King Arthur
Herwig Prammer
Purcell statt Brexit

König Artus’ Flying Circus

Es soll ja mal eine Zeit vor dem Brexit-Theater gegeben haben, als alles anfing mit den Briten und ihrem eigenen Königreich auf der Insel. Geht man freilich nach der Lesart von Sven-Eric Bechtolf und Julian Crouch, so taumelte schon Urvater Artus ein wenig durch den Monty-Python-Wald der Historie. Und in diesem lauern, wie die bildmächtige Umsetzung von Henry Purcells Semioper „King Arthur“ am Theater an der Wien zeigt, auch böse Buben mit fiesen Zaubertricks.

Dass die Gegenwart die Kraft zum Träumen verloren hat, mag eine abgedroschene Phrase sein. Doch wenn der Politik die Energie ausgeht, nach dem Scheitern von Plan A in Alternativen zu denken und Vorwärtsutopien anzubieten, dann darf Theater in der Vergangenheit wühlen und dort auch schon mal alles durcheinanderwürfeln. Regisseur Sven-Eric Bechtolf und der Bühnenbildmagier Julian Crouch haben sich jedenfalls schon vor einiger Zeit den legendären Artus-Stoff unter den Nagel gerissen und John Drydens und Henry Purcells „King Arthur“ zu einer ausufernden Bastelstunde im Fach Illusionstheater aufgeblasen.

In der Berliner Staatsoper Unter den Linden war dieses Experiment im Vorjahr unter der musikalischen Regie von Rene Jacobs zu erleben. Die Rezensionen waren euphorisch – und all jene, die meckerten, taten das meist aus dem Grund der Übersättigung. Zu viel sei da an einem Abend gewollt und geboten worden.

King Arthur
Herwig Prammer
Während das Kind im Bett liegt und schläft, treten auch böse Kräfte in den Raum. Etwa Oliver Stokowski als Osmond.

Großes Illusionsspektakel im kleinen Guckkasten

Seit Donnerstag ist das Spektakel in anderer Besetzung nun am Theater an der Wien zu erleben. Stefan Gottfried leitet dabei einen großartigen Concentus Musicus Wien. Bei der Premiere meinten zwar viele dank ausführlicher Vorberichterstattung schon zu wissen, was sie wann erwarte. Doch so mancher wurde dennoch überrascht und in den Bann gezogen von der Art des Bühnen- und Illusionshandwerks, das im engen Guckkastenraum des Theaters an der Wien verwirklicht wurde.

Zum Nachhören

Sven-Eric Bechtolf und Julian Crouch im Gespräch mit Judith Hofmann über „King Arthur“ – mehr dazu in oe1.ORF.at.

Eine Art Märchenstunde führt an diesem mehr als dreistündigen Abend zurück in die Geschichte des Empires, als es noch mehr mit seiner sagenhaften Gründung als der Ausleuchtung einer ungewissen Zukunft beschäftigt war. Wie auch bei der letzten Salzburger „Zauberflöte“ greift man auf einen Kniff zurück: Ein Großvater liest seinem Enkel den Lauf der Oper vor. In dem Fall ist es eben die Geschichte des mythischen Königs Artus und seines Kampfes gegen die Fieslinge vom Kontinent, Oswald und Osmond, die hier dargeboten wird. Man befindet sich am Ende des Zweiten Weltkriegs. England hat den Krieg gewonnen, doch der kleine Knabe, der auf den Namen Artur hört, hat seinen gleichnamigen Vater verloren.

King Arthur
Herwig Prammer
„King Arthur“ als großes Aufblend- und Blendtheater

Geschichte als Projektion

Crouch und Bechtolf interessiert die Figur des zuhörenden und schließlich träumenden Knaben. Geschichte ist nicht Erinnerung, sie ist Projektion. Und im Theater muss Geschichte nun einmal das Was-wäre-wenn sein. Anfang und Ende scheinen vom Kleinen Prinzen geborgt – ein Flieger führt in die Geschichte und retour in die Gegenwart. Wohl war der Vater Artur ein Pilot, der in der Verteidigung Englands gefallen ist. Der Großvater will, dass der Vater in der Erinnerung lebendig bleibt. Doch der Knabe, er bekommt gleich die Aufgabe des kollektiven Traums der Geschichte einer Nation umgehängt. Das ist ein bisschen viel für so einen Buben, und damit es erträglich wird, ist alles sehr ironisch gebrochen.

Theater an der Wien zeigt „King Arthur“

„King Arthur“ steht jetzt im Theater an der Wien auf dem Programm. Der Gründungsmythos Großbritanniens ist hier mehr als ein Bühnenwerk von Henry Purcell.

Wenn Sprechtheater die Oper trägt

Crouch/Bechtolf arbeiten in dieser Oper mit einer Truppe hochkarätiger Schauspielerinnen und Schauspieler, allen voran Michael Rotschopf als Arthur, Meike Droste als Emmeline und Oliver Stokowksi als Osmond. Das ist keine Herabwürdigung der Sängerinnen und Sänger, die von Martina Jankova bis zum Arnold Schönberg Chor großartiges leisten an diesem Abend. Doch Purcells Oper besteht eigentlich nur aus sieben großen Musikblöcken, aus denen die typischen Purcell-Strukturen (Rezitativ mit Choralspiegelung etc.) nur so rausleuchten – die aber durch eine Form von Handlung zusammengehalten werden müssen.

So tragen die Schauspieler den Abend. Durch die Rahmenhandlung, aber auch im Re-Enactment von Geschichte, die im Fall des Artus-Mythos eben eine Geschichtsprojektion ist. Hier entscheidet sich Regisseur Bechtolf für einen sehr ironischen Zugang. Die Liebespaare sind nicht pathetisch, sondern mitunter verblendet, dann wieder abgeklärt. Die miteinander streitenden Parteien reflektieren ihr Tun so stark, dass Ironie ein Leitfaden durch die Geschichte ist.

Eine Frage der Grenzziehung

Gemeinsam mit dem großen Illusionshandwerk beim Bühnenbild, den aufgebotenen Riesenfiguren, entsteht so ein höchst kurzweiliger Opernabend, bei dem die Schönheit der Musik Purcells klar zu Geltung kommt. Dass man am Ende von gut drei Stunden aber wie erschlagen dasitzt, liegt an einer gewissen Unentschlossenheit der Regie. Denn am Schluss steht viel Pathos und Ernsthaftigkeit. Der Sohn steigt als Krieger der Zukunft in den Flieger. Zugleich soll die Welt eine bessere werden und sich vertragen.

Das ist schließlich doch zu viel des Guten wie gut gemeinten. Hier wollten zwei nicht nur Schlaglichter werfen – sie wollten uns alles, was möglich ist, wenn man nun mal ein Kind träumen lässt, sagen. Und wie in jeder guten Kinderstube ist auch bei der gelungenen Regie die Frage der Grenzsetzung eine zentrale. Hier hätte weniger mehr sein können. Wer sich freilich vom Theater verzaubern lassen will ohne Rücksicht auf Ressourcen, der wird an diesem Abend mehr als gut bedient.