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Julian Prégardien (Tamino) und Tuuli Takala (Königin der Nacht). Foto: © Monika Rittershaus
Julian Prégardien (Tamino) und Tuuli Takala (Königin der Nacht). Foto: © Monika Rittershaus
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Aus Kinderaugen-Sicht: Mozarts „Die Zauberflöte“ als Neuinszenierung an der Staatsoper Berlin

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„Die Zauberflöte (neu)“ steht gedruckt auf der Eintrittskarte zur Mozart-Neuinszenierung am Haus Unter den Linden, denn vorsorglich soll für Festanlässe die Inszenierung von August Everding (alt) aus dem Jahre 1994 weiter im Spielplan bleiben. Eine derartige Regelung ist sicherlich ein Unikum, auch wenn viele Theater in ihrem regulären Abendspielplan „Die Zauberflöte“ und daneben an Vor- oder Nachmittagen noch eine Kurzfassung für Kinder spielen, etwa „Papageno spielt auf der Zauberflöte“.

Auch die Berliner Neuinszenierung könnte man für eine solche Kinderversion halten, denn Regisseur Yuval Sharon erzählt die Geschichte aus einem kindlichen Blickwinkel. Zahlreich waren denn die jungen Besucher in der abendlichen Premiere. Kinderstimmen aus dem Off zu Naturgeräuschen in einem Surround-Klang-Mix (Sound-Design: Markus Böhm) leihen den meisten Darstellern für deren Dialoge ihre Stimme, diskutieren aber auch über das Altertümliche der Sprache und über den nicht mehr nachvollziehbaren „schwarzen Mann“. In der Schlussszene statt vorgeschriebener „Sonne“ oder einem vergleichbaren Schluss-Tableau erweisen sich diese Kinder als die Macher eines Marionettenspiels.

Bühnenbildnerin Mimi Lien und Modedesigner Walter Van Beirendonck haben eine Bühne auf der Bühne errichtet, ein großes Marionettentheater als eine technisch belebte Novellierung der alten Wiener Maschinenkomödie mit an Fäden geführten hölzernen Bengeles: Tamino und Pamina.

Am Ende, wenn das komplette Marionettentheater nochmals in Miniaturform – als Bühne auf der Bühne auf der Bühne zu sehen ist, wird klar, welcher Vorlage dieses Spiel mit den unterschiedlichen Größen eines Marionettentheaters vermutlich folgt: Einer Praxis, wie sie bei der Uraufführung von Siegfried Wagners Opus 18, 1984 als „W. und die gute Frau“ am Theater Kiel, erstmals zum Einsatz gekommen war.

Während die an jeweils drei gelben Strippen – inklusive Flugwerk-Aufhängung –geführten Darsteller_innen mit übergroßen roten Stiefeln, wie Playmobil-Figuren wirken, bietet Lego die Vorlage für die Requisiten, mit Würfeln für den Kopf des Drachen oder den Vogelkäfig des Vogelfängers, ergänzt um flache, herausgeschobene Bildtafeln, etwa als Speisen für Papagenos vermeintliche Henkersmahlzeit.

Die Prospekte ziert zunächst Kindergekrakel – zunächst mit der Aufschrift „Paradies“ (mit Bezug zu Schlange und Apfelbaum), später vertikale Wandeldekorationen, gemischt mit Projektionen zu den Luftflügen der Protagonisten. Acht verspiegelte Scheiben auf beiden Seiten bewegen große Rachenöffnungen, stellvertretend für die unsichtbaren Choristen.

Die drei Damen (Adriane Queiroz, Christina Damian, Anja Schlosser) sind im ersten Akt und am Ende ein bezopfter siamesischer Drilling mit insgesamt drei großen, nackten Brüsten; dazwischen aber sind auf ihrem Dreierluftschiff andersartig gedresst. Auch die drei Knaben stecken gemeinsam – als drei Gasflaschen, pelzbemützt – in einem Flugwerk. Verblüffende Wirkung erzielt zunächst, wenn statt der tenoralen Männerstimme Taminos eine Knabenstimme aus dem Off ertönt. Nur der – Wiener Tradition á la Schikaneder – folgend mit einem Schauspieler besetzte Papageno darf selbst sprechen.

Den Bogen überspannt

Erst wenn Pamina an Selbständigkeit gewinnt, wehrt sie sich gegen die fremde Stimme: „Nein! Nicht schon wieder! Aufhören! Was ist das für eine Stimme? Warum spricht die für mich?“ Zu diesem Zeitpunkt scheint der Bogen an breiter Dauer und Redundanz der Inszenierung bereits überspannt.

Dann aber, wie auch in der Bayreuther „Lohengrin“-Inszenierung Sharons, erfolgen gegen Ende theatrale Brüche, wird es kurzzeitig durchaus noch spannend. Dazu zähle ich nicht, dass Sarastro seine Arie „In diesen heil’gen Hallen“ mit über die Schulter geworfenem Kostüm konzertant an der Rampe vorträgt, wozu das Auditorium als jene heilige Halle, in der man die Rache nicht kennt, hell erleuchtet wird. Die folgte gleichwohl am Premierenabend mit Buhsalven auf dem Fuße: Vor der Feuer- und Wasserprobe erlösen die beiden Geharnischten (Stephan Rügamer und Grigory Shkarupa) das hohe Liebespaar von seinen Strippen, entlassen Tamino und Pamina als Individuen ins bürgerliche Leben; dies ist eine bürgerliche Wohnküche, wo Tamino mit Gasanzünder dem Herd Feuer gibt und Pamina Kartoffeln ins heiße Wasser wirft; zum Essen am Küchentisch genehmigen sich beide dann eine Flasche Billigwein aus ihrem Kühlschrank.

„Zauberflöte (neu)“

So also sieht – nach Überwindung  zahlreicher Hemmnisse zwischen Käfig, gläsernem Gefängnis und diversen Luftreisen – in der „Zauberflöte (neu)“ das erstrebenswerte Leben von Prinz und Prinzessin aus: dank Spielzeug-Mondrakete als Zauberflöte und dem Pamina von ihrer Mutter aufgezwungenen Dolch zum tödlichen Stich gegen Sarastro als Messer zum Kartoffelschneiden.

Sieht man einmal von dem zumeist aus dem Off singenden Staatsopernchor (einstudiert von Anna Milukova) ab, so wurde in dieser Produktion zu wenig staatsoperngerecht musiziert und gesungen. Das mag auch an mehreren Einspringern gelegen haben: der wegen einer Knieverletzung ausgefallene Dirigent Franz Welser-Möst wurde durch die spanische Dirigentin Alondra de la Parra ersetzt: eine adrette Person mit exzentrischen, für kleine Orchester-Akzente viel zu ausladenden und beim Klangkörper der routinierten Staatskapelle wenig auslösenden Bewegungen. Mehr mitdirigierend als das dirigentische Szepter führend, gelang es ihr nur selten, die erforderliche Einheit zwischen Graben und Bühne herzustellen. Dass das Feierliche nicht ihre Sache ist, verrieten bereits die ersten drei Akkorde; am eindrucksvollsten gelang ihr, wenn auch mit zahlreichen Imponderabilien, das Begleiten der jungen Pamina.

Die aus dem Opernstudio anstelle der – bei ihrer vierten Premiere in Folge – am Kehlkopf erkrankten Anna Prohaska eingesprungene Serena Sáenz Molinero singt sehr schön, mit lyrischen Schattierungen, aber mit einer Stimme, deren Volumen noch wachsen muss. Ebenfalls durch ein Mitglied aus dem Opernstudio ersetzt wurde die Papagena mit Sarah Aristidou, von der im Alten Orchesterprobensaal der Staatsoper bereits überzeugendere Leistungen zu erleben waren.

Regulär im Einsatz, mit sauberer Höhe, aber nicht ganz reiner Mittellage und im Tempo gern schleppend, Tuuli Takala als Königin der Nacht – selbstredend auch in einem Flugwagen – und Kweangchul Youn als ihr Gegenspieler Sarastro; der sonst spielbegabte Bassist blieb an diesem Abend stimmlich und darstellerisch leider so flach wie die drei Löwenkopf-Ansichten an der Front seines zur Erde geschobenen Bühnenwagens.

Buhrufe erntete Schauspieler Florian Teichmeister als bisweilen wienernder Papageno – und dies zu Unrecht, wohl aufgrund der Tatsache, dass diese Partie, den Bogen zum Wiener Vorstadttheater in der Tradition Schikaneders mit einem Schauspieler besetzt ist. Dabei sang Teichmeister sicher und in den Ensembles homogen, somit durchaus besser als der eine oder andere Vertreter der Sängerbesetzung.

Unsichtbar, aufs Schattenspiel zweier Hände reduziert, intonierte Lauri Vasar den Sprecher, sichtbar dann, zusammen mit Linard Vrielienk, als Jack-in-box, flügelgestutzter Teil des Priesterpaares. 

Den Tölzer Knaben, die hier als die drei Knaben zu hören waren, haben inzwischen die Knaben der Chorakademie am Konzerthaus Dortmund international den Rang abgelaufen – zu Recht, wie man leider bemerken muss.

Florian Hoffmann als Monostatos bot als Roboter mit Aufziehschlüssel das männliche Pendant zu Hoffmanns Olympia, wenn auch mit weniger stimmlicher Differenzierung als die weibliche Partie bei Jacques Offenbach oder Judith Weir.

Eine Meisterleistung in singender Flugkunst, mit deutlicher Diktion, stimmlicher Fähigkeit zu Terrassendynamik, wenn auch leider zu enger Höhe, vollbrachte Julian Prégardien als Tamino.

Zwischenzeitlich aufbrandende Buhrufe steigerten sich beim Schlussapplaus. Mit ihrer Dominanz im Widerspruch der Meinungen schienen sie der Entscheidung Recht zu geben, dass es an diesem Opernhaus weiterhin auch eine „Zauberflöte (alt)“ geben soll.

  • Weitere Aufführungen: 21., 23., 28. Februar, 1. 3., 6., 8., 10., 12. und 16. März 2019.

 

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