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„Der Zauberer von Oz“ von Pierantonio Valtinoni am Theater Erfurt. Foto: Lutz Edelhoff
„Der Zauberer von Oz“ von Pierantonio Valtinoni am Theater Erfurt. Foto: Lutz Edelhoff
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Viel Zuckerwatte: Pierantonio Valtinonis Oper „Der Zauberer von Oz“ am Theater Erfurt

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Zürich 2017. Berlin 2018, Erfurt 2019. Die Neuvertonung von „Der Zauberer von Oz“ des Italieners Pierantonio Valtinoni (geb. 1959) könnte ein Serienerfolg werden. Seine Oper auf den Text von Paolo Madron (geb. 1956) enthält kräftiges Spielfutter für Musiker und Bühne. Am Theater Erfurt verhielt man sich äußerst respektvoll und liebevoll zu dieser Partitur in der deutschen Fassung von Hanna Francesconi. Die Realisierung der Kinderchöre wurde in dieser Premiere zum Höhepunkt des Abends.

Eklektizismus und der primär auf ein volles Haus gerichtete Blick beinhalten bei deren Parallelität das Risiko verbrannter Erde: Natürlich birgt die in Zürich 2017 uraufgeführte und im Winter 2018 von der Komischen Oper Berlin mit frecher Intelligenz aufbereitete Oper „Der Zauberer von Oz“ des bei der Erfurter Premiere anwesenden Italieners Pierangelo Valtinoni zahlreiche Wirkungsmomente. Auf diese darf man sich allerdings nicht ausschließlich verlassen. Man muss sie schleifen, polieren, schärfen. Deshalb ist diese Produktion ein satter Erfolg wie der Besuch auf dem Rummelplatz mit klassischer Übersättigung durch zu viel Achterbahn und Zuckerwatte: Man schlägt bei solcher Völlerei mit Karies- und Diabetes-Risiko gerne etwas über die Stränge. Das geht Kleinfamilien so, Theatermachern manchmal auch. Trotzdem war die Aufbruchstimmung der Hauptzielgruppe bereits in der Pause deutlich. Sind die Ursache dafür Längen oder vergebliches Warten auf den berühmten Song „Over The Rainbow“ aus dem Film mit Judy Garland?

Das kann nicht daran liegen, dass die Hundedame Faye sich kurz vor der Orchesterhauptprobe aus ungenannten Gründen aus der Produktion zurückzog, jetzt ein schwarzes Stofftier als Dorothys Hund Toto deren Platz einnimmt und dieses die Protagonistin in Nicola Minssens Welt der klaren Formen, drehenden Linienstrudel und abstrakten Gerüste für die Sphäre des Zauberers, der gar keiner ist, begleitet. Hier ist es ein Traum, in dem das Mädchen aus der Welt fällt, in der gefühlten phantastischen Ferne Heimweh entwickelt und sich mit den nach Befreiung von ihren Handicaps strebenden Gefährten in die fiktiven geographischen Weiten aufmacht.

Gespiegelt werden allerdings nicht die Lebensbedingungen von Dorothy oder ihrer Peergroup im Zuschauerraum, sondern vor allem die Bilderwelten früherer Bühnenadaptionen des Kinderbuchklassikers von L. Frank Braun. Die hirnlose Vogelscheuche (Alexander Voigt), der Blechmann ohne Herz (Siyabulela Ntlale) und der feige Löwe (Juri Batukov) sind hier Wesen aus Zwischenwelten von Tier und Mensch. Dorothy (Daniela Gerstenmeyer) erweist sich stimmlich als recht robuste Zentralgestalt. Die Hexen kommen aus dem viktorianischen Fundus des Broadway, die Damen aus der Smaragdenstadt (Chor: Andreas Ketelhut) schillern in einem wenig geheimnisvollen Froschgrün, die Feldmäuse in Blau. Flächige Farben feiern Triumphe und der Zauberer von Oz (Wolfgang Kaiser in der Sprechrolle) am Ende gewinnt durch die Schnoddrigkeit eines routinierten Stellwerkarbeiters.

Als Regisseur von personell großangelegten Jugendprojekten hat Philipp J. Neumann, der mit dem Gewandhaus-Kinderchor in Leipzig eine gerühmte Reihe von szenischen Produktionen realisiert und mit dem Kinderchor der Oper Leipzig „Das Geheimnis der schwarzen Spinne“ zum Publikumsmagneten machte, einen ausgezeichneten Ruf. Auch in dieser Produktion werden die trappelnden und stürmischen, von Energien vibrierenden Auftritte des Kinderchors der Oper Erfurt und der Chorakademie (Cordula Fischer) zu Höhepunkten. Dorothy selbst, ihre Sängerin im langen Traum und ihr Double Anna Schreiber in den beiden Rahmenszenen daheim in Kansas, fallen über weite Strecken aus dem Zentrum der Aufmerksamkeit.

Die Musik dieser Oper wird zum stärksten Gegner der Regie, wenn man ihre Reizmittel nicht mit starken Pranken packt, aus den sämigen übersüßten Tongebilden nicht kräftige Sahne schlägt oder diese nicht mit einer Messerspitze subversivem Rabatz würzt. Für diese Flucht nach vorn ist auch Dirigent Samuel Bächli an diesem Abend offenbar nicht in der rechten Stimmung. Statt raffinierten Konfekts gibt es also einfarbige Geleefrüchte. Das Philharmonische Orchester Erfurt legt einen spiegelnden Ölteppich aus, auf dem die Stimmen mit zuverlässiger Diktion gut dahingleiten. Das hat Wohligkeit, die sich nach der Pause ohne nennenswerte Überraschungen fortsetzt.

Dabei ist Dorothy als Rolle in ihrer spannungslosen und erst in fernen Welten von Heimweh überwältigten Identität weitaus näher an den ihre Abenteuer meist mit emotionaler Gelassenheit erlebenden Märchen-Figuren der Brüder Grimm als etwa Pinocchio und Peter Pan. Deshalb ist „Der Zauberer von Oz“ so etwas wie eine Revue-Position des jugendaffinen Musiktheaters. Die Schwerfälligkeit einiger Szenen und der Gestaltung beider Hexen (Margrethe Fredheim, Katja Bildt) zeigen eine Sehnsucht nach dem Dauerbrenner, der auch in Erfurt 1975, 1994 und 2002 mindestens zwei Generationen von Zuschauern beglückte. Harold Arlens und E. Y. Harburgs Musical ist ein Selbstläufer, doch Pierantonio Valtinonis eklektizistisches Soundspektakel braucht musikalische Frechheit und szenischen Widerspruch. Dafür meinte man es in Erfurt mit den Zielgruppen und dem Ensemble eindeutig zu nett. Zum Schluss andauernder Beifall.  

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