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Robert Lehmeier dekonstruiert „Fidelio“ am Stadttheater Bremerhaven

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Am Ende entscheidet die überlegene Technik: Yamina Maamar (l.) befreit als Leonore (Deckname: Fidelio) ihren Florestan (Tobias Haaks, v.) aus den Händen des Gouverneurs Don Pizarro (Derrick Ballard). - Foto: Heiko Sandelmann
Am Ende entscheidet die überlegene Technik: Yamina Maamar (l.) befreit als Leonore (Deckname: Fidelio) ihren Florestan (Tobias Haaks, v.) aus den Händen des Gouverneurs Don Pizarro (Derrick Ballard). © Heiko Sandelmann

Bremerhaven - Von Rolf Stein. Und dann fängt das Ganze auch noch mit einer echten Sonntagsrede an – genauer: mit einer präsidialen Weihnachtsansprache von und mit Joachim Gauck, in der er die Volksgemeinschaft zwischen aufopferungsvollem Ehrenamt und verantwortungsvollem Unternehmertum beschwört. Noch während der Ansprache aus Schloss Bellevue öffnet sich der Vorhang am Stadtheater Bremerhaven und gibt den Blick frei auf ein bürgerliches Wohnzimmer mit Schrankwand, hinter der weihnachtlich geschmückte Bäume und leise rieselnder Schnee zu sehen sind.

Kitsch passend zur Saison – zur Befriedigung jahresendzeitlicher Harmoniesucht? Eher das Gegenteil ist der Fall bei Robert Lehmeiers Lesart von Ludwig van Beethovens „Fidelio“, die am ersten Weihnachtstag am Bremerhavener Stadttheater Premiere feierte. Der Regisseur, der in Bremerhaven im vergangenen Jahr Manfred Gurlitts „Wozzeck“ inszenierte und in diesem Jahr am Staatstheater in Oldenburg seine Sicht auf Georges Bizets „Carmen“ präsentierte, nimmt für diesen „Fidelio“ den mit viel Lametta behängten Appell an die Hebung der Moral zum Anlass, über Beethovens tongewordenes Bekenntnis zu Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit nachzudenken.

Zu diesem Zweck lässt er uns an den inneren Monologen seiner Protagonisten teilhaben, die von Schauspielern des Ensembles eingesprochen wurden, dekonstruiert vehement das Happy End der Oper – und damit im Grunde alle weihnachtliche Stimmung. Statt dass Leonore, die als Fidelio an der Freisetzung ihres Geliebten Florestan mit allen Mitteln gearbeitet hat, jenen am Ende unter den machtvollen Klängen des Chores in die Arme schließen darf, erfreut der sich im Kreis einer kitschverliebten Gesellschaft an seiner neugewonnenen Freiheit und lässt die verzweifelte Leonore allein zurück. Die Pistole hält sie noch in der Hand – ob sie sie gegen sich selbst richten wird, bleibt offen.

Vielleicht bietet dieser sehens- und nachdenkenswerte Abend ja schlicht zu wenig Happy End, denn der Beifall zur Premiere fiel eher knapp aus und galt vor allem den musikalischen Akteuren. Regisseur Lehmeier und Stefan Rieckhoff (Bühne und Kostüme) mussten jedenfalls einige Buhrufe einstecken. Orchester und Sänger wurden derweil durchaus zu Recht beklatscht, wobei vor allem das Philharmonische Orchester Bremerhaven unter Marc Niemann mit einer präzisen Interpretation überzeugt. Bei den Sängern ist es – wieder einmal – Leo Yeun-Ku Chu, der in allen Belangen beeindruckt und hier als Kerkermeister Rocco zu hören ist. Gast Derrick Ballard ist als eitler Brutalo Don Pizarro eine tolle Besetzung, Alice Fuder verkörpert Roccos Tochter Marzelline tadellos. Und Tobias Haaks als Florestan absolviert seinen schweren Part mehr als nur anständig. Die Titelpartie übernimmt Yamina Maamar, die mit viel Kraft, aber nicht immer ganz präzise agiert, allerdings darstellerisch allzeit präsent ist. Merkwürdig blass bleibt der sonst so vitale Vikrant Subramanian als Minister Don Fernando.

Die nächsten Vorstellungen: 

Donnerstag, 4., Mittwoch, 10. & Freitag, 12. Januar, 19.30 Uhr, Stadttheater Bremerhaven.

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