Vier Seiten Kleingedrucktes? Die Inhaltsangabe für King Arthur in der Inszenierung von Sven-Erich Bechtolf und Julian Crouch am Theater an der Wien sieht aus wie ein Beipackzettel für ein verschreibungspflichtiges Medikament und ist ebenso so komplex. Warnhinweise finden sich allerdings nicht, obwohl dieser Abend mit seinen atmosphärischen Bildern eine geradezu hypnotische Wirkung entfaltet.

Henry Purcells Librettist John Dryden nutzte für diese Semi-Opera, die man sich als eine Art Opernrevue mit Schauspiel, Tanz und Bühnenmusik vorstellen muss, verschiedene Szenen aus der Artus-Sage, dem Gründungsmythos Britanniens. Dabei liegt der Fokus auf Arthurs Liebe zu der blinden Emmeline, die ihm der verfeindete Sachsenkönig Oswald, unterstützt (aber auch überlistet) von seinem Zauberer Osmond, streitig machen will. Sven-Eric Bechtolf und sein Co‑Regisseur/Bühnenbildner Julian Crouch haben diese Geschichte einer Rahmenhandlung untergeordnet, in der ein Großvater seinem achtjährigen Enkel diese Geschichte vorliest: Arthur junior, Sohn eines eben erst gefallenen Fliegerbombers im Zweiten Weltkrieg, soll so zum Patrioten erzogen werden, und am Schluss wird bedrückend (aber nicht belehrend) vermittelt, dass die Geschichte vom Heldentod wohl weitergehen wird. Dazwischen taucht man in die Fantasie des Kindes ein, in der sich dessen Umfeld in Gestalten aus der Sage verwandelt (der Großvater in Merlin, die Mutter in Emmeline, der verstorbene Vater in Arthur, und der potenzielle Stiefvater in Oswald). Das funktioniert ausgezeichnet, weil es sich auf den patriotischen Text des Werkes gründet, worin Britannien als „Fairest Isle“ besungen, und die Einheit der jungen Nation mit salbungsvollen Worten beschworen wird: Cupido möge sie vor Neid und Sorge verschonen. Da drängt sich der Gedanke an die Brexit-Debatte auf, auch wenn diese Inszenierung ohne aktuelle politische Anspielungen bleibt.

Bechtolf/Crouch setzen beim Thema Patriotismus lieber auf Humor – da wird ein Lobgesang auf die Insel zum Werbespot für „British Wool“, und das, nachdem man bereits einen geflügelten Cupido, lebende Tiroler Heumandln, ein Krankenschwesternballett, eine Art Bacchanal, durch die Wände gehende Geister, und noch viel mehr gesehen hat. Kaleidoskopisch bunt wird das Ganze durch rasch wechselnde Video- und Beleuchtungseffekte (Joshua Higgason bzw. Olaf Freese) – da werden Stoffbahnen aus Fallschirmseide zu Fluten, Bäume, die zunächst wie aus Papier geschnitten aussehen, zu einem leuchtend bunten Herbstwald. Dass die aufwändigen Kostüme von Kevin Pollard dabei ihre eigenen Geschichten erzählen, überrascht in diesem Zusammenhang kaum.

In einer Semi-Opera wird viel deklamiert (in dieser Produktion auf Deutsch), und dafür stand eine Riege hochkarätiger Schauspieler zur Verfügung, die vom Ursprungsort dieser Produktion (Staatsoper Unter den Linden Berlin) übernommen wurde. Unter den grandiosen Schauspielleistungen sei jene von Oliver Stokowski als zaubernder und den Abend kommentierender Osmond besonders hervorgehoben; eine berührende und doch komische Szene lieferte auch Meike Droste als plötzlich sehende Emmeline, die sich mit ihrem Spiegelbild auseinandersetzt. Weniger sympathisch, aber nicht weniger gut waren der unbelehrbare Großvater von Jörg Gudzuhn und der tölpelhafte Oswald von Max Urlacher. Immer ein Genuss sind die sonoren Stimmen von Michael Rotschopf (Arthur) und Sigrid Maria Schnückel (Emmelines Begleiterin), den anderen sei pauschales Lob ausgesprochen.

Vom Sängerpersonal hatte Martina Janková als Luftgeist Philidel (Cupido, Sirene, Venus) viel und Hohes in altem Englisch zu singen, und das tat das ebenso wie ihre Kollegin Robin Johannsen friktionsfrei. Auch bei den übrigen Sangesleistungen gab es nichts zu bemängeln, wobei Jonathan Lemalu als vor Kälte zitternd singender Bass-Frostgeist die bekannteste musikalische Szene des Werks bestreiten durfte. Am anderen Ende des stimmlichen Spektrums gefielen der Tenor Mark Milhofer und der Altus Rodrigo Sosa Dal Pozzo, und vom Jungen Ensemble des Theater an der Wien machten der Tenor Johannes Bamberger und der Bass Dumitru Mădărăşan Vorfreude auf weitere Partien am Haus. Der Arnold Schoenberg Chor beantwortete die Herausforderung Purcell mit einer Leistung der Extraklasse.

Wenn man an diesem Abend etwas bekritteln möchte, dann den Umstand, dass diese Inszenierung eher wie ein Theaterstück mit reichlich Musik denn wie eine Oper wirkt; allerdings bedeutet das nicht weniger Unterhaltungswert. René Jacobs, der für die vorgestellte musikalische Fassung des King Arthur verantwortlich zeichnet, hat zwar die Sprechstellen mit Gamben-Musik von Purcell unterlegt (und die stimmkräftigen Schauspieler nutzen die sich daraus ergebenden rhythmischen Möglichkeiten beeindruckend), trotzdem steht die Musik merkwürdigerweise nicht im Zentrum des Geschehens. Das mag an der überbordenden Optik liegen, ist aber auch ein wenig dem Concentus Musicus unter der Leitung von Stefan Gottfried geschuldet. Wenn man von kleineren Schlampereien zu Beginn absieht, war alles ordentlich (und das ist bei einem langen, in puncto Bühnengeschehen komplizierten Abend nicht wenig), blieb aber bei aller Schönheit im Hintergrund – Purcells charakteristische Führung der Stimmen, die „unrund“ klingen, bevor sie sich musikalisch verbinden oder auflösen, darf man ruhig mit mehr Lautstärke spielen. Immerhin gab es solistische Glanzpunkte, wobei der Schlagwerker Michael Metzler (als Gast von der Akademie für Alte Musik Berlin) auch wichtige Akzente für das Bühnengeschehen setzte. Wie dem auch sei, dieser King Arthur zählt zu den interessantesten Arbeiten, die in jüngerer Zeit auf eine Wiener Bühne gebracht wurden, und wird als Gesamtkunstwerk in Erinnerung bleiben.

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