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Renato Girolami, Marie Lys, Luigi De Donato. Foto: © Brigitte Duftner
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Paërs anderer „Fidelio“ bei den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik

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Nur halb so dick wie die von Plan A ist die wegen Corona verschlankte Fassung der Jahresbroschüre zu den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik. Trotzdem kommt das Festival bemerkenswert gut und glücklich in die Gänge. Alle drei Musiktheater-Produktionen finden statt: Paërs „Leonora“ als Tribut an das Beethoven-Jahr, Alessandro Melanis „L'empio punito“ und die sechs musikalischen Intermedien zu „La pellegrina“ – dazu auserlesene Konzerte wie Carissimis Oratorium „Jephte“ mit Voces Suaves und ein Arienabend mit Franco Fagioli. „Felix Austria!“, obwohl die Altstadt im Sommer 2020 durch eine Vielzahl von Baustellen zerstückelt ist und aufgrund der Pandemie Touristenströme nicht so üppig durch die Straßen treiben wie in den letzten Jahren. Roland H. Dippel erlebte zwei stark kontrastierende, großartige Abende.

Für die Nachwelt hat Beethoven mit seiner einzigen Oper Alleinanspruch auf das Sujet von der Frau, die ihren Mann vor seiner unrechtmäßigen Ermordung rettet. Gegen die Beethovens Partitur zugesprochenen humanen Botschaften können andere Vertonungen des auch von Gaveaux und Simon Mayr vertonten Stoffes nur abfallen – so lautet das eigentlich nie hinterfragte Werturteil. Dem widerspricht Alessandro De Marchi. In den zehn Jahren seiner Intendanz bei den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik hat er immer wieder Opern der neapolitanischen Schule herausgebracht und dabei die Alte Musik bei Mercadantes „Didone abbandonata“ (2018) sogar bis ins Jahr 1823 gestreckt. Beethoven kannte die 1804 am Kleinen kurfürstlichen Theater in Dresden uraufgeführte „Leonora ossia L’amor conjugale“ (Leonore oder Die eheliche Treue), eine Partitur der bis 1820 recht verbreiteten Oper befand sich in seinem Besitz. De Marchi brach eine erstaunliche Lanze für Paër, weil er eben nicht die vorhandenen Analogien zu Beethoven hervorkehrte, sondern das Werk unter Verwendung einer kritischen Neuausgabe aus dem Kontext des späten 18. Jahrhunderts verstand. Der Abend wurde zu einem Glückstreffer. Eine gute Voraussetzung dafür war auch, dass Mariame Clément auf der Bühne des Tiroler Landestheaters vor dem Innsbrucker Festwochenorchester eine hieb- und stichfeste szenische Version in einfachen Gegenwartskostümen erarbeitete: Sie bestärkte sängerische Temperamente. Vor allem aber vermied sie in der halbszenischen Einrichtung mit dem Ensemble alles, was das Sujet übersteigern hätte können. Regie und musikalische Annäherung zeigten Ernst und machten verständlich, warum der heute vergessene Ferdinando Paër (1771-1837) vor Rossini einer der berühmtesten europäischen Opernkomponisten werden konnte. „Leonora“ galt nach der Ende der 1970-er Jahre auf Tonträgern festgehaltenen konzertanten Münchener Aufführung mit Siegfried Jerusalem und Edita Gruberova als chancenlos gegen Beethoven. Nach der Innsbrucker Aufführung ist bei einer derart pauschalen Kategorisierung zumindest etwas Vorsicht geboten.

Oper kann so einfach sein, wenn das wichtigste vorhanden ist: Sinnfällige Mittel, die Handlung wie Musik ernst nehmen, und bewusste Sängerdarsteller mit reaktiv wendigen Musikern. An diesem Abend wurden aus Längen, die man im Vergleich mit Beethoven empfinden könnte, faszinierende Alternativen – bei Paër wirkt das große Terzett im Kerker, bei dem Leonora Florestano speist, melodisch bewegender als bei Beethoven. Entscheidender ist im Libretto Maria Foppas und Giacomo Cintis die Ironie des zweiten Titels „Die eheliche Treue“. Bis kurz vor Schluss begreift Marcellina bei Paër nicht, dass der von ihr umschwärmte ‚Fedele‘ eine Frau ist und ertrotzt von diesem*r im Kerker ein Eheversprechen. Wenn im Schlussrondo, aus dem sich Rossini einige Pharasen für sein „Barbiere“-Finale geschmeidig machte, die Stimmgruppen der Adeligen und Bürgerlichen wieder fein auseinanderdividiert sind, zeigt sich: Die oberen Stände sind treu, die unteren pragmatisch. Die konfliktreiche Beziehung zwischen Marcellina und Giachino ist bei dem ohne Chor auskommenden Paër noch wichtiger als bei Beethoven. Paërs Continuo-Rezitative fallen im Vergleich von Beethovens Übergängen zwischen gesprochenem Wort und Melodie ab.

Knapp zwanzig Jahre liegen zwischen Mozarts da-Ponte-Opern und Paërs „Leonora“, der Mozarts- Ensembletechniken aufgriff und weiterdachte. Paërs Übergänge zwischen den einzelnen Teilen mehrsätziger Nummern wurden richtungsweisend für Donizetti, Bellini und Mercadante. Das hört man von De Marchi, der mit den Musikern einen scharf glänzenden wie geschmeidigen Grundklang entwickelt und dabei souverän auf alle Bedürfnisse seines Sängerensembles eingeht. Zuerst sind sich Maria Lys (Marcellina), die sich in einer bravourös figurierten Arie einen Traummann mit viel Zuckerguss backen muss, und die zu Beginn silbrig-schlanke Eleonora Bellocci in der Titelpartie sehr ähnlich. Das wird anders, wenn Leonora ab dem Moment, in der sie bei Beethoven zur Allegorie des Prinzips Hoffnung wird, sich bei Paër nach Florestanos zärtlichen Umarmungen sehnt. Ab Ende des ersten Akts findet Bellocci mit Brennen und Wärme zu wunderschönen Tönen, die denen des sizilianischen Tenors Paolo Fanale als Florestano mindestens ebenbürtig ist. Wie auch Fanale zeigt, geht es De Marchi weniger um Bravour als um die Nervenbahnen der Melodik. Koloraturfeuerwerke werden dabei zu eindrucksvollen Inseln.

Paërs Oper als Meetingpoint exquisiter hoher Stimmen

Renato Girolamo, italienischer Buffo an den großen Opernhäusern, bekommt Konkurrenz durch Luigi De Donato, weil der sich einen ganz feinen Witz erlaubt und aus einer jener Basspartien, die in der italienischer Oper dieser Jahrzehnte ausgiebig von ihren sich zu Besserem berufenen Wunschfrauen gepiesackt werden, ein gar nicht wehleidiges Kabinettstückchen macht. Und der bei den Innsbrucker Festwochen seit Jahren geschätzte Carlo Allemano ist als Pizarro einer der wenigen echten Baritenori mit samtenem Fundament, dunklen Spitzentönen und unspektakulär modellierten Verzierungen: Paërs Oper als Meetingpoint exquisiter hoher Stimmen.

Carissimis „Jephte“ in der Jesuitenkirche wurde am Montagabend dagegen eine Expertise kühlen, gläsernen Ensemblegeistes. Der Aufführungsort, die Jesuitenkirche, wurde parallel zum Entstehen von Giacomo Carissimis Oratorien erbaut. In der Reihung mit ‚Einlage‘-Stücken von Carissimis Zeitgenossen wie Francesco Lombardo, Girolamo Frescobaldi und Domenico Mazzocchi entstand ein phantastischer Streifzug durch die vokale Sakralmusik der Monteverdi-Zeit. Voces Suaves musiziert und singt auf exemplarisch hohem Niveau und mit unerschütterlicher Intonationsreinheit. Während bei „Leonora“ ein altes Stück zu pulsierendem Leben erweckt wurde, wurde „Jephte“ zu einer imponierenden, aber wenig affektiven Demonstration musikalischen und stilistischen Leistungsvermögens. 

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