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Ein Käfig voller Puppen. Sängerin Serena Saenz Molinero als Papagena und Schauspieler Florian Teichtmeister als Papageno im Bühnenbild von Mimi Lien.

© Annette Riedl/dpa

"Zauberflöte" in der Berliner Staatsoper: Strippenbekenntnisse

Mozart als Marionettentheater: Yuval Sharon inszeniert eine neue „Zauberflöte“ an der Berliner Staatsoper Unter den Linden – und spaltet das Publikum.

Buhrufer, die sich so richtig ins Zeug legen, Bravorufer, die sie zu übertönen versuchen – wann gab es in den letzten Jahren so viele gemischte Emotionen in einem der drei Berliner Opernhäuser? Was der junge amerikanische Regisseur Yuval Sharon mit Mozarts „Zauberflöte“ anstellt, spaltete das Premierenpublikum in der Staatsoper am Sonntag. Und weil Intendant Matthias Schulz das wohl schon ahnte, hatte er bereits vorab verkündet, diese Neudeutung werde die 25 Jahre alte Vorgängerinszenierung in den historischen Schinkel-Bühnenbildern nicht ablösen. Beide Produktionen werden künftig Unter den Linden gespielt. Was für ein Luxus: Die deutsche Musiktheaterhauptstadt hat jetzt vier „Zauberflöten“.

Überregional bekannt wurde Yuval Sharon, als er im vergangenen Sommer bei den Bayreuther Festspielen Wagners „Lohengrin“ in Szene setzte. Schon da überwucherte der optische Aspekt den darstellerischen, zog die Ausstattung von Rosa Loy und Neo Rauch mehr Aufmerksamkeit auf sich als Sharons szenisches Arrangement. So ist es jetzt wieder: Was die Bühnenbildnerin Mimi Lien und der für die Kostüme zuständige Modedesigner Walter van Beirendonck fantasievoll entfesseln, nimmt das Auge vollkommen gefangen. Großformatige Collagen sind als Hintergrundprospekte zu sehen, die hemmungslos alles mischen, was im 20. Jahrhundert in Malerei und Design mal hip war, vom Expressionismus über Popart bis zu avantgardistischen Graphic Novels. Im stilisierten Strahlenkranz der Königin wird Art déco zitiert, Sarastros Reich ist von Symbolismus-Ästhetik geprägt, unvermittelt taucht auch ein nostalgisches Karussell aus dem Unterboden auf.

Papageno trägt eine neongelbe Badekappe

Noch grotesker, noch aberwitzig-augenzwinkernder ist die Stilmelange der Beirendonck-Kostüme: Tamino und Pamina sind Superhelden, aber zugleich aus Holz geschnitzt, Papageno trägt eine neongelbe Badekappe, seine Papagena einen Riesenschnabel, der sich aufklappen lässt, die drei Damen stecken gemeinsam in einem monströsen, vielbrüstigen Fatsuit, Monostatos ist eine schwarzmetallische Blechfigur mit Aufziehschlüssel im Rücken. Fransen, Kunstfell und Latex, Blumenmuster und Großgepunktetes, bunte Bänder, unechte Haare, Korsagen – diese „Zauberflöte“ ist ein einziger Sehnervenkitzel. Zumal die meisten Darsteller auch noch durch die Luft schweben, während sie ihre Arien singen.

Die Inszenierung entledigt sich der lästigen Fragen

Yuval Sharon erklärt die Oper zum Marionettenspiel. Wobei das ganze Spektakel von den drei Knaben und ihren Freunden aufgeführt wird, wie das Schlussbild enthüllt. Da ist zu sehen, wie die junge Truppe die Spielfiguren an Fäden auf und ab bewegt. Und da erklärt sich dann auch, warum zuvor fast alle Dialoge aus dem Lautsprecher kamen, von Kindern eingesprochen, die sich gerne auch mal über den altmodischen Duktus des Librettos lustig machen.

Wer die „Zauberflöte“ zum Kinderspiel erklärt, spart sich eine Menge Gedankenarbeit. Denn er muss keine Lösungen finden für die lästigen Fragen, die das Stück aufwirft: Wie kam es zur Feindschaft zwischen Sarastro und der Königin der Nacht? Welche divergierenden philosophischen Richtungen vertreten der Herrscher und die Herrscherin? Sind die Knaben Doppelagenten? Wofür stehen die Feuer- und die Wasser-Probe, der sich Tamino und Pamina unterziehen müssen?

Das Publikum ist tief gespalten

Mit dem letztgenannten Problem macht der Regisseur es sich besonders leicht. Die größte denkbare Herausforderung, die ihm für seine puppenspielfreudigen Minderjährigen einfällt, ist die selbstständige Zubereitung einer Mahlzeit. Also schickt er Prinz und Prinzessin in die Küche, wo sie zu den schönsten und rätselhaftesten Klängen der Partitur ganz profan mit Tellern und Töpfen hantieren. Da platzt denn dem Ersten im Saal vor Wut der Kragen und er schleudert aus dem hinteren Parkett ein lautes Buh Richtung Bühne. Welches die Fans dieser infantilen Werksicht mit Applaus beantworten, der in den Beginn der folgenden Nummer hineinbrandet.

Überhaupt, die Musik: Sie hat es schwer an diesem Abend. Weil der Österreicher Franz Welser-Möst, der hier eigentlich im Graben walten wollte, wegen einer Knieverletzung den Taktstock abgeben musste. Und weil sich in der Kürze der Zeit mit Alondra de la Parra nur eine Dirigentin fand, die über wenig Erfahrung im Musiktheater verfügt. Dass die Premiere pannenfrei abläuft, ist schon ein Erfolg. Gilt es doch für die Einspringerin, den Zusammenhalt von Instrumenten und Stimmen über ungewöhnlich weite Distanzen zu koordinieren, da einerseits die Protagonisten oft keinen festen Boden unter den Füßen haben, andererseits der Chor und auch einige der Darsteller immer wieder aus dem Off singen müssen.

Ein überraschender Star an diesem Abend

„Die Zauberflöte“ gehört gewissermaßen zur DNA der Berliner Staatskapelle. Dirigenten können von dem Orchester alles an interpretatorischen Facetten abfordern, was sie nur möchten. Die mexikanische Dirigentin aber hat für Details den Kopf gar nicht frei, belässt es bei Primärimpulsen. Und so fehlt es an Klangfarbenvielfalt, an Binnenspannung. Nur selten gelingen Phrasierungen, bei denen alle Beteiligten in einem gemeinsamen Atem schwingen.

Umso erstaunlicher, dass ausgerechnet Serena Saenz Molinero für zwei magische Momente sorgt. Eigentlich war die spanische Sopranistin, die erst seit sechs Monaten Mitglied im Opernstudio der Staatsoper ist, nur für die Mini-Rolle der Papagena vorgesehen. Dann aber meldete sich kurzfristig die Pamina-Darstellerin Anna Prohaska krank, mit einer Kehlkopfentzündung. Serena Saenz Molinero kann sich auch unter diesen Extrembedingungen musikalisch voll fokussieren: Großartig, wie sie mit der „Ach, ich fühl’s“-Arie bewegt, wie Paminas Verzweiflung hier wirklich zu hören ist. Und umwerfend, wie sie später, als sie endlich mit dem Liebsten vereint sein darf, ihren Ausruf „Tamino mein!“ aus dem zärtlichsten Piano heraus erblühen lässt.

Prégardiens Tenor tendiert ins Heldische

Adriane Queiroz, Cristina Damian und Anja Schlosser, die drei Damen, sind weniger todesmutig. Entspannt klingen ihre Terzette in luftiger Höhe nicht, und auch Tuuli Takala bleibt als Königin der Nacht letztlich ohne übermütterliche Autorität, auch wenn sie alle Koloraturen fehlerfrei abliefert. Überraschend ist beim Wiederhören mit Kwangchul Youn, der von 1993 bis 2004 Ensemblemitglied der Staatsoper war, dass sein einst so balsamischer Bass mittlerweile zur denkbar schwärzesten Schwärze gereift ist. Kein lyrischer Jüngling ist Julian Prégardien als Tamino, sein Tenor tendiert deutlich ins Heldische, was aber durchaus zum comichaften Outfit passt.

Die Besetzung ist erklärungsbedürftig

Ungerechte Unmutsäußerungen muss am Ende Florian Teichtmeister hinnehmen. Dabei kann er gar nichts dafür. Denn bei seiner Rede zu Beginn hat es Intendant Matthias Schulz unterlassen, darauf hinzuweisen, dass ein Schauspieler für den Papageno gecastet wurde. Auf Wunsch von Franz Welser-Möst, der so an Wiener Volkstheatertraditionen anknüpfen wollte. Auch Emanuel Schikaneder, der „Zauberflöten“-Librettist und Uraufführungs-Papageno, war ja kein ausgebildeter Sänger.

Doch die Staatsoper ist eben kein Vorstadttheater und die Besetzung darum erklärungsbedürftig. Vor allem, wenn der Regisseur mit der Intention des Dirigenten nichts anfangen kann. Yuval Sharon setzt Teichtmeister nicht klar genug ab, zeigt ihn nicht als Außenseiter, sondern hängt ihn an dieselben Strippen wie alle anderen. Weshalb sich vor allem der Eindruck festsetzt, dass der Kerl nicht gut singen kann. So ein Schmarrn!

Wieder am 21., 23. und 28. Februar sowie 1., 3., 6., 8., 10. und 12. März

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