Bregenzer Festspiele: Don Quichotte oder Der Kampf gegen den Ventilator

Mit seiner zweiten Produktion bietet das Festival eine echte Alternative zum «Rigoletto»-Spektakel auf der Seebühne. Eine assoziativ offene «Don Quichotte»-Inszenierung bringt die ironische Beleuchtung des Romanhelden ins Festspielhaus.

Michael Stallknecht, Bregenz
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Eine detailverliebte Inszenierung: Fünfmal wechseln Don Quichotte (rechts, Gábor Bretz) und Sancho Pansa (David Stout) im Verlauf des Abends die Kostüme. (Bild: Monika Forster / Bregenzer Festspiele)

Eine detailverliebte Inszenierung: Fünfmal wechseln Don Quichotte (rechts, Gábor Bretz) und Sancho Pansa (David Stout) im Verlauf des Abends die Kostüme. (Bild: Monika Forster / Bregenzer Festspiele)

Als Miguel de Cervantes zu Beginn des 17. Jahrhunderts seinen «Don Quijote» veröffentlichte, liess er die Titelfigur im Ritterroman ein Heldentum finden, das in der Realität längst keinen Platz mehr hatte. In der Gegenwart können Männer sich immerhin gelegentlich ins Kino flüchten, wenn sie sich qua Projektion einmal wieder so richtig heldisch fühlen wollen. In einem solchen Kino lässt Mariame Clément die zweite Produktion der Bregenzer Festspiele beginnen: Ein offensichtlich verwirrter Mann im Don-Quijote-Kostüm sieht sich die eigene erträumte Geschichte an, in der selbst ein in die Jahre gekommener Held für seine Dulcinea noch altmodisch singen und fechten darf.

Spiderman

Für den ersten Akt von Jules Massenets später Oper «Don Quichotte» hat die Ausstatterin Julia Hansen eine Spanien-Vision auf die Bühne des Festspielhauses gewuchtet, wie sie sich heute nicht einmal mehr Historienfilme trauen, die bei der Uraufführung im Jahr 1910 aber durchaus auf der Bühne zu sehen gewesen sein könnte. Schliesslich kommt die Oper als pathossattes Loblied auf den Idealismus ihres Titelhelden daher, wobei sie dessen ironische Doppelbeleuchtung durch Cervantes weitgehend unterschlägt.

Clément und Hansen holen sie in die Oper zurück, indem sie sie zugleich als Reflexion auf aktuelle Genderdebatten deuten. Denn natürlich kann selbst ein moderner Don Quichotte (intensiv gerade in leisen Passagen, aber insgesamt noch zu arm an Farben: Gábor Bretz) nicht den ganzen Tag im Kino sitzen. Deshalb kämpft er hier wenigstens morgens beim Duschen tapfer gegen Windmühlen, auch wenn es sich dabei nur um den Ventilator seines Badezimmers handelt. Währenddessen hackt sein ständiger Begleiter Sancho Pansa (David Stout) wütende Kommentare über die neuen Geschlechterbilder ins Internet.

Oder er holt sich des Nachts im Spiderman-Kostüm einen blutigen Schädel im Kampf gegen eine Vorstadtbande, die – ebenfalls im Gegensatz zum Idealismus der Oper – ihren Machismo an ihm austobt. Fünfmal wechseln die hinreissend detailverliebten Bühnenbilder, fünfmal die Kostüme, in denen Don Quichotte und Sancho Pansa daherkommen. Die Inszenierung greift damit auch die episodische Struktur bei Cervantes wieder auf, sorgt aber bei der offensichtlich überforderten Technik während der Premiere für lange Umbaupausen.

Im vierten Bild ist Don Quichotte schliesslich nur noch ein alternder Angestellter im Strickpulli, der mit all den feschen, bestens angepassten Jungs im Grossraumbüro schlicht nicht mehr konkurrieren kann. Dulcinea, gesungen vom ehemaligen Zürcher Ensemblemitglied Anna Goryachova, ist hier die Chefin, die nicht einmal mehr im Traum an so etwas Altmodisches wie Heiraten denkt, auch wenn sie sich eigentlich einsam dabei fühlt. Am Schluss sitzt sie jedenfalls allein im Kino und sieht dem buchstäblich zum Holzschnitt erstarrten männlichen Helden beim Sterben zu.

Um Längen

Es ist schade, dass dieser assoziativ offenen, nie mit dem Zeigefinger hantierenden Inszenierung keine ebensolche musikalische Realisierung entspricht. Der für den ursprünglich vorgesehenen Antonino Fogliani eingesprungene Dirigent Daniel Cohen hakelt sich eher schwerfällig durch die Partitur, und die Wiener Symphoniker lassen kaum den für das französische Fach unabdingbaren Farbenreichtum hören.

Dennoch bleibt die zweite Produktion der Bregenzer Festspiele wie schon so oft in den Vorjahren eine echte Alternative zum «Rigoletto»-Spektakel auf der Seebühne, das sie an Bewusstsein für die historische Tiefenwirkung eines Stoffes wie für dessen Aktualitätspotenziale um Längen schlägt.

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