigten Tumulten. Als sich ein Amerikaner angesichts verbaler Publikums-Attacken gegen Trump meldet, „I am American!“, brandet der Kampf erst recht auf. Beschwichtigende und zum Ende der Aufführung drängende Rufe („Musik!) werden durch Lacher der Connaisseure von Castorfs jahrelanger Praxis kurz vor Ende des Spiels beantwortet.

Offenbar war bislang nur die Bayreuther Festspiel-Leitung so fürsorglich, im Vertrag mit dem Regisseur festzuschreiben, dass Frank Castorf in seiner Inszenierungsarbeit keinerlei Fremdtexte verwenden und textliche Einschübe integrieren dürfe.

Während auch Leonora überlebt, beenden filmische Bilder von nächtlichem Straßenverkehr in den Staaten – als Projektion auch noch auf den in diesem Fall tatsächlich fallenden Hauptvorhang – die Kriegskritik á la Castorf.

Anschließend viel Jubel für einen musikalisch durchaus gelungenen Opernabend.

  • Weitere Aufführungen: 21., 24. und 28. September 2019

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