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Foto: © Lutz Edelhoff
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Car-Woman, könnte sie heißen… – Georges Bizets „Carmen“ auf Erfurts Domstufen, Open Air

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Unter einer blankgewienerten Adenauer Mercedes-Limousine macht er es nicht – mit einem Augenzwinkern versteht sich. Samt der Abgaswolke des Diesels auf die das Publikum von den heutigen Standards aus reagiert. Der Erfurter Generalintendant Guy Montavon lässt sich zur Eröffnung der 25. DomStufen-Festspiele, vor der ersten „Carmen“-Vorstellung nobel vorfahren. Begrüßt Thüringens Honoratioren und ihre Gäste. Und eröffnet die neue Spielzeit seines Hauses. Anfang August, als wahrscheinlich erster Intendant weit und breit.

In Erfurt ist das große Sommer-Freiluft-Spektakel vor und auf den Domstufen der offizielle Auftakt der neuen Spielzeit. Damit hat er, wenn der Vorhang im Opernhaus im Oktober das erstmal aufgeht, schon ein stattliches Zuschauerpolster für seine Bilanz sicher. Zumal, wenn das Wetter so grandios mitspielt wie in diesem Jahr. Im vorigen Jahr musste der erste „Troubadour“ abgebrochen werden, weil es erbarmungslos schüttete, brachte es dann aber auf 30.000 Zuschauer. Zwischen Domstufen- und Indoor-Start kommt diesmal noch ein Ausflug der Erfurter Oper mit dem „Fliegenden Holländer“ nach Shanghai!

Es gehört mittlerweile zum Ritual eines „Für und Wider“, dass vor allem darüber diskutiert wird, wie geschickt die 70 Domstufen vor der grandiosen Silhouette von Mariendom und Severikirche, denen die Festspiele ihren Namen verdanken, in das jeweilige Bühnenbild einbezogen werden. Oder auch nicht. Da geht es der Erfurter XXL-Treppe nicht anders, als den berühmten Arkaden in der Salzburger Felsenreitschule.

Der langjährige Erfurter Ausstatter „für Alles“ Hank Irwin Kittel hat in diesem Jahr mit einer diese Gretchen-Frage mit einem beherzten „Ja und Nein“ beantwortenden Bühne für den Clou der ganzen Inszenierung gesorgt. Sein Regisseur Guy Montavon hatte in seinem kurzen Eröffnungsstatement schon gekalauert, dass der Auto-Friedhof hinter ihm, Kunst sei und also nicht wegkönne. Die Installation hat es als Rahmen setzendes Kunstwerk und bespielbare Installation tatsächlich in sich.

Sie ist obendrein gut bespielbar und übernimmt zu den Auftrittsklängen des Toreros Escamillo mit Feuerwerk und Lichtdom-Spots voll das Heft zur großen Show. Dazu lässt Montavon das Fan-Publikum zum großen Kampf am Ende motorisiert anrücken. Dieser Kampf spielt sich diesmal nicht zwischen Stier und Mensch hinter einer Mauer im Verborgenen ab, während an der Rampe Don Josés Eifersucht und Carmens Freiheitsliebe ihr tödliches Zusammentreffen mit dem Herz-Schmerztriumph der Musik vermischen und die Titelheldin erstochen ihr Leben aushaucht.

Diesmal fahren diese Schickimicki-Fans (die so aussehen, wie man sich man sich die Jugendfraktion russischer Oligarchen vorstellt) mit ihren Autos gleich ein paar der Stufen hoch, und stöckeln zu den Bauzäunen hinter denen für alle sichtbar der Kampf (auf Leben und Tod) zwischen dem großen Schwarzen mit dem Superstar-Gehabe und seinem bulligen weißen Herausforderer (Marke: Wrestling-Catcher) stattfindet. Für diese Events, die die blauuniformierte „Policia“ offenbar toleriert, ist auch der metaphorische Schrottplatz-Stadtrand gut genug, auf dem Carmen und ihre Roma- und Sinti-Truppe (die bei Bizet natürlich noch opernfolkloristisch Zigeuner heißen) in ein paar verschmuddelten Wohnwagen campieren, oder sonst was für Geschäften nachgehen. 

Natürlich greifen Montavon und sein Ausstatter hier tief in die Klischee-Kiste. Aber sind diese Klischees nicht die Künstlerverwandten von Metaphern, die den Blick öffnen, für das, was dahinter steht? Also für die Ausgrenzung und das nirgends auch nur ansatzweise akzeptabel gelöste Problem des fahrenden Volks in einem immobilen Europa der abgegrenzten Besiedlung? Faszination des Fremdartigen inklusive?

Die Erfurter Philharmoniker sind in den Containern der Policia-Station untergebracht. Man kann nur hoffen, dass es da drin nicht nur trocken, sondern auch halbwegs klimatisiert ist. Der neue aus Griechenland stammende Erfurter GMD Myron Michailidis gibt am Pult seinen Einstand, löst dabei vor allem die logistische Herausforderung, alles zusammenzuhalten. Deutlich besser jedenfalls, als die Tontechnik ihre, die Mikroverstärkung für die Sänger zu optimieren. Eigentlich hat Carmen ja leichtes Spiel, wer hat schon einen solchen Auftritt wie diese in jeder Hinsicht selbstbewusste Frau? Und Katja Bildt setzt ihren Mezzo auch klug kalkuliert ein. Aber die Verstärkeranlage lässt sie an diesen ersten Abend der 21er Serie nicht wirklich von der Leine. Obwohl die bieder brave Micaela oft kaum eine echte Chance hat gegen Carmen – als dem verwegenen Inbegriff auch sexueller Freiheit – wird Margarete Fredheim ganz zu Recht am deutlichsten vom Publikum gefeiert. Sie schafft es, die Tücken der Verstärker zu umgehen und mit ihrer Micaela zu faszinieren. Sie darf mit ihrer großen Arie den musikalischen Höhepunkt des Abends für sich verbuchen. Auch Won Whi Choi bietet als Don José den Freilufttücken des Abends standfest Paroli.

Schade, dass Mandla Mndebeles imponierende Erscheinung in schwarzer Lederkluft die dramatischen Zuspitzungen eines Escamillo nur mit erheblichen Vibratoklimmzügen hinzufügen kann. Bei den übrigen Rollen um dieses Quartett herum hat die Erfurter Oper keinerlei Besetzungsprobleme. Ob das Jörg Rathmann als Remendado oder Máté Sólyom-Nagy als Moralès und Dancairo, Julia Neumann als Frasquita und Annie Kruger als Mercédès sind. Dass der von Andreas Ketelhut einstudierte Chor hier neben der blau uniformierten Policia auch die in Beige ausgestatteten Kleinbürger verkörpert, die das fahrende Volk bestaunen, aber nicht zu nah an sich heranlassen wollen, ist vor allem eine darstellerische Herausforderung, der sich die Erfurter entschlossen stellen.

Montavon weiß genau, wie man den Charme dieser besonderen Spielstätte nutzt. Auch wenn das dann mitunter mehr nach Musical-Show aussieht. Aber das gehört zum Geschäft – und das Publikum mag es – Schrottplatz inklusive.

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