Calixto Bieito inszeniert erstmals in Wien! Freunde provokanter, radikaler bis schockierender Operninszenierungen waren freudig bis ängstlich gespannt – und erlebten einen überraschend zahmen, aber in vielerlei Hinsicht bemerkenswerten Abend.

Warum ausgerechnet Mendelssohns Elias zum Einstand? Abgesehen davon, dass man als Regisseur mit Oratorien ähnlich frei wie der Architekt auf der grünen Wiese bauen kann, sind die ewig gültigen (oder zumindest ewig kontroversiellen) Themen dieser Werke eine Goldgrube für Sinn-Sucher: Mit Händels Messiah in der Inszenierung von Claus Guth hatte das Theater an der Wien bereits 2009 einen unvergessenen Erfolg, und auch der letztjährige Saul war ein Saison-Höhepunkt.

Bei Elias geht es nun um den rechten Glauben, Zweifel und Gehorsam, und das zu romantisch-dramatischer Musik, in der barocke Elemente auf eine neue Ebene gehoben werden. Einmal meint man, Glucks Orfeo klagen hören, und befindet sich doch schon am Sprung zu Wagners Klangwelten.

Das Werk beginnt mit einem Fluch des Propheten über die Israeliten: König Ahab hat eine Ausländerin geheiratet, die den Baal-Kult eingeführt hat, und als Strafe für den Abfall vom rechten Glauben soll das Volk Israel nun unter einer Dürre leiden – was für ein dementsprechendes Lamento sorgt. Nach schwierigen drei Jahren stehen einander Baal-Anhänger und Elias bei einer Machtprobe gegenüber, die Elias mit Jahwes Hilfe gewinnt. Er tötet alle Feinde (in dieser Inszenierung mit einer Handbewegung quer über die Kehle), doch lässt der erlösende Regen weiter auf sich warten. Aber selbst als das Wunder eintritt, bleibt das Volk nach anfänglichem Jubel wankelmütig und lässt sich von der Königin gegen Elias aufhetzen. Er flieht in die Wüste und erlebt eine Glaubenskrise.

Im Buch der Könige endet Elias‘ Erdendasein in einer flammender Himmelfahrt auf dem Berg Horeb; bei Bieito übergießt ihn Obadjah mit Benzin und reicht dem Depressiven dazu ein Feuerzeug. Elias ist unschlüssig – und klappt das Feuerzeug schließlich zu. So weit, so gut, und trotzdem nicht überraschend, denn alternative Schlüsse sind wir mittlerweile gewöhnt, Videoprojektionen im Hintergrund ebenfalls (in diesem Fall: Raben, die Elias der Überlieferung nach während der Dürre versorgt haben, und ein Elias-Portrait mit verdrehten Augen). Die Gitterkonstruktion, mit der Rebecca Ringst das Volk symbolisch niederdrücken lässt, hatten wir gerade in ähnlicher Form bei Guillaume Tell; dazu kommen altbackene, teils hässliche Allerweltskostüme (Ingo Krügler).

Was diese Inszenierung aber doch wohltuend von anderen, optisch ähnlichen unterscheidet, ist Bieitos meisterhafte, dicht durchchoreographierte Personenregie, in der es kaum Auf- und Abtritte gibt, und das singende Personal dennoch ständig in Bewegung ist. Die genauen Regieanweisungen umfassen auch die einzelnen Chormitglieder bzw. das Volk– schnell wird aus einer Versammlung unverwechselbarer Individuen ein Kollektiv und umgekehrt.

Der Abend lebt von diesem Spiel der Gegensätze und reflektiert so Elias‘ widersprüchliche Persönlichkeit ebenso wie die Kontraste, die das Werk musikalisch durchziehen, allerdings gibt es für den Chor auch handfeste Arbeit zu erledigen: Zu Beginn dieser Geschichte ohne Erzähler wird eine Kirche aus Karton niedergerissen, und etliche aus dem Volk behalten ein Stück davon bei sich – als Souvenir, oder weil man es praktisch gebrauchen kann. Das Geraschel dieser Kartonstücke ist anfangs zwar störend, nimmt man aber aus dramatischen Gründen hin: Wenn sie nach dem Regen vom Schnürboden durchweicht sind, und sich nicht mehr zusammenzusetzen lassen, ist ohne Worte viel gesagt.

Diese anspruchsvolle Aufgaben erledigte der Arnold Schoenberg Chor wie gewohnt mit Klasse, ohne je Abstriche bei gesanglichen Qualität machen zu müssen – so überirdisch perfekt klingt das buchstäblich gemeine Volk selten.

Dazu passt, was man über Christian Gerhaher als Elias sagen muss: Wenn Gott durch seine Propheten spricht, hat man in ihm den Richtigen dafür gefunden. „Stark, eifrig, auch wohl bös und zornig und finster … fast der ganzen Welt zum Gegensatz, und doch getragen wie von Engelsflügeln“ stellte ihn sich Mendelssohn laut Programmheft vor, und Gerhaher ließ nichts davon fehlen, fügte auch eine große Portion Spott über die Andersgläubigen und Verzweiflung im Ringen um seinen eigenen Glauben hinzu. Seinen für dieses Haus fast übergroßen Bariton führte er intonations-, stilsicher und mit perfekter Diktion – eine überirdische Leistung in Karohemd und Cargohose.

Freude machte auch, dass man mit Maximilian Schmitt einen kongenialen Tenor in der Rolle des Obadjah hörte. Maria Bengtsson gab die Witwe von Sarepta emotional und doch mit stimmlicher Klarheit; der Sohn dieser Witwe, den Elias während der Dürre vom Tod wiedererweckt, wurde von einem besonders schönstimmigen Wiener Sängerknaben gegeben. Häufig um Elias zu finden waren Engel von Kai Rüütel, der zum Schluss seine Flügel abnimmt, und der Seraph von Carolina Lippo, dem Bieito anscheinend die Aufgabe „Selig die Armen im Geiste“ zugedacht hatte. Beide Damen überzeugten ebenso wie Ann-Beth Solvang als voluminös-autoritär tönende Königin, gegen die der Ahab von Michael J. Scott ein wenig blass blieb.

Grandioses hörte man vom ORF Radio-Symphonieorchester Wien unter der Leitung von Jukka-Pekka Saraste, der eine selten gehörte Balance zwischen Gesang- und Orchesterlautstärke herstellte – genau so wünscht man sich Elias zu hören.

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