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Die großen Zeiten sind vorbei

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Die erste und die letzte: Kundry, Ruxandra Donose, auf der Bühne des Festspielhauses Baden-Baden.
Die erste und die letzte: Kundry, Ruxandra Donose, auf der Bühne des Festspielhauses Baden-Baden. © Monika Rittershaus

Der „Parsifal“ von Dieter Dorn und Simon Rattle bei den Festspielen in Baden-Baden.

Eine zivile, entspannte und langsam überwältigende „Parsifal“-Aufführung zeigt das Baden-Badener Festspielhaus über Ostern. An diesem Ort, an dem Luxus sich nicht von selbst versteht, aber schön in Szene gesetzt wird – aus dem Boden gestampfte Festspiele, und da sind sie nun ein paar Mal im Jahr opulent im überdimensionierten Gehäuse –, ist das auch mit luxuriöser Besetzung verbunden.

Die Berliner Philharmoniker unter ihrem scheidenden Chef Simon Rattle behandeln Richard Wagners Musik nach ihrer Art sinfonisch: ein makelloses Konzert aus dem Orchestergraben mit exzellenten Instrumentalsolisten und einem Dirigenten, der eine austarierte, in feinste Verästelungen hinein nachvollziehbare Wagner-Musik hören lässt. Noch in den weihevollsten Augenblicken, und hier gibt es mehrere davon, stellt sich kein hohles Pathos ein.

Das ist keine neue Erfahrung, hier aber glanzvoll und von großer Intensität, die sich in den Stimmen fortsetzt. Im Zentrum, wie es sich eigentlich auch gehört, der gut informierte und redselige Gurnemanz, der vom großen und schier unerschöpflichen Franz-Josef Selig in Perfektion geboten wird. Praktisch jedes Wort ist zu verstehen, und das vielstrapazierte „Gesamtkunstwerk“ rückt so nah, wie nur irgend möglich. Zumal Rattle die Sänger nicht gegen das Orchester ansingen lässt und Seligs schöne Fähigkeit, beim stundenlangen Singen unangestrengt und inhaltlich bei der Sache zu wirken, zu vollster Blüte kommen lässt. Neben ihm ist Stephen Gould als Parsifal etwas monochrom siegfriedhaft, darin aber mächtig und makellos. Ja, von diesem Tenor würden auch wir gerne täglich die Anordnung entgegennehmen, den Gral zu enthüllen und den Schrein zu öffnen. Das ist auch erforderlich, denn eine charismatische Figur hat man nun nicht gerade vor sich. Er muss schon singen.

Der Vorgang selbst wird hier zur Abwechslung wortwörtlich bebildert, was seine Wirkung nicht verfehlt, selbst wenn aus weiter Ferne die Assoziation eines Nachttischlämpchens aufkommen kann. Die Nähe des Erhabenem zum Lächerlichen: Wer daran keine Freude hat, sollte Opernhäuser meiden.

Evgeny Nikitin wirkt als Klingsor für seine Verhältnisse gedämpft, aber es ist auch keine Inszenierung für extravagante Zauberer. Der 82-jährige Dieter Dorn wählt eher die wieder einmal höchst seltsame Kundry als seinen personellen Dreh- und Angelpunkt, die expressiv singende und hingebungsvoll leidende Ruxandra Donose, mit der es beginnt und endet. Zum Vorspiel schon wird sie aus dem Schlaf von bedrängenden Masken geweckt, wobei sie eine etwas komplizierte Ähnlichkeit zum nachher von Parsifal abgeschossenen Schwan hat. Zum Schluss geht der Vorhang hinter ihr runter. Was immer Dorn mit seinem Schlussbild zeigen will, Kundry ist aus der Sache endlich raus.

Szenisch konzentriert sich die Inszenierung auf die Gestaltung der beiden Gralsszenen. Dass die Gralsritterschaft nicht recht vorankommt, ist kein abwegiger Gedanke, aber hier wird er so schlicht wie mitreißend ausgeführt. Monika Staykovas braungraustaubige Lumpenimitat-Kostüme sind zwar zunächst unheimlich langweilig (und auch so 80er-Jahre-mäßig), überzeugen aber als Gruppenkleidung der Ritterschaft: Was im ersten Aufzug herantrabt, ist nicht direkt morbide, aber provisorisch und angefranst. Umsprungen wird die Schar von armen dünnen Knappen, die bemüht, aber unsicher sind. Umständlich ziehen und schieben sie an Magdalena Guts ebenfalls nicht sehr inspirierenden Holzgerüsten herum, die auf schrägen Seiten Landschaften andeuten, auf den jeweils anderen eine Art Tribüne bieten. Noch umständlicher, zuweilen von Gurnemanz gescheucht, hantieren sie mit den Brotkörben und dem Wein fürs Abendmahl. Die Zeit der großen Rituale ist vorbei.

Am Ende sind die Holzgerüste zwar teilweise noch karger (verheizt?), aber die Szenen ähneln sich natürlich. Nur sind die Ritter inzwischen noch müder und unkonzentrierter. Während Parsifal den Holzthron bestiegen hat und die Berliner hochdiszipliniert entfesselte Musik entsenden, geht die Schar schon wieder auseinander. Gurnemanz wird von seiner Trauer um Titurel (den großen alten britischen Bass Robert Lloyd) nicht loskommen, andere sammeln sich um Amfortas (den königlich singenden Gerald Finley). Die großen Zeiten sind nicht nur vorbei, sie kommen auch mit Sicherheit nicht wieder.

Die tiefe Melancholie dieser Bilder macht einiges wett: Einen nicht direkt dürftigen, aber doch routinierten Klingsor-Akt (mit aber wunderbar singenden und dekorierten Zaubermädchen), bei dem der kleine Trick der Speer-Übergabe durch zu spät ausgeschaltetes Licht nicht hundertprozentig funktioniert. Die gewisse Fantasielosigkeit auch, mit der Parsifal immer durch dasselbe Bühnenseitentürchen abgeht. Baden-Baden neigt szenisch (vielleicht ein Festspielproblem) zur Beiläufigkeit. Hier aber weitgehend unpeinlich, mit unaufdringlichen Höhepunkten und letztlich schlicht ergreifend.

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