„Violetter Schnee“ :
Weltuntergang, altmeisterlich gerahmt

Lesezeit: 3 Min.
Schnee, Bild und Welt im freien Fall: Anna Prohaska liegt schon, Elsa Dreisig bückt sich, Gyula Orendt steht noch, Georg Nigl sitzt – sprachlos.
Die neue Oper von Beat Furrer steckt voller Phantasie klanglichen Erzählens, verlässt sich aber auch auf eine längst erprobte Sprachskepsis. Die Berliner Staatsoper bringt „Violetter Schnee“ zur Uraufführung.

Aufstiebender Graupel von Flöten, Oboen, Klarinetten, Fagotten und Saxophon gerbt uns das Ohr. Posaunen und Tuba grunzen ganz grässlich wie Behemoth und Leviathan. Da tobt eine letzte, unheilige Schlacht zwischen Himmel, Erde, Luft und Meer. Und diesem Tumult in der umwerfenden Staatskapelle Berlin, dem Matthias Pintscher im Graben der Staatsoper Unter den Linden dirigentisch Zaum und Zügel angelegt hat, damit er alles in den Händen behält, diesem kosmoszerberstenden Krach entragen einige Molldreiklänge wie verkohltes Gebälk zermalmter Kirchen dem Treibsand baltischer Dünen. Sie sind zu dinglichen Gespenstern gewordene Relikte des Vertrauten, Heimsuchungen einer unheimlich gewordenen Heimat. Aber dann, von Takt 89 dieses Vorspiels zur Oper „Violetter Schnee“ von Beat Furrer an, gleiten die Streicher abwärts, dabei Stufe um Stufe höher steigend mit jedem Neueinsatz. Es ist ein Stürzen in zwei Richtungen, ganz wie in dem Text, den der Chor, das staunenerregende Vocalconsort Berlin, von Takt 141 an eher summt als singt, jene Zeilen aus der Schrift „De rerum natura“ des Lukrez, wo die donnernden Himmel „nach oben entstürzen“, wie Furrer übersetzt, „und die Erde dem Fuß sich reißend entziehe“.

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