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"Elias" feierte im Theater an der Wien Premiere

Christian Gerhaher als Elias macht den Abend zum großen Musikdrama.
Christian Gerhaher als Elias macht den Abend zum großen Musikdrama. ©APA/THEATER AN DER WIEN/WERNER KMETITSCH
Am Samstagabend fand die Premiere von "Elias" im Theater an der Wien statt. Das Publikum reagierte gespalten.
Bilder der Vorstellung

“Ein jeder Engel ist schrecklich”, wusste Rainer Maria Rilke zu berichten vom Kuss der geflügelten Himmelsboten. Ein Kuss, der tödlich sein kann – wie in “Elias”, der szenischen Version von Felix Mendelssohn Bartholdys Oratorium, die seit gestern, Samstag, Abend im Theater an der Wien zu sehen ist. Calixto Bieito inszeniert dabei: das Wesentliche. Und Christian Gerhaher ist ein wahrer Prophet.

Szenischer “Elias” im Theater an der Wien

Das Alte Testament ist eine Welt nach Calixto Bieitos Geschmack. Einst als brutaler Skandalregisseur verrufen, hat sich der Spanier in den vergangenen Jahren immer wieder dem Oratorium zugewandt und seinen untrüglichen Sinn für das Düstere in großen Zügen in den Dienst von Passion oder Requiem gestellt. Im Götzenkult des Volkes Israel, von Elias zur Dürre verflucht, ehe der Prophet die Götzenpriester hinrichtet, könnte ein solcher Regisseur viel Stoff für explizite Szenen, für Blutrünstiges und Wahnsinniges finden. Doch Bieito nimmt davon wohlweislich Abstand. Er banalisiert nicht das zeitlos gültige Spannungsfeld zwischen dem Göttlichen und dem Menschlichen, zwischen Hingabe und Wut, zwischen Gebet und Götzendienst durch eine Befriedigung der Schaulust, sondern fokussiert auf den, der diesen Konflikt austragen muss. Der Prophet – und das ist bei Bieito zu allererst: ein Mensch.

Christian Gerhaher als Elias macht den Abend im Handstreich zum großen Musikdrama. Der deutsche Bariton füllt die Partie bis über den Rand, ist mit seiner gewaltigen, fast beiläufig zwischen Donnern und Winseln wechselnden Stimme in einer Liga für sich und schauspielerisch vereinnahmend: Zugleich Everyman und Auserwählter, haftet diesem Propheten nichts Heroisches an, keine Selbstherrlichkeit im heiligen Zorn, keine Eitelkeit. Erschöpfung ja, manchmal etwas Verschmitztes, viel Zweifel und letztlich immer die Bereitschaft, seinen Gott zu hören, zu spüren, sich umarmen zu lassen von dessen schrecklichem Engel.

Bieito fokussiert in Inszenierung auf das Wesentliche

Die estnische Mezzosopranistin Kai Rüütel ist dieser Engel, im strengen Hosenanzug und mit gewaltigen Flügeln, stets konzentriert zu Elias blickend, wenn sie nicht gerade die Ungläubigen in den Tod küsst. Bieito hat die Spannung von Prophet und Engel zum Dreh- und Angelpunkt seines mit viel Feingefühl austarierten Beziehungsgeflechts gemacht. Die Engelsrolle – im Oratorium in dieser Form nicht vorgesehen – baut er durch viel Bühnenpräsenz zur Protagonistin aus, ebenso wie er aus verstreuten Soli in der Partitur andere Figuren kreiert: Carolina Lippo, Anna Marshania und Florian Köfler, alle drei bis vor kurzem Teil des jungen Ensembles am Haus, sorgen dabei für starke, archetypische Bilder. Lippo als “Seraph”, eine Verrückte, die man als feministische Doppelung des Propheten selbst lesen könnte, Marshania als “Wartende” mit Babybauch, die um Elias’ Segen bettelt, Köfler als “Verlorener”, der als Personifikation Israels die meiste Zeit gekrümmt und getreten am Boden liegt.

Mit Maria Bengtsson, die in der Sopranrolle zauberhafte Momente leistet und sonst in den Chor gemischt wird und Maximilian Schmitt als Tenor, eine tragische, zerrissene Figur, die Elias in Worten unterstützt und in Taten peinigt, hat Bieito ebenfalls präzise gearbeitet. Doch “Elias” ist vor allem ein Chorwerk. Es handelt von einem Volk und seiner Hassliebe zu seinem Propheten. Von seiner Verführbarkeit, von seiner Hilfesuche, von seiner Hetze. Musikalisch wunderbar durchdrungen von erhabener Himmelsgewalt, lebt der dramatische Charakter des Stücks in den Chorpassagen. Für eine szenische Inszenierung eine schwierige Voraussetzung – selbst mit einem so versatilen Ensemble wie dem Arnold Schoenberg Chor.

Jubel und Buhrufe für Regisseur

Umso erstaunlicher, umso erfreulicher, wie der Regisseur den Chor zugleich als Kollektiv von Individuen und als Archetyp der Menschheit schlechthin begreift. Wie er sie vereinzeln lässt durch ihre fast alltägliche Kleidung, durch das Erarbeiten ureigener Verhaltensweisen und sie dann wieder zusammenführt in überzeichneten, gemeinsamen Gesten. Geschickt werden schmucklose Metallgitter eingesetzt (Bühne: Rebecca Ringst), die den Himmel einstürzen lassen, die blenden in ihrer Spiegelung, die Schutz und Gefangenschaft ohne viel Aufhebens symbolisieren. Für die Requisite gilt ebenso wie für den ausinszenierten Plot: Reduziert, aber wirkungsvoll.

Gar nicht zuletzt: Auch mit dem ORF Radio Symphonieorchester und mit Dirigent Jukka-Pekka Saraste scheint Bieito in höchstem Einvernehmen gearbeitet zu haben: Die Balance zwischen Graben und Chor, zwischen den selbstbewussten Instrumentalsoli und den oftmals zartesten Quartetten und Doppelquartetten der Gesangsstimmen hält Saraste mit beeindruckender Leichtfüßigkeit. In Dynamik und Akzentuierung bleiben keine Wünsche offen. Dass der Schoenberg Chor sein einstimmig-vielstimmiges Feintuning auf höchstem Niveau beherrscht, wird fast schon als selbstverständlich genommen. In “Elias” erhalten diese Qualitäten einen breiten Laufsteg. Es wurde gejubelt und es gab auch einige lautstarke Buhs für den Regisseur. Propheten halten das aus.

(APA/Red)

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