Oper Graz

Blaubart im traumhaften Nirwana

Manuela Uhl (Ariane), Wilfried Zelinka (Barbe-Bleue), Tetiana Miyus (Mélisande), Iris Vermillion (Die Amme).
Manuela Uhl (Ariane), Wilfried Zelinka (Barbe-Bleue), Tetiana Miyus (Mélisande), Iris Vermillion (Die Amme).(c) Werner Kmetitsch / Oper Graz
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Paul Dukas komponierte die mythologische Geschichte von den sieben Türen auf eine Dichtung Maurice Maeterlincks: Nadja Loschky inszeniert sie als irreales Rätselspiel.

Von den zahlreichen Adaptionen des Blaubart-Stoffes ist „Ariane et Barbe-Bleue“ von Paul Dukas, Musikliebhabern aufgrund seiner Goethe-Tondichtung „Der Zauberlehrling“ ein Begriff, eine der faszinierendsten. Im Zentrum von Maurice Maeterlincks Libretto steht Ariane, die für die Freiheit ihrer Vorgängerinnen und ihrer selbst kämpft, indem sie sich dem übermächtigen Blaubart widersetzt und verbotenerweise alle Türen in seinem Schloss öffnet.
Blaubart (Wilfried Zelinka) schwebt in Maeterlincks Dramaturgie zwar allmächtig und bedrohlich über allem, der Schauder vor ihm und seinem Zorn ist stets präsent, doch ist ihm eine der kürzesten Titelrollen der Operngeschichte zugedacht. Gerade einmal fünf Sätze darf er singen. Die Bedrohung, die von ihm ausgeht, rückt so ins Unfassbare, ein Herd der Angst, der in den Herzen der gefangenen Frauen unaufhörlich lodert und sie gefügig macht. Schwelende, lähmende Furcht ist ihr Kerker.
Die Inszenierung Nadja Loschkys macht Blaubart dennoch auch physisch allgegenwärtig. Fast durchgehend ist er auf der schrägen Drehbühne von Katrin Lea Tag zu sehen. Ariane, der Manuela Uhl stimmgewaltig den nötigen Wahn einhaucht, agiert in einer Traumwelt: Umspielt von den Schatten ihrer Vergangenheit, scheint sie die Handlung auf einer anderen Ebene als die übrigen Charaktere zu erleben. Einziges Bindeglied zwischen den Welten ist ihre Amme, Iris Vermillion, eine strenge Matrone mit satter Tiefe und eisig schaurigem Ausdruck.
Während des ersten Akts läuft im Hintergrund Arianes Beziehung zu Blaubart ab, vom ersten Kennenlernen bis zur Hochzeit, zwischen Glück und schweren körperlichen Misshandlungen. Die Erzählung von den Türen in Blaubarts Schloss, die Ariane und ihre Amme eine nach der anderen öffnen, bis nur noch die siebente, verbotene Tür übrig bleibt, wird so an den Rand gedrängt. Die Grenzen zwischen Erinnerung und aktuellem Geschehen verschwimmen immer mehr, bis das Spiel zum Nirwana zwischen Wahn und Wirklichkeit geworden ist.

Verschränkte Wirklichkeiten

Im zweiten Akt verschränken sich die Welten langsam miteinander, um dann wieder auseinandergerissen zu werden: Ariane kann im Verlies ihre Schwestern (Anna Brull, Sonja Sarič, Tetiana Miyus, Yuan Zhang) nur teilweise wahrnehmen. Die Frauen scheinen einander zu hören, doch können sie kaum miteinander interagieren, ihr Kontakt beschränkt sich auf reflexartige Reaktionen.
Die dieserart geschaffene emotionale Distanz führt zu einer Kluft zwischen den Geschehnissen auf der Bühne und der impressionistischen, von Wagner, Richard Strauss und Debussy inspirierten Partitur mit ihren zahlreichen Leitmotiven, die das Grazer Philharmonische Orchester unter der Leitung von Roland Kluttig bei breiten Tempi in mannigfaltigen Schattierungen erklingen lässt. Die Musik wirkt wie ein ferner Ruf der Vergangenheit, ein Trugbild, bildet eine Art dritter Ebene neben der Welt Arianes und der ihrer Geisterschwestern, die – je nach Deutung, die dem Publikum vorbehalten bleibt – auch als unterschiedliche „Zustände“ Arianes gesehen werden können.
Wenn im letzten Akt der schwer verwundete Blaubart von Bauern – fein säuberlich in einen Koffer verpackt – ins Schloss gebracht wird, trennt sich Ariane von diesen Geisterwesen, um sich hingebungsvoll um den leblosen Blaubart zu kümmern. Doch als sie zuletzt den entscheidenden Schritt aus dem Schloss in die Freiheit wagt, um ihre von Gewalt und Misshandlung geprägte Ehe hinter sich zulassen, wird sie vom wütenden Mob der Bauern mit Steinen bedroht. Es bleibt offen, was mit ihr geschieht und warum die Bauern von Rettern zu Henkern mutieren.
Vielleicht erlebt „Ariane et Barbe-Bleue“ mit dieser szenischen Produktion eine kleine Renaissance. Die spannende Geschichte hat in ihrer Metaphorik bis heute nichts an ihrer Aktualität eingebüßt. Was sich, nebenbei bemerkt, durchaus als Vorlage für einen Horrorfilm eignen würde, wird dank Dukas' Musik voll hochemotionaler Momente zur Grundlage eines fesselnden Opernabends.
„Ariane et Barbe-Bleue“: Reprisen am 8., 11., 14., 17. und 21. März.

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