Diesen Dezember ist es hundert Jahre her, dass Puccinis Einakter-Trilogie Il trittico an der New Yorker Metropolitan Opera seine Weltpremiere erlebte. Das könnte man mit Komplett-Aufführungen feiern, andererseits ist die gut besetzte Wiederaufnahme von Der Mantel (Il tabarro) und Gianni Schicchi an der Volksoper Wien auch ein würdiger Tribut an dieses Werk, das Puccini so sehr am Herzen lag.

Er liebte, wie er selbst sagte, die kleinen Dinge, und konnte und wollte auch nur die Musik der kleinen Dinge machen. Vielleicht sind ihm seine Einakter gerade deshalb so gut gelungen. In ihrer Kürze liegt die buchstäbliche Würze, und die menschlichen Schwächen und Leidenschaften sind – und zwar in dieser Reihenfolge – in wunderbare Musik gegossen: veristisch-naturalistisch in ihrer Grundstruktur, lieblich-melodiös im Ausbruch aus der kruden Wirklichkeit, tonal komplex und schon vorausweisend auf Turandot.

Warum aber streicht man im Opernbetrieb so häufig Suor Angelica, das Mittelstück dieses musikalischen Triptychons? 2012, als das Theater an der Wien Il trittico in seiner Gesamtheit zeigte, war man von der Geschichte einer ins Kloster verbannten ledigen Mutter sehr berührt, andererseits (auch wenn die traditionelle Opernwelt ohne Fratres und religiöse Vorschriften nicht auskommt) war bei der Uraufführung der Höhepunkt kirchlicher Einflussnahme auf das Weltgeschehen längst überschritten, und das Interesse des mondänen New Yorker Publikums dementsprechend verhalten.

Dennoch hat die Streichung heutzutage vor allem theaterpraktische Gründe: Drei Einakter erfordern zwei Pausen, machen daher den Opernabend lang und die Besetzung aufwändig, darüber hinaus braucht man eine Regie, welche die drei Teile zu verbinden weiß. Dagegen funktionieren Der Mantel und Gianni Schicchi als gegensätzliches Duo; allerdings werden sie durch die Ausstattung von Christof Cremer in dieser Regiearbeit von Hausdirektor Robert Meyer subtil verbunden. Zunächst scheint es zwar wenig Sinn zu machen, dass man für die Geschichte vom Mord im Hafenarbeitermilieu Anzug trägt (und das Mordopfer Luigi einen feinen weißen Schal obendrein), allerdings löst sich dieses Rätsel erst durch ein weiteres, wenn nämlich bei Gianni Schicchi die Verwandtschaft rund um das Totenbett des reichen Buoso Donati um dessen riesiges Erbe bangt und streitet, der Einrichtungsstil aber eher durch „Shabby Chic“ denn Zurschaustellung großbürgerlichen Reichtums auffällt. Unweigerlich wird klar, dass sich Edelmütiges im Elend finden kann, und die Mitglieder der vorgeblich besseren Gesellschaft auch ihre primitiven und schäbigen Seiten haben – darüber können akkurat sitzende Frisuren und gepuderte Nasen nicht hinwegtäuschen!

Beide Teile des Abends sind an der Volksoper gut besetzt: Im ersten bilden Boaz Daniel (Michele) und Melba Ramos (Giorgetta) ein Paar, dessen Ehe am Tod des gemeinsamen Kindes zerbrochen ist. Die um einiges jüngere Giorgetta flieht aus ihrem Elend in die Arme von Luigi (Vincent Schirrmacher), seines Zeichens Entlader von Zementsäcken am Schleppkahn ihres Mannes, und Luigis späterer Eifersuchtsmörder. Alle drei haben die für dieses Drama notwendige Stimmkraft, auch wenn sie manchmal im Orchester-Fortissimo untergehen – bis auf diese Momente geben sich die Instrumentalisten unter der Leitung von Lorenz C. Aichner absolut tadellos.

Freude machen auch die kleineren Rollen, allen voran die Lumpensammlerin Frugola („Hamsterin“) von Manuela Leonhartsberger mit ihrem Traum vom Leben auf dem Lande samt Katze. Als ihr Mann Talpa („Maulwurf“) ist Yasuhi Hirano die gewohnte Stütze des Ensembles, während Karl-Michael Ebner als dem Alkohol zugeneigter Tinca („Hering“) Eindruck macht. Zum Portrait der Ausweglosigkeit der Tagelöhner trägt aber auch das Bühnenbild bei: Die Seine ist in dieser Produktion zu einem Rinnsal verengt, abgeschottet vom Rest der Stadt durch Kaimauern, und nur sporadisch glitzert in der Musik ein wenig Pariser Flair in die allgemeine Tristesse.

Der Mantel mit seiner Ebbe an Zukunft und Flut an unbewältigten Gefühlen bildet auch musikalisch den Wasser-Teil des Abends, wohingegen der zweite Teil in dieser Produktion mit „Inferno“ bzw. Höllenfeuer betitelt ist. In der Tat beruht Gianni Schicchi auf ein paar Zeilen von Dante Alighieri, jedoch ist diese Komödie eine sehr irdische – Erbschleicher hat es schon immer gegeben! So lustig wie bei Puccini ist es aber nie, und lautere Motive (der bauernschlaue Neo-Florentiner Gianni Schicchi will primär seine Tochter glücklich sehen und ihr eine Mitgift verschaffen, damit sie Rinuccio vom Donati-Clan heiraten kann) wird man in der Realität auch kaum finden, liebestolle Mädchen wie Lauretta, die den „babbino caro“ (den lieben Papa) mit emotionaler Erpressung um den Finger wickeln, schon viel eher. Diese Arie ist zwar abgedroschen wie wenig andere, aber wenn sie Rebecca Nelsen zwischen Pathos und Unschuld singt, und Martin Winkler dazu die Augen verdreht, dann hat das viel Charme, zumal der Rinuccio von Szabolcs Brickner auch stimmlich liebenswert ist.

Martin Winkler ist als Gianni Schicchi das, was man landläufig „Rampensau“ nennt: So wie er die ängstlichen Donati-Verwandten unter seine Kontrolle bringt und im Falsett dem Notar das Testament eines Anderen diktiert, könnte er einen Abend ganz allein bestreiten, doch sind auch die Ensemble-Szenen rund ums Totenbett köstlich. Das sollte man gesehen haben!

****1