Musiktheater - Das Opernhaus Mannheim triumphiert mit Bellinis "Norma" vor allem der musikalischen Leistung wegen - großartige Miriam Clark

Neue Prächtigkeit und Schöngesang

Von 
Stefan M. Dettlinger
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Sie lieben den gleichen Mann, der auch noch Feind ist: Norma (Miriam Clark) und Adalgisa (Julia Faylenbogen) im prächtigen Bühnenbild von Robert Schweer.

© Michel

Ganz Gallien ist an eine schöne alte Eiche verlegt worden. Prächtig steht sie da, drei Stunden lang mythisch umwabert von Nebel, fast glaubt man sich in einem Gemälde des Surrealisten René Magritte. Die Eiche heißt Irminsul, das Heiligtum der Gallier. Um sie herum wird geliebt, enttäuscht, betrogen, bewundert, kriegsgebrüllt, gemeuchelt und gestorben. Und unter ihr wird gelitten. Norma leidet. Ihre zwei Kinder leiden. Adalgisa leidet. Und irgendwann leidet auch der, der das Leid überhaupt erst gebracht hat: Pollione, Prokonsul der Römer, Feind und Liebhaber.

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Norma feiert Premiere

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Er, ein Egoist erster Klasse, schlitzt auch schon im Vorspiel dieses Abends einem Gallier - mehr aus einer Laune heraus als mit Grund - die Kehle durch. Der Hass beginnt. Doch Norma, die gallische Priesterin, ist (noch) sanft. In der berühmtesten Kavatine des Abends singt sie, während sie knieend das Blut von der Kehle des Leichnams wischt, vom Balsam in den Wunden - und von Frieden.

Bellinis "Norma" - Handlung, Katastrophe und Termine

Das Werk: Bellinis bekannteste Oper mit dem Libretto von Felice Romani gilt als Inbegriff des Belcanto. Die Uraufführung des nach der gleichnamigen Tragödie von Alexandre Soumets komponierten Werks fand 1831 in Mailand statt. Die Oper verbreitete sich in wenigen Jahren weltweit.

Die Handlung: Das Werk schildert den Konflikt der Oberpriesterin Norma, die im besetzten Gallien mit dem römischen Prokonsul Pollione heimlich verheiratet ist und sogar mit ihm zwei Kinder hat. Die Novizin Adalgisa gesteht Norma, dass sie ihr Keuschheitsgelübde gebrochen hat und einen Römer liebt, der ihre gemeinsame Flucht nach Rom plant. Als Norma erfährt, dass der heimliche Geliebte Pollione, der Vater ihrer Kinder, ist, kommt es, wie nicht anders zu erwarten, zur Katastrophe...

Die Besetzung: Norma (Miriam Clark), Pollione (Irakli Kakhidze, Andreas Hermann), Adalgisa (Julia Faylenbogen, Ludovica Bello), Oroveso (Sung Ha), Clotilde (I.M. Sojer), Flavio (P. Herington).

Die Aufführungen am NTM: 19./25.10., 19.30 Uhr, 17.11., 19.30 Uhr, 2.12., 19.30 Uhr, 29.12., 19 Uhr, 7.1.18, 16 Uhr und 12.1.18, 19.30 Uhr.

Info/Karten: 0621/1680 150.

Und wie Miriam Clark das in dieser Mannheimer Premiere tut, ist nicht weniger als großartig. Ihre "Casta Diva" ist schlank und elegant, die Linien mit einem emphatischen Legato versehen, das Timbre edel, das Aufblühen paradiesisch und das Zurücknehmen der Lautstärke sensationell. Hinzu kommt die Leichtigkeit bei den Koloraturen und ein müheloses Erreichen der Sopran-Stratosphären über dem hohen "a". Das Auditorium jubelt. Zurecht.

Realismus nebst Symbolismus

Bringen wir es auf den Punkt: Nur drei Dinge braucht der "Norma"-Regisseur: gute Sänger, gute Sänger und gute Sänger. Und die hat Regisseur Markus Bothe in Clark, Julia Faylenbogen (Adalgisa) und Irakli Kakhidze (Pollione). Allein das Duett mit Adalgisas Bekenntnis Norma gegenüber (dass sie Pollione liebt) und das Finalterzett danach lohnt den Besuch dieses Abends. Zusammen mit dem so fein wie klassisch-elegant spielenden Orchester unter Benjamin Reiners entsteht ein wahrer Rausch.

Und die Regie? Nun: Wie schon in seinem Mannheimer "Ulisse" erzählt Bothe mit ruhiger Hand. Klar. Konzentriert. Minimalistisch. Wie schon in seinem "Ulisse" hat er eine Grundidee, von der er ausgeht, um die herum er alles arrangiert und gelungen Personen führt. Und wie in seinem "Ulisse" lässt er dem wohl besten Werk des Belcanto maximalen Raum.

Das ist alles gut und schön. Bothe und Bühnenbildner Robert Schweer setzen auf eine Art neue Prächtigkeit und zeigen irgendetwas zwischen Realismus und Symbolismus. Doch wer quasi voll auf das Werk, den Plot, die Psychologie und musikalische Leistung der Protagonisten setzt, läuft Gefahr, nicht eigentlich zu interpretieren. So gesehen könnte man resümieren: Die Regie behindert zwar die Entfaltung der Tragödie nicht, aber sie geht auch nicht über längst bekannte Deutungen hinaus, interessiert also nicht so viel, dass die Produktion auch in durchschnittlicher Sängerbesetzung sehenswert wäre.

Dennoch entstehen auch szenisch starke Momente. Adalgisas Bekenntnis etwa singt Julia Faylenbogen auf der hochgefahrenen Eichenbühne. Darunter lebt Norma in einem psychologischen Räumchen inmitten eines Hains von kleinen gezüchteten Eichen - es ist beides, Symbol dafür, dass Kulturen von unten nach oben wachsen und Wurzeln brauchen, aber auch, dass kulturelle Entwurzelung, vielleicht das Ende einer Kultur überhaupt, durch egoistische Interessen im Handumdrehen geschehen kann. So reißt Norma im Abwägen, ob sie ihre halbrömischen Kinder nun - wie einst Medea - töten soll, die kleinen Eichen aus der Erde. Der Tod der Kultur nimmt seinen Lauf.

Solche psychologischen Räume wünscht man sich mehr. Auch Pollione, der von Bellini und Librettist Felice Romani unterpsychologisiert bleibt, hätte Bothe so mehr Plastizität verleihen können. Er bleibt ein undurchschaubares Phänomen, dessen Anziehungskraft auf die beiden schönen Gallierinnen im Dunkeln bleibt.

Dass Bothes Sicht am Ende trotz ästhetischer Schönheit pessimistisch ist und er mit der stürzenden Eiche ein Symbol für imperialistische Gewalt, das Auffressen und Sterben kleiner Ethnien und die Unmöglichkeit von Frieden und Konsens setzt - okay, das ließe sich als Überbau deuten. Nicht mehr. Nicht weniger.

Das ist alles andere als tragisch. Der Abend funktioniert ja - wir wiederholen: vor allem über die Musik. Und neben Clark funkelt da auch Julia Faylenbogens Adalgisa-Mezzo in schönsten Farben und Formen. Irakli Kakhidze überzeugt gleich bei seinem ersten offiziellen Auftritt mit der strahlend-optimistischen C-Dur-Kavatine "Meco all'altar di venere". Sein Tenor aber sitzt im Forte besser als im Piano, wo er weniger konkret klingt. Insgesamt aber sehr gut. Und auch Sung Ha (Oroveso), Iris Marie Sojer (Clotilde) und Pascal Herington (Flavio) finden sich gut ins Ensemble ein.

Und Benjamin Reiners? Der setzt mit Orchester und Chor auf elegant anmutende Elastizität, die stilistisch noch mit einem Bein in der Klassik steckt und damit der Entstehungszeit 1831 Rechnung trägt. Das hat alles Hand und Fuß und klingt fein ziseliert, tänzerisch und doch immer wieder psychologisch tief und erschütternd. Was für ein Auftakt in die neue Opernsaison! Ein Triumph.

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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