Im Wald treiben sich nicht nur der Freischütz und Siegfried herum, sondern auch Friedrich Schillers Räuber, die bei Giuseppe Verdi I masnadieri heißen. Auf den internationalen Opernbühnen sind die Letzteren aber weit seltener anzutreffen. Umso dankbarer sind die Sammler von Opernerlebnissen, wenn sich ein Haus – in diesem Falle die Volksoper Wien – dieses Werks annimmt und dem persönlichen Verdi-Puzzle einen wichtigen Stein hinzufügt.

Dass Die Räuber nicht zum Standard-Repertoire gehört, hat viel damit zu tun, dass große Literatur für die Opernbühne zwangsläufig gekürzt und verdichtet werden muss. Auch wenn das bei I masnadieri von Librettist Andrea Maffei nicht ungeschickt gemacht wurde, fehlt doch einiges zum schlüssigen Ganzen. Dass die Musik eine zusätzliche Deutungsebene schafft, stiftet bei diesem Werk an manchen Stellen eher noch mehr Verwirrung, auch wenn der junge Verdi ein Genuss ist: Über der testosterongeladenen Sturm- und Drang-Musik von Räuberchor und Bösewicht schwingen die Kantilenen und glitzern die Koloraturen des weiblichen Unschuldsengels, sodass man eine Vorstellung davon bekommt, warum Jenny Lind, die Amalia der Londoner Uraufführung 1847, als „schwedische Nachtigall“ bezeichnet wurde.

Amalia ist die einzige Frau in dieser Oper, die in der Deutung von Regisseur Alexander Schulin mit zwei höchst unterschiedlichen Cousins (Karl und Franz) aufgewachsen ist, deren Vater Maximilian ihr zum Ersatzvater geworden ist. Die Ouvertüre, während der drei Kinder dem Solocellisten auf offener Bühne lauschen, erinnert wehmütig an eine idyllische Kindheit. Doch aus Kindern werden Leute, und mit der Entscheidung für Karl hat sich Amalia zwangsläufig gegen Franz gestellt, welcher sich nicht nur deshalb auf der Schattenseite des Lebens wähnt: Als vernachlässigter Zweitgeborener ohne Erbanspruch bezieht er Kraft aus negativer Aufmerksamkeit und sieht in einer Brief-Intrige gegen den Bruder seine Chance. Als dieser vom Vater verbannt wird, und der Alte vermeintlich stirbt, fehlt ihm zum Triumph über seine dysfunktionale Familie nur noch Amelias Hand – die bekommt aber weder er noch Karl. Letzterer hat die Zeit seiner Verbannung als Räuberhauptmann überbrückt, womit die Rückkehr in ein bürgerliches (oder in dem Fall: gräfliches) Leben ausgeschlossen scheint. Am Ende wird die Jugend tot sein und der greise Patriarch vor dem Scherbenhaufen seines Lebens stehen.

Für diese Inszenierung hat Bettina Walter edle Kostüme im Stil des Ancien Régime für die gräfliche Familie entworfen, wohingegen die Räuber schon eher post-revolutionär unterwegs sind. Ausgeführt werden diese Kreationen in und um einen funktionalen Kubus von Bettina Meyer, der als Familienschloss die Sphäre der Kernfamilie abbildet, sich drehen und zum Schluss auch teilweise zerlegt werden kann. Alles, was sich in diesem Kubus abspielt, funktioniert als Kammerspiel überwiegend überzeugend, alles außerhalb weit weniger. Man kann die Orientierungslosigkeit rund um den Kubus zwar als Teil des Regiekonzepts deuten, allerdings ist die fehlende Personenführung ein generelles Manko dieser Inszenierung. Besonders eklatant erscheint das in der großen Konfrontationsszene zwischen Amalia und Franz: Liebessehnsucht seinerseits, Zurückweisung ihrerseits, und eine versuchte Vergewaltigung, die daran scheitert, dass Amelia Franz den Dolch entwindet – dazu Musik die das vermittelt, was man gemeinhin Liebesduett nennt.

Um diese dramaturgisch schwierige Szene aufzulösen, bedürfte es einer detaillierten Choreographie, aber leider hat man hier insbesondere die Sängerin alleingelassen. Das wiegt umso schwerer, als Anja-Nina Bahrmann eine hervorragende Amalia mit lyrischem Legato, sauberen Koloraturen und Durchschlagskraft in der Höhe ist. Ein Höhepunkt des Abends war ihr Duett mit Kurt Rydl (Maximilian) – ein derart exquisites Aufeinandertreffen von schwerem Bass und hellem Sopran hört man nicht alle Tage. Wenn Rydl singt, wackelt neben den Wänden zwar auch das Vibrato, aber das tat dem Vergnügen an seiner Darbietung keinen Abbruch. In dieser Inszenierung darf er sogar seinen missratenen Sohn als Geisterscheinung heimsuchen (wo normalerweise ein Pfarrer auftritt), und hat dabei seine besten Momente. In besagter Szene beeindruckte auch der usbekische Bariton Alik Abdukayumov, der den Franz so verschlagen wie Jago zeichnete und dazu eine ausgezeichnete Gesangsleistung bot.

In der Reihe von Verdis Opern steht das Werk unmittelbar nach Macbeth und ist eine dem Belcanto verpflichtete Nummernoper, allerdings schwingt an einigen Stellen schon die Rhythmik des fünfeinhalb Jahre später uraufgeführten Trovatore mit; speziell im ersten Akt wähnt man im Orchester „Di quella pira“ ganz nah, und ebenso viele Herausforderungen für die Tenor-Partie des Karl. Leider war es nicht der Abend des Mehrzad Montazeri, der im ersten Akt Intonationsprobleme hatte und den Rest des Abends forcieren musste. In seiner Partie zeigte sich auch die Schwäche der deutschen Übersetzung, in der die Betonung der Silben häufig im Gegensatz zur musikalischen Betonung steht.

Alexander Pinderak und Christian Drescher fielen als Kammerdiener Hermann bzw. als Roller positiv auf, der Chor mehr durch Volumen denn durch differenzierte Gestaltung. Alfred Eschwé leitete den Abend auf gewohnt hohem Niveau, allerdings stockte der dramatische Fluss an einigen Stellen – am Ende mancher Szenen hätte rascheres Weiterdirigieren gutgetan. Im schwermütig-nostalgischen Cellosolo der Ouvertüre gab Roland Lindenthal einen beeindruckenden Ausblick auf das, was noch kommen sollte, die hohen Erwartungen daraus erfüllten sich jedoch nur teilweise.

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