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Die Maskenspieler der Theatertruppe Familie Flöz verkleidet als Trauergäste.

© Bernd Uhlig

„Himmelerde“ an der Staatsoper: Wenn die Seele einen Kater verspürt

Kleines Format im großen Haus: Die Liederoper „Himmelerde“ von Familie Flöz und der Musikbanda Franui an der Staatsoper.

Irgendetwas stimmt hier nicht. Wenn die Saaltüren vor Vorstellungsbeginn geöffnet werden, ist die Bühne der Staatsoper noch gar nicht spielklar. Eine Putzkraft wuselt dort mit einem gewaltigen Staubsauger über die Bretter, auf die am Tag zuvor noch unaufhörlich Beat Furrers „Violetter Schnee“ fiel. Illusionen müssen auch wieder abgeräumt werden, die Bühnenbilder werden verstaut, die Requisiten wandern zurück ins Regal. Und doch bleibt etwas zurück, ein Gefühl, das man Sehnsucht nennen könnte – jedenfalls solange kein besserer Begriff vom Schnürboden herabsinken will.

„Himmelerde“ ist ein Abend nach einem großen Abend, wenn die Seele einen Kater verspürt und Trost nicht leicht zur Hand scheint. Die Putzkraft gehört natürlich schon zum Spiel der Theatertruppe Familie Flöz, deren Darsteller unter Ganzkopfmasken stecken. So erscheinen sie seltsamerweise vertraut mit ihrer ruckelnden Naivität und einer unerlösbar erdigen Traurigkeit, die durch alle Figuren wandert, ob sie nun Kinder oder Greise darstellen. Familie Flöz kümmert sich wortlos um die kleinen Dramen des Alltags, in denen aber alle existenziellen Fragen schlummern. Letzten Endes geht es darum, unseren Platz zu finden zwischen Himmel und Erde, Geburt und Tod, Liebe und Vereinsamung. Ohne Musik kann das natürlich nicht funktionieren, schon gar nicht in der Oper, deshalb treffen die Maskenköpfe auf die Tiroler Musikbanda Franui.

Theatermusik mit Tuba, Hackbrett und Trompete

Der Erstkontakt ist noch von Missverständnissen geprägt, denn einen klassischen Dirigenten, in stummer Wichtigkeit von seiner Kunstausübung gezeichnet, brauchen die Musiker nicht. Franui, benannt nach einer Osttiroler Bergwiese, spielen Theatermusik mit Tuba, Hackbrett, Akkordeon und Trompete, die in der Tradition von Trauermärschen und Tanzmusik steht. In den Bergen war das lange eins: Trauer, vier Mal so schnell gespielt, ergibt eine Polka! Ein schwindlig machender Wirbel zwischen Friedhof und Wirtshaus, so klingt das Leben. Mit diesem Dreh haben Franui wunderbare Interpretationen von Schubert, Brahms und Mahler geschaffen. Mal scheinen die funkelnden Sterne zum Greifen nah über den staunenden Menschen, mal stürzt ein Tänzer direkt ins Grab. Dieses musikalische Moment nutzt das Maskenmusiktheater „Himmelerde“ auch szenisch: Ein Mitglied der Familie Flöz rutscht auf der Seifenlauge aus, mit deren Hilfe es gerade noch Riesenseifenblasen gezogen hat – und stürzt krachend in den Orchestergraben. Einige Zuschauer erheben sich besorgt von den Sitzen, um das Ausmaß des Unglücks zu ermessen.

"Die Sonne scheint nicht mehr so schön als wie vorher"

„Die Sonne scheint nicht mehr / so schön als wie vorher / der Tag ist nicht so heiter / so liebreich gar nicht mehr“, singen die Musiker auf der Suche nach dem Herz, das sie verloren haben, Brahms im Chor. Ein waidwunder Ohrwurm, gegen den es die beiden Solisten Anna Prohaska und Florian Boesch trotz akustischer Verstärkung nicht leicht haben, wenn sie den Franui-Versionen des romantischen Liedguts ihre Stimme leihen. Prohaska legt mit einem verruchten Webern-Lied sogar noch eine Schippe drauf, während Boesch mit Mahler schwankendes Terrain markiert. Dennoch klemmt jene Mechanik, die reine Franui-Konzerte zum Erlebnis macht, dieses taumelnde Ineinander von Trauer und Lebenswut, Sehnsucht und Lakonie.

Die über Jahrzehnte gewachsene Kunstform auf der Bühne zu teilen, ist nicht mehr so einfach. Selbst wenn die wackeren Maskenspieler von Familie Flöz Stationen vom Kinderspiel bis zur Kranzniederlegung abklappern – durch den Spalt zwischen romantischer Überhöhung und Alltagstrauer dringt ihr Spiel nur selten. Das Tragikomische steckt überall, bleibt aber schwer zu fassen. Doch auf die große Maschinerie ein Katerspiel folgen zu lassen, bleibt eine schöne Idee.
Weitere Aufführungen am 19. Januar sowie am 6. und 7. April

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