Bei den Salzburger Osterfestspielen, die ebenso elitär wie hochkarätig sind, scheint die Vorstellung bereits auf dem Vorplatz des großen Festspielhauses zu beginnen. Schwarze Limousinen fahren vor, die Salzburger Lokalprominenz gibt sich die Ehre und trägt ebenso exzentrische wie teure Roben – der Anblick wirkt ebenso inszeniert wie die bevorstehende Oper. Der Abend steht ganz unter der Maxime „Alle Welt ist Bühne“, denn auch fernab der Meistersinger geht das Theater weiter, was Jens-Daniel Herzog die Zuschauer spüren lässt, indem er auf äußerst subtile Weise die aktuell anstehende Führungsfrage um Nikolaus Bachler und Christian Thielemann bei den Osterfestspielen in seine Inszenierung einzubinden scheint. Sein „Theater auf dem Theater“-Ansatz verbindet zudem nicht nur spielerisch allerlei Vorurteile und Marotten des Theaterbetriebs, er stellt auch den Kunstbegriff und dessen Wahrnehmung in Frage.

Die Meistersinger von Nürnberg mag Wagners einzige komische Oper sein, doch geht deren Thematik weit über deren augenscheinliche Komik hinaus; befasst sich stattdessen mit profunden Themen des menschlichen Daseins. Eingefasst vom Proszenium der Semperoper (wo es die Inszenierung ab Januar 2020 zu sehen gibt) offenbart die Drehbühne das innere eines Theaters – mitsamt Intendantenbüro, Schnürboden und Requisitenlager. Es ist eine Hommage an das Theater in all seinen Facetten – mit all dem Glanz und Glamour aber auch der harten Arbeit hinter der Bühne.

Aus den Lehrbuben werden Bühnenarbeiter und Sachs wird kurzerhand zum künstlerischen Leiter des Theaters, der sich jedoch hin und wieder in die Schusterei des Theaters zurückzieht, um dem Trubel zu entkommen. Eva gibt sich als Primadonna des Hauses und räkelt sich ungeniert auf dem Sofa des Intendanten. Und Walther von Stolzing – als Geselle auf der Walz – will sich beim Anblick Evas auch sogleich am Theater bewerben.

Die Inszenierung schmiegt sich elegant um die Vorlieben des Salzburger Osterfestspielpublikums, das eher aus Regietheatergegnern und konservativen Operngängern besteht. Und so ist auch Sachs eher von der konservativen Sorte, wenn er als Regisseur den Auftakt der Meistersinger in der Nürnberger Katharinenkirche ansiedelt und den Chor in historisch anmutenden Kostümen inszeniert. Durch geschicktes Überblenden von Wagners Opernhandlung mit dem Bühnenbetrieb im Theater entstehen starke Bilder und anregende Denkansätze. Herzog schafft ein Theatrum Mundi, ein allumfassendes Weltentheater en miniature, mit zahlreichen Details und allerlei charmanten, publikumswirksamen Witzeleien.

Die größte Aufmerksamkeit bekam jedoch Georg Zeppenfeld. Er lieferte ein nicht nur langersehntes, sondern auch ebenso gelungenes Debüt als Hans Sachs, nicht zuletzt weil die szenische Darstellung seiner Rolle nicht weniger als überragend war. Er porträtierte einen Sachs, der zwar von allen geachtet und geschätzt, zwischen innerer Zerrissenheit und faustischem Wissensdrang auf der Suche nach etwas Größerem ist, als er es in seinem Theater zu schaffen vermag. Beim Fliedermonolog stellte Zeppenfeld sein ganzes stimmliches Können unter Beweis. Von Herzog zu einem wahren Sommernachtstraum, einem Satyrspiel mit umher tänzelnden Putten zwischen Fliedersträuchern in Szene gesetzt, wird das nächtlich verlassene Theater zum Ort innerer Einkehr Sachsens. Mit klarer Artikulation, intelligenter Phrasierung und fokussierter Stimme verlieh er dem Monolog eindringliche Intensität und rief tiefes Mitgefühl und Sympathie hervor.

Klaus Florian Vogt sang Walther mit gewohnt heller, vibrato-armer Stimme, wenn er auch im dritten Akt am Präzision einbüßte, ersang er sich den Meistertitel zurecht. Jacquelyn Wagner war eine Eva mit frischer, jugendlicher, manchmal scharf klingender Stimme, der es mitunter an gesanglicher Präsenz und darstellerischer Tiefe mangelte. Der Bass Vitalij Kowaljow zeichnete Veit Pogner als einen besorgten, aber kühl-distanzierten Vater. Trotz seines angenehm dunklen Timbres blieb er in seiner Rolle eindimensional. Adrian Eröd verlieh Beckmesser eine neue tragikomische Ebene. Ohne ins karikierende abzudriften bewies er Gespür für Komik und der gleichzeitig ernstzunehmenden Brisanz seiner Rolle. Sebastian Kohlhepp beeindruckte als David mit seinem weichen wohligen Timbre und vielschichtigen Spiel.

Die Meistersinger bleiben aber vor allem Christian Thielemanns Meisterstück. Ihm und der Staatskapelle Dresden gebührte zurecht der kaum enden wollende Applaus. Während sich viele Dirigenten langjährige Erfahrung mit Wagner zuschreiben können, wissen wahrscheinlich nur wenige wie Thielemann, so visionär und sinngebend, mit der Partitur umzugehen. Er kostete die Musik bis aufs Äußerste aus und genoss es, sich geradezu hingebungsvoll zu verausgaben. Mit einer fast schon ins Übertriebene tendierende Dertailverliebtheit animierte er das Orchester zu kleinen Spielereien, verlor aber dennoch nicht das große Ganze aus den Augen und zeichnete einen musikalischen Spannungsbogen bis hin zum Finale auf der Festwiese.

Jens-Daniel Herzogs Meistersinger offerieren einen geradezu versöhnlichen Regieansatz, nicht radikal oder anstößig, wenig neues erforschend, aber dennoch geht er tiefer, als es auf dem ersten Blick scheint. Sein verrücktes Weltentheater mag nicht Weltklasse sein, aber lässt im Hinblick auf die Gerüchte in der Führungsebene durchaus Tiefe vermuten. Da sich Thielemann die Osterfestspiele seit 2013 einverleibt und das Publikum erobert hat, bleibt bei dieser Debatte die Hoffnung auf ein ebenso versöhnliches Ende wie bei den Meistersingern und dass die Beteiligten das Theater um der Kunst Willen fortführen, denn Herzogs Aufruf war ein deutlicher: „Hier gilt’s der Kunst!“.

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