Das Hausmädchen gespielt von Anita Giovanna Rosati und Der junge Mann gespielt von Thomas Lichtenecker.
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Bregenzer Festspiele

„Was geht mich deine Seele an?“

Eine spannungsgeladene, an Klangfarben reiche Musik, eine schlüssige und fantasievolle Inszenierung und ein makelloses Ensemble – besser kann eine Erstaufführung wohl nicht ausfallen. Arthur Schnitzlers einst skandalumwittertes Drama „Reigen“ wird als Musiktheater von Bernhard Lang zu einem weiteren Glanzlicht der Bregenzer Festspiele.

„Was geht mich deine Seele an?“: So knapp fertigt die Schauspielerin ihren Liebhaber ab, während sie aus dem Bett steigt. Ernüchterung, Kälte, Entfremdung folgen in Arthur Schnitzlers „Reigen“ unmittelbar auf den Sex. Und weil die Begierde alle Menschen gleich macht, tanzen sie einen trostlosen Reigen durch alle Gesellschaftsschichten.

Der Komponist Bernhard Lang greift Schnitzlers Idee von der Variation des Immergleichen in seinen Loops auf, durchsetzt sie mit Wiederholungen: „Die Zeit meiner Jugend“, beschwört der Ehemann, der sich im Hotel Orient mit einer Schülerin vergnügt, „die Zeit meiner Jugend! Die Zeit meiner Jugend!“ Und schon bei der zweiten Wiederholung ist klar: Da lügt sich einer selbst an. Im Übrigen lügen sie alle.

A walk on the wilde side

Das nämlich, betont Bernhard Lang, habe sich am Menschen nicht geändert, seit Schnitzler sein Drama 1897 schrieb. Ein „Theater der Wiederholungen“ soll das Lügen hörbar, sichtbar, erfahrbar machen. Musikalisch verlegt Lang die zehn Dialoge in die 1920er Jahre, als „Der Reigen“ erstmals aufgeführt wurde, und streut musikalische Zitate aus dieser Epoche des Aufbruchs ein – ein impressionistisches Flimmern von Claude Débussy, eine kräftige Prise Alban Berg und dazu Populäres von Swing bis Rap, von Duke Ellington bis Lou Reed.

Der Autor gespielt von Alexander Kaimbacher und Das Schulmaedchen gespielt von Anita Giovanna Rosati bei der Fotoprobe am 27. Juli 2019.
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Alexander Kaimbacher als Dichter, Anita Giovanna Rosati als Schülerin Lilly

Er habe das Glück, mit versierten Jazzmusikern zusammenarbeiten zu können, betont Walter Kobéra, der musikalische Leiter der Neuen Oper Wien. Anders wäre Langs Genremix wohl nicht zu bewältigen. In das glühende Zentrum jedes Dialogs aber, als jenen Orgasmus, den Schnitzler ja ausspart, setzt Lang ein „Zwischenspiel“, eine zwanzigstimmige Transkription von Synthesizer Spektren, mikrotonal musiziert von einem wunderbaren amadeus ensemble.

Alexandra Liedtkes Regie lässt dazu auf der Leinwand die Sozialbauten des Roten Wien einstürzen, das Hotel Orient verschwinden, sie taucht die Tiefgaragen ins Dunkel, Sportler grätschen im Dutzend über die Straßen, setzen an zum Kugelstoßen, und bisweilen dreht eine Ballerina ihre Pirouetten auf dem Schnürboden. Und manchmal dreht sich zum Orgasmus auf der Leinwand einfach nur eine Waschmaschinen-Trommel. Liedtke greift – ebenso wie die Musik Langs – die beißende Ironie Schnitzlers auf – ein wunderbar komisches Element in all den trostlosen Begegnungen.

Fantastisches Ensemble

Librettist Michael Sturminger macht aus dem Grafen einen Geschäftsmann (Marco Di Sapia) und aus dem Soldaten einen Polizisten (Alexander Kaimbacher). Transgender-Sexualität thematisiert er, indem er die Rolle der Schauspielerin mit dem Countertenor Thomas Lichtenecker besetzt. Das ebnet die gesellschaftlichen Unterschiede ein und nimmt der Schnitzler’schen Gesellschaftsanalyse einiges an Schärfe.

Die aber holt das fantastische Spiel des Ensembles zurück. Der Tenor Alexander Kaimbacher spielt den abstoßend vulgären Polizisten mit wienerischem Timbre, den Dichter, der auf Telefonsex steht, mit zuckrigem Enthusiasmus. Klare Sprachverständlichkeit ist das Um und Auf in diesem Musiktheater, und dafür garantiert Kaimbacher ebenso wie seine vier KollegInnen. Etwa die lakonische Anita Giovanna Rosati, die das Hausmädchen Marie und die Schülerin Lilly spielt – eine ebenso umwerfende Schauspielerin wie Sopranistin.

Die Schauspielerin gespielt von Thomas Lichtenecker und Der Autor gespielt von Alexander Kaimbacher bei der Fotoprobe am 27. Juli 2019.
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Countertenor Thomas Lichtenecker (l.) gibt die Schauspielerin

Sie alle spielen jeweils zwei Rollen – was dem Reigen zusätzlichen Reiz verleiht, rückt es doch in den Fokus, wie zwanghaft das Immergleiche wiederholt wird und zeigt dabei doch dessen Variantenreichtum. Am witzigsten vielleicht beim Countertenor Thomas Lichtenecker, der einerseits verzogenen Studenten und andererseits die Schauspielerin in den wohl bissigsten Duetten des Stücks musiziert – mit einer engelhaften Süße, die gern abrupt ins Schrille kippt, auch wenn die Transgender-Thematik mit Countertenor an sich etwas klischeehaft besetzt ist.

Am Ende sitzt eine Prostituierte allein auf einer Plastikbank. Barbara Pöltl – zuvor eine aufgedrehte Ehefrau – singt die Partie mit fahlen Tönen, die mitten ins Herz treffen. Eine Gesellschaftsanalyse hat Arthur Schnitzler sein Stück genannt, und Langs Musik macht die Schärfe dieser Analyse wieder erlebbar, ihren bitteren Witz und ihre sozialpsychologische Genauigkeit.