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Stadttheater Bremerhaven Deutsche Erstaufführung der Oper "Der Untermieter"

Die deutsche Erstaufführung der englischen Oper "Der Untermieter" von Phyllis Tate sorgte am Stadttheater Bremerhaven für Begeisterungsstürme. Erzählt wird von Jack the Ripper.
04.06.2018, 16:43 Uhr
Lesedauer: 3 Min
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Von Gerhart Asche

Zum Spielzeitabschluss im Musiktheater wartete das Stadttheater Bremerhaven mit einer Rarität auf: Mit der Oper „Der Untermieter“ (The Lodger) von Phyllis Tate, einem 1960 uraufgeführten Werk, das seitdem, abgesehen von einer auch auf CD vertriebenen Rundfunkaufnahme der BBC von 1964, fast in Vergessenheit geraten war. Die jetzt in der Seestadt erfolgte Deutsche Erstaufführung machte deutlich, dass die Verantwortlichen hier einen wahren Schatz gehoben haben.

Da ist zunächst einmal die ungemein bühnenwirksame Handlung, angesiedelt im London des späten 19. Jahrhundert, wo ein Mörder, genannt Jack the Ripper, durch die Nebelnächte schleicht, um sich seine Opfer auszusuchen. Hitchcock hat diesen auf einen 1913 erschienenen Roman von Marie Belloc Lowndes zurückgehenden Plot in einem seiner frühen Stummfilme benutzt. Jack findet Unterkunft bei einem Ehepaar, das möblierte Zimmer vermietet, und erregt mehr und mehr dessen Verdacht. Als der sich bestätigt, müssen Emma und George sich entscheiden, ob sie ihren Untermieter, der sie durch eine großzügige Mietvorauszahlung vor dem finanziellen Ruin gerettet hat, der Polizei ausliefern oder ihn decken. Das Ergebnis ist durch den Lauf der Geschichte bekannt: Jack the Ripper wurde nie gefasst.

Vertonung mit atmosphärischer Wirkung

Die englische Komponistin Phyllis Tate, eine exzentrische Persönlichkeit, die aber in ihrer Musik ganz traditionell blieb, hat zu diesem Stoff eine Vertonung geliefert, die – irgendwo zwischen Britten und Menotti angesiedelt – in ihrer gemäßigten, weitgehend der Tonalität verpflichteten Moderne hauptsächlich auf atmosphärische Wirkungen setzt, etwa im Stil von Filmmusik. Sie ist unkompliziert zu hören, auch durch die Einbeziehung folkloristischer Elemente wie eines vom Chor vorgetragenen derben Trinkliedes, von eingängigen Songs und einer Reihe von kantablen ariosen Passagen. Verbunden werden die einzelnen Nummern durch ein rezitativisches Parlando, dessen Duktus, ähnlich wie bei Benjamin Britten, der Alltagssprache abgelauscht ist. Aber trotz aller Traditionsbezogenheit wirkt Phyllis Tates Stil nie banal oder abgedroschen, sondern besitzt eine erkennbare Eigenständigkeit.

Die in der Musik fast ständig spürbare Atmosphäre eines schleichenden Grauens übertragen der englische Regisseur Sam Brown und seine Bühnen- und Kostümbildnerin Julia Przedmojska mit großem Geschick und viel Fingerspitzengefühl ins Optische. Eine Simultanbühne zeigt sechs unterschiedliche Schauplätze, die in- und gegeneinander verschoben werden können. Im Mittelpunkt steht ein typisch viktorianisches Wohnzimmer mit flackernden Gaslichtlampen, qualmendem Ofen, Standuhr und dem typischen, rot dekorierten englischen Teegeschirr. Wunderschön geschnittene altmodische Kostüme aus der Zeit des ausgehenden 19. Jahrhunderts tun das Ihre, um eine anheimelnde Stimmung zu verbreiten.

Die aber wird zunehmend konterkariert durch das Hereinbrechen des Unheimlichen, rational nicht Fassbaren. Ein Cockney-Saufgelage etwa wird verfremdet zu einer Grotesk-Szene mit puppenartig agierenden Darstellern. Im zweiten Akt ergreift das Übersinnliche dann auch das Bühnenbild: Wände werden durchsichtig, dahinter erscheinen die Abbilder der von Jack the Ripper ermordeten Frauen und, über ihnen, seine ins Überdimensionale vergrößerten behandschuhten Mörderhände. Filmeffekte auf der Opernbühne, aber ganz integriert ins szenische Geschehen, nicht als aufdringlich eingesetztes Zusatzmedium.

Im Mittelpunkt steht der Untermieter

In der Personenführung werden die Beweggründe der Personen anschaulich herausgearbeitet: Im Mittelpunkt steht der Untermieter, den Vikrant Subramanian mit charakteristisch höhengeschärftem Bariton singt, als religiös fanatisierter, aus der Bibellektüre der Apokalypse seine Mordmotive schöpfender verklemmter Mensch, der des Zuspruchs und der Hilfe bedarf. Solche Zuwendung erfährt er von Emma, seiner Vermieterin, die Patrizia Häusermann als starke Persönlichkeit spielt und mit durchsetzungskräftigem, höhen- und tiefensicherem dramatischem Mezzo singt. Ihr weniger ins Geschehen eingreifender Ehemann George findet in Leo Yeun-Ku Chu mit seinem ins Heldische tendierenden Bassbariton eine vor allem stimmlich imponierende Verkörperung. Alice Fuder als Tochter Daisy und MacKenzie Gallinger als deren Verehrer Joe bringen mit einem in operettenhafter Leichtigkeit absolvierten Liebesduett einen heiteren Akzent in die düstere Mordgeschichte.

Bremerhavens Philharmonisches Orchester wirkte unter seinem neuen ersten Kapellmeister Ektoras Tartanis für diese zeitgenössische Aufgabe bestens gerüstet. Starker, von vielen Bravos durchsetzter Beifall für eine rundum gelungene Aufführung.

Weitere Informationen

Die nächsten Aufführungen im Stadttheater Bremerhaven: 6., 15., 17. und 21. Juni.

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