Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Staatsoper Hannover
App in die Unterwelt

Teile der Musik aus der neuen Oper "Unterwelt" haben Jugendliche geschrieben - per App. Gemixt wurde sie dann mit Auszügen aus Christoph Willibald Glucks "Orpheus und Eurydike" und moderner Musik. Herausgekommen ist ein spannender Musiktheater-Abend, der auch Einblicke in die Gefühlswelten junger Menschen gibt.

Von Elisabeth Richter | 01.07.2019
    Ein Mann in einem blauen Kleid und einer blauen Perücke hat die Arme ausgebreitet und singt. Vor ihm knien 4 Jugendliche
    Die Musik aus "Unterwelt" stammt teilweise von Jugendlichen, die sie per App geschrieben haben (Staatsoper Hannover / Thomas M. Jauk)
    "Willkommen bei Eurydike, ich helfe dir einen Weg in die Unterwelt zu finden."
    EURYDIKE, diese fiktive App wurde vom Produktionsteam der App-Oper "Unterwelt" erfunden. Für alle, die etwas vermissen, und zwar mehr als "nur" eine Geliebte, die dem antiken Helden Orpheus abhanden gekommen war. Wer sie, die App, hat, der begibt sich in die Unterwelt, auf eine "Elektronische, universelle Reise zu den inneren Dämonen", die Buchstaben von EURYDIKE.
    "Electronic Universal Rides to Inner Demons and International Know-how Enterprises"
    "Unterwelt ist für uns erstmal ein Ort, wo alle Erinnerungen, all das, was wir nicht mehr haben, oder verloren haben, gelagert ist. Es gibt bei uns im Stück ganz konkret eine App, die per GPS ausschlägt und uns sagt, wo die Unterwelt ist, die ist nicht nur in uns drin, sondern die hat einen Ort, die ist auf der Bühne der Staatsoper Hannover", erklärt Jonas Egloff.
    Interviews mit Jugendlichen über das Vermissen
    Er führte nicht nur gemeinsam mit Martin G. Berger Regie, sondern das Team schrieb auch die Geschichte. Ausgangspunkt war der Orpheus-Mythos.
    "Wenn all diese Jugendlichen zu Orpheus würden, wen würden sie zurückholen.? Wir haben Interviews geführt mit den Jugendlichen und gefragt, was wäre Eure Eurydike?"
    Was bedeutet es, etwas zu vermissen, etwas wieder zurückholen zu wollen? Ist das möglich? Die Antworten waren so vielfältig und bunt wie das multikulturelle Spektrum der 11-21jährigen Teilnehmer: Eltern, Großeltern, Freunde, Heimat, Tiere, Gegenstände, auch ein intaktes Internet. Auf manche überraschende Antworten wäre Regisseur Jonas Egloff selbst nie gekommen.
    "Zum Beispiel auch der Gedanke, ich würde in die Unterwelt reisen, aber ich würde gar nichts wiederholen, ich würde der Person, die ich verloren habe, zum Beispiel eine Beziehung, der nur sagen, ich lass dich hier in der Unterwelt. Ich kehre ohne dich wieder zurück."
    Ein junger Mann mit einem Kostüm aus blauen LED-Lichtern sitzt auf der Bühne, neben ihm eine junge Frau
    Etwa 80 Jugendliche waren an dem Musikprojekt beteiligt (Staatsoper Hannover / Thomas M. Jauk)
    "Ich zum Beispiel gehöre in dem Stück zum Team Kindheit, Kindheit vermissen, ich bin ja erst 19 Jahre alt, da waren einige sehr erstaunt, dass ich meine Kindheit jetzt schon vermisse, ja, das hat in mir, der Probenprozess, noch mal neue Seiten von mir und dem Thema, vermissen, das finde ich total inspirierend, aber eben auch emotional", sagt Svea Brankow.
    80 Jugendliche wirkten mit
    Die Jugendlichen wurden kreativ mit ihrer Wirklichkeit in die Geschichte der App-Oper "Unterwelt" eingebunden. Das machte die Aufführung am vielen Stellen besonders intensiv. Dazu kamen die lebendige und spannungsreiche Schauspielarbeit der Regie sowie die unglaublich faszinierenden Choreographien, die Bettina Stieler mit den etwa 80 Jugendlichen erarbeitet hat.
    Zu Beginn werden die Jugendlichen von der App "Eurydike" zur Oper Hannover geführt, dort sei die Unterwelt, aus der sie Verlorenes wiederholen könnten.
    "Aktiviere einfach meinen Ritualmodus und finde Deinen Weg in die Unterwelt."
    Die Jugendlichen verhandeln erstmal mit dem "Höllenmeister", dass er sie überhaupt hineinlässt, damit sie etwa ihre Eltern wiedersehen können.
    Jugendliche: "Wir müssen, es ist nicht cool als Kinder ohne Eltern aufzuwachsen." Höllenmeister: "Kinder? Ihr seid pubertierende Terroristen, aber keine Kinder."
    Berührende Begegnungen in der Unterwelt
    Gemeinsam mit Orpheus und seinem Gesang lässt sich der Höllenmeister aber erweichen. In der Unterwelt finden berührende Begegnungen statt, mit dem verstorbenen Kaninchen, Vater, Oma, Fußballspiele mit ehemaligen Freunden im Iran. Regisseur Jonas Egloff:
    "Beispielsweise ist ein verstorbener Vater mit einem Sopran besetzt. Oder eine gute frühere Freundin wird von einem Bass gesungen. Die Oma, die vermisst wird, wird ebenfalls von einem Bass gesungen, also irgendwie scheint es in der Unterwelt nicht alles so zu sein, wie man es sich wünscht, es sind letztlich doch nur Zerrbilder, die man in sich drin trägt, d. h. es gelingt nicht das Reale zurückzuholen, aber die Jugendlichen können trotzdem sich aus ihren Erinnerungen ein Denkmal zu setzen."
    Kasra Ahmadi aus dem Iran erinnert sich noch gut an seine Flucht.
    "Ich kann gut mich daran erinnern, als ich fliehen wollte, ich war bis fünf, sechs Uhr wach, ich wollte das nicht wahrnehmen. Wirklich, dieses Projekt hat mir geholfen, einmal die Situation wahrzunehmen und dann mit dem klarzumachen, ich hab was vermisst, ich habe meine Gedanken, wir können zu noch mal Fußballspielen in meinem Kopf, dieses Projekt hat wirklich mir in diesem Bereich geholfen."
    Kasra Ahmadi ist auch ganz begeistert von Christoph Willibald Glucks Musik, er hat sich die gesamte Oper heruntergeladen. Lara Krause hat sich ebenfalls eine Gluck-CD gekauft.
    "Das schöne war, dass sie uns auch während des Projekts in König Karotte mit reingenommen haben, da konnten wir auch mal einen Opernbesuch als Gruppe machen, und das für ein paar Leute, die eh in Hannover wohnen, nix Neues, aber für kleinere besonders war das ein tolles Erlebnis."
    Unterschiedliche Stile treffen aufeinander
    In der Musik zur App-Oper treffen die unterschiedlichsten Stile aufeinander, angefangen von Glucks "Orpheus-Original-Musik", über romantische bis zeitgenössische Klänge, Elektronik, atmosphärische, situationsbezogene Musik, Musik, die von den Jugendlichen mit Apps geschrieben wurde. Alles zusammen haben die beiden Komponisten Vivan und Ketan Bhatti in eine dramaturgische Linie gebracht. Vivan Bhatti:
    "Für uns persönlich war die Herausforderung, dass wir ein Libretto hatten, in dem sowohl klassisch ein Libretto für einen Sänger ist, ein Bass oder Mezzosopran, und diese Sänger interagieren mit Jugendlichen, mit unausgebildeten, nicht mal Schauspielern, die auch nicht singen, sondern die dann sprechen. Wir haben immer eine Dialog-Situation zwischen einem Sänger und einem Jugendlichen. Das sozusagen auf Augenhöhe zu bringen, das war besonders wichtig und das war auch die Herausforderung."
    Der Staatsoper Hannover ist mit der "partizipativen App Oper" "Unterwelt" nicht nur für Jugendliche ein sehr unterhaltsamer Musiktheater-Abend gelungen, hier wird zum anderen Schülern die Welt des Theaters nahegebracht und, sicher am wertvollsten: sie werden mit ihren Befindlichkeiten ernst genommen.