Hauptbild
Ensemble. Foto: © Thilo Beu
Ensemble. Foto: © Thilo Beu
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Zwischen Kitsch und Kunst – Li-Tai-Pe von Clemens von Franckenstein in Bonn

Publikationsdatum
Body

Nächster Coup an der Oper Bonn: im Rahmen der äußerst verdienstvollen Reihe Fokus ’33 hat man wieder eine veritable Repertoirelücke aufgetan: Li-Tai-Pe von Clemens von Franckenstein. Oper wie Komponist sind heutzutage weitgehend der Vergessenheit anheimgefallen, was mehr als erstaunlich ist. Bis zur Schließung der Theater 1944 war die Oper eine der meistgespielten in Deutschland und auch Franckenstein war kein Unbekannter: Als Intendant in Wiesbaden und München hat er Spuren hinterlassen, als Komponist ebenfalls. Und doch kennt ihn ebenso wie seine Oper heute kaum noch jemand.

Dass das durchaus ein Fehler ist, beweist das Theater Bonn mit Li-Tai-Pe. Denn was man hier zu sehen bekommt, ist knapp zweieinhalbstunden beste Unterhaltung, berauschende Musik und eine flotte, wenn auch nicht gänzlich schlüssige Inszenierung. Aber immer schön der Reihe nach. Die Story ist schnell zusammengefasst: ein versoffener Dichter schreibt das schönste Liebesgedicht für den Kaiser, geht für ihn auf Brautschau und findet am Ende sein Glück. Dazwischen gibt’s natürlich auch eine ordentliche Prise Neid, Missgunst und Intrigen, aber am Ende finden die Guten ihr Glück und die Bösen erhalten ihre verdiente Strafe. Ist auch mal schön in diesen Zeiten.

Musikalisch ist das alles betörend üppig von Franckenstein illustriert worden. Sein spätromantischer Stil erhält durch eine dezent dosierte Prise Exotismus und Impressionismus seine nötige Würze, die Partitur ist von verschwenderischer Fülle und wird auch dementsprechend vom Beethoven Orchester Bonn zelebriert, das von seinem Ersten Kapellmeister souverän durch den Abend geführt wird. Manchmal schimmert auch eine ordentliche Portion filmmusikalisches Pathos durch, aber auch hier findet man immer den richtigen Pfad zwischen Kitsch und Kunst. Insgesamt gelingt das ebenso frisch wie hinreißend! Auch der von Marco Medved vorbereitete Chor, der hier vor allem im ersten Akt sehr dankbare Aufgaben hat, erweist sich als solider Träger der Handlung, musikalisch wie szenisch. Nur gelegentlich muss sich in den großen Ensembleszenen zu Anfang die Koordination mit dem Orchester etwas einruckeln.

Die Figur des Dichters Li-Tai-Pe übernimmt in der Bonner Inszenierung Mirko Roschkowski, ein Glücksfall, stimmlich wie darstellerisch. Er spielt alle Facetten seiner Figur natürlich aus und ist reich mit optimal dosiertem tenoralem Glanz gesegnet – ein Glanzpunkt dieser Inszenierung, ebenso wie Anna Princeva, die seine Geliebte Yang-Gui-Fe verkörpert. Auch die weiteren Rollen sind sehr gut besetzt: Mark Morouse ist eine ideale Verkörperung des Kaisers, Giorgos Kanaris überzeugt als Ho-Tschi-Tschang, Doktor der Kaiserlichen Akademie, Tobias Schabel als Erster Minister Yang-Kwei-Tschung und Johannes Mertes als Kao-Li-Tse, Kommandant der Garden. Die Besetzung komplettieren Martin Tzonev als Herold, Kieran Carrel als Wirt, Ava Gesell als koreanische Prinzessin Fei-Yen und Pavel Kudinov als Soldat.

Ein amüsanter Einfall der Regisseurin Adriana Altaras ist es, vier ebenfalls besetzte Mandarine vor dem zweiten Akt quer durch den Zuschauerraum watscheln und Faxen machen zu lassen. Gleichzeitig offenbart dies die Schwachstelle dieser etwas unentschlossen zwischen großem Opernpathos und einfältigem Jux schwankenden Inszenierung. Letzteres ist immer wieder eingebaut, aber so recht will sich das nicht in den Rest einfügen. Sei’s drum, das streng konstruierte Bühnenbild von Christoph Schubiger greift ebenso wie die Kostüme von Nina Lepilina historisierende Elemente auf, überzeichnet diese aber auch.

Insgesamt betrachtet eine klare Seh- und Hörempfehlung, denn auch wenn die Inszenierung nicht mehr oft läuft, was sehr schade ist, bietet der Rundfunk eine weitere Chance: Die Produktion wurde vom WDR aufgezeichnet und ist auf WDR3 am 19. Juni 2022 um 20.04 Uhr und am 13. August 2022 um 19.05 Uhr auf Deutschlandfunk Kultur zu hören. Nicht vergessen darf man im Übrigen das opulente Programmheft, das eher ein ausgewachsenes Kompendium ist und viel Hintergründiges zu Franckenstein und dessen Zeit bietet.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!