Ludwig van Beethoven nannte sie bereits „frivol“, und auch andere Zeitgenossen mokierten sich über das Unmoralische in Wolfgang Amadeus Mozarts Così fan tutte, als in der Zeit des beginnenden Bürgertums in einer zunächst typischen Buffo-Handlung ein solcher Umgang von Liebe, Treue und Moral abgebildet wurde. Dabei hatte der aufgeklärte österreichische Kaiser Joseph II. selbst Mozart und seinem Textdichter Lorenzo da Ponte diesen (angeblich auf wahren Begebenheiten basierenden) Stoff zur Vertonung angetragen. Ferrando und Guglielmo stellen die Treue ihrer Verlobten auf die Probe, indem sie verkleidet jeweils der anderen den Hof machen. Dorabella und Fiordiligi werden schwach, es kommt zu Scheinhochzeiten über Kreuz, und alle stehen vor einem Scherbenhaufen ihrer Gefühle. Das Ganze wird von Don Alfonso, einem offenbar philosophischen Frauenfeind, als Wette angezettelt, und da er nur 24 Stunden für den Beweis zur Verfügung hat, ist er in der Wahl seiner Verführungen nicht zimperlich und zieht auch noch Despina, die Kammerzofe, ins Boot.

Jens-Daniel Herzog, seit Herbst Staatsintendant in Nürnberg, hat nach einem monumentalen Prokofjew-Epos und der zeitgenössischen Anna Nicole-Vertonung von Turnage nun auch sein Händchen für die Gefühlswirren der eher kammertheatralischen Così bewiesen. Das Doppelbödige dieses Librettos verlegt er in eine Bühne-in-Bühne-Konstruktion, bei der die Damen ihren Tagesablauf in einer schmucken Gold-Edition-Einrichtung verleben und – ganz gegenwärtig gesehen – Schnappschüsse solcher Momente wie in sozialen Medien zur Schau stellen. Mathis Neidhardts Bühne stellt diese Ebene in den Guckkasten einer Smartphone-ähnlichen schwarz umrandeten Box, in die die weiteren Akteure jederzeit zuschauen können; diese Box ist je nach Handlungsstrang in einem weißen Laborraum nach vorn oder hinten verschiebbar und unterstützt die doppelte Brechung der Gefühlsausstrahlung geschickt.

Vom jugendlichen Ensemble erwartet Herzog geradezu artistische Fähigkeiten. Da gibt es viel zu lachen im komödiantischen ersten Akt, wenn der famose Chor als lustige Soldatentruppe auf staksigen Beinen vorbeidefiliert und die Freunde zum militärischen Einsatz abholen will. Dorabella (Amira Elmadfa) und Fiordiligi (Julia Grüter) schmieren Reiseproviant auf goldenem Bügelbrett, leiden schrecklich beim geschäumten Macchiato unter der Abreise. Sympathie genießen diese standhaften Frauen mehr als die prahlenden Verführer, und wie zur Strafe müssen Martin Platz (Ferrando) und Denis Milo (Guglielmo) sozusagen gegen sich selbst spielen, um dem Ehrenwort treu zu bleiben und den Wetteinsatz gegen Don Alfonso und für sich zu retten. Ein Meisterwerk feinster Personenregie von Herzog, der den inneren Spagat der Seelenzustände des Quartetts genau herausarbeitet.

Viel Spaß machten an diesem Abend gerade die sängerischen Qualitäten, mit denen, ganz im Sinne von Mozarts Komposition, die sechs Solisten ihre Rollen charakterisierten: in ausdrucksvoller klarer Höhe das „Come scoglio“ der Fiordiligi, mit betörend dunklem Mezzo Dorabellas „Smanie implacabili“, in perfekter vokaler Abstimmung auch in den Duetten ein glaubhaftes Geschwisterpaar. Wandlungsfähig und stimmlich überzeugend besetzt ebenfalls Ferrando (ein traumhaft schönes „Un'aura amorosa“) sowie Guglielmo, dessen Enttäuschung in „Tradito, schernito“ anrührte. Mit viel Drama im Bodycheck finden die Freunde als vorgeführte Verführer im zweiten Akt eine Wahrheit, die sie eigentlich gar nicht wissen wollten. Hier blitzte die existentielle Dimension des Experiments für Partner im 18. Jahrhundert auf, dessen Dramma giocoso bei der Verlegung in Zeiten freier Liebe eher gemildert wird.

Absolut selbstbewusst, geradezu artistisch beweglich und mit facettenreicher Höhe gestaltete Andromahi Raptis die Kammerzofe Despina, ein raffiniertes Kätzchen, das schnell Zweifel an der Treue der Männer sät. Wenn sie fix als herbeigerufener Arzt mit magnetischem Mesmerismus die scheinbar sterbenden Freunde auferweckt oder als durchtriebener Notar den Ehevertrags buchstabiert, hat sie die meisten Lacher auf ihrer Seite. Wonyong Kang ist als Don Alfonso umtriebiger Strippenzieher, der beim Raufen im Knock-Out auch mal zu Boden geht; in seinem voluminös-markanten Bass war er ein hochkultivierter Gegenspieler der Partnertausch-Probanden.

Lutz de Veer ließ schon in der Ouvertüre einen athletischen Orchesterklang im staatsphilharmonischen Orchestergraben erblühen, der in kraftvollen Tutti ebenso Mozartsches Brio ausstrahlte wie in mühelos fein seidigen Kommentaren zu den Arien. Naturhörner und Naturtrompeten rauhten die Klangflächen apart auf, herrliche Kantilenen der Holzbläser glichen den Perlenketten des abschließenden Festes. Da wurde das komödiantische Spiel ebenso wie die finale Ent-Täuschung der Paare behutsam auf goldenem Klangteppich getragen. Tarmo Vaasks bestens einstudierter Chor des Staatstheaters umrahmte das Verwirrspiel in heiterem Schwung.

Nicht alle Puzzleteile der detailverliebten Bühnenaktion erscheinen schlüssig. Da ist die angedeutete Displayscheibe der Wohnzimmerbox zunächst undurchdringlich, wird später doch durchschritten. Die albanesische Verkleidung lässt die Freunde erst in Rapperkostümen auftreten, bei der Scheinheirat dann sind sie in kaftanartigem Wüstendress gewandet. Und wie passen da Omas Blumentöpfchen hinein? Soll die turbulente Schuhkanonade der Schwestern die verachtende Bedeutung des Schuhwurfs in der arabischen Welt ausdrücken?

Neben der rasant-schauspielerischen Präsenz waren es die Terzette, Quartette und Sextette, die an diesem Abend unendlich zart und austariert gelangen, die Mozarts Musik vokal wie instrumental so perfekt Klang und Gefühl gaben und in Erinnerung bleiben.

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