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Die verkaufte Braut

Komische Oper in drei Akten
Text von Karel Sabina
Deutsche Übersetzung von Kurt Honolka

in deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 15' (eine Pause)

Premiere im Aalto-Theater Essen am 14. Oktober 2017


Logo:  Theater Essen

Theater Essen
(Homepage)
Ehealbträume in der Turnhalle

Von Stefan Schmöe / Fotos von Matthias Jung

Wie volkstümlich darf es zugehen in der Oper? Die verkaufte Braut bezieht sicher einen großen Teil ihrer Popularität eben aus ihrer Nähe zur Volksmusik, aus der unmittelbaren Eingängigkeit, und vermutlich hat diese Musik die Vorstellung der westeuropäischen Opernfreunde von originär böhmischer Musik stark geprägt. Immerhin gilt Prodaná nevěsta (so der originale Titel) als tschechische Nationaloper. Gleichzeitig unterstellt man ja gerne, dass ein tschechischer Dirigent automatisch ein Spezialist für böhmische Musik sein sollte, als gebe es eine genetische Veranlagung dazu. Essens Generalmusikdirektor Tomas Netopil (anders als Smetana nicht in Böhmen, sondern in Mähren geboren) ist in Sachen tschechischer Musik ein gefragter Mann, und sicher nicht ohne Grund wird am Essener Aalto-Theater derzeit das tschechische Repertoire gepflegt - aktuell eben mit der verkauften Braut. Und Klischee hin oder her, Netopil erweist sich als exzellenter Sachwalter dieser Musik. Die Ouvertüre rast in Atem raubendem Tempo los (die ausgezeichneten Essener Philharmoniker bewältigen das bis auf einen kleinen Wackler ganz ausgezeichnet), und die Musik klingt im Folgenden eben "böhmisch" im besten Sinne, ohne folkloristisch überspannt zu wirken. Netopil gibt den Melodien den ihnen zuständigen Raum, dirigiert immer gesanglich und hat eine ausgezeichnete Klangdisposition, die immer deutlich macht: Wir sind hier in der Oper und nicht auf einem Volksfest (und das schützt vor falscher Tümlichkeit).

Vergrößerung in neuem Fenster Mehr Volkstanz als hier gibt's nicht

Ob dieser im besten Sinne "musikantische" Ansatz nun zur Regie passt oder nicht, darüber lässt sich trefflich streiten. Das tschechische Regie-Duo SKUTR, das sind Martin Kukučka und Lukásš Trpišovský, inszeniert nämlich entschlossen gegen jede Volkstümlichkeit an. Sie verlegen das Geschehen in eine Turnhalle, was eine gewisse Logik besitzt: Solche Turnhallen werden in Tschechien und anderswo in kleinen Dörfern eben auch als Festhallen genutzt, für Hochzeiten angemietet und sind so mangels Alternativen Mittelpunkt des sozialen Dorflebens. Gleichzeitig erzählt die Regie die Geschichte als surrealen Traum Maries, der "verkauften Braut", die sich angesichts ihrer bevorstehenden Hochzeit von Zweifeln und eben solchen Träumen geplagt wird. Das ist an sich ja kein falscher Ansatz - nur muss man unbedingt das Interview im Programmheft lesen, um das zu verstehen, denn in der szenischen Umsetzung erkennt man das kaum, dazu müsste vieles deutlicher inszeniert werden. So aber wird vor allem deutlich, dass eben alle gängigen Vorstellungen von der verkauften Braut unterlaufen werden sollen. Dass es die durchaus noch gibt, zeigt der Applaus nach fast jeder Musiknummer - die Oper wird von Teilen des Publikums offensichtlich vor allem als Folge von Wunschkonzert-Nummern wahrgenommen (was angesichts der Ohrwurm-Qualitäten vieler Arien und Ensembles auch nicht ganz abwegig ist).

Szenenfoto

Traum vom romantischen Liebesglück: Marie und Hans

Warum die Kostüme und vor allem die hochtoupierten Frisuren der Damen auf die 1960er-Jahre (und nicht auf unsere Gegenwart) verweisen, das erschließt sich nicht, ebenso wenig wie der inflationäre Gebrauch von Konfetti (gut, es gibt die Zirkus-Szene im dritten Akt). Die Zumutungen des ziemlich unglaubwürdigen Librettos kann die Regie auch nicht entscheidend abmildern. Weil die Personenführung aber detailliert ist und Marie als Sympathieträgerin in den Mittelpunkt stellt, tut das alles auch nicht wirklich weh. Man könnte die Inszenierung zugutehalten: Eine verkitscht-konventionelle Regie mit folkloristischem Bauernleben wäre schlimmer gewesen. Aber richtig nahe kommt SKUTR den Figuren nicht, zumal alle bis auf Hans und Marie als Stereotypen überzeichnet sind. Und da ist dann noch die Frage nach dem Text: Gesungen wird in deutscher Sprache in der honorigen Übersetzung von Kurt Honolka (weil das Tschechische für manche Sänger unsingbar ist? Aber das Aalto-Theater ist doch ein nicht ganz unbedeutendes Haus, da dürfte man doch den Anspruch haben, im Original zu singen). Spätestens wenn Heiratsvermittler Kecal ein paar Zeilen im originalen Tschechisch singt, merkt man, wie viel schöner diese Sprache zur Musik passt, ihr einen zusätzlichen Rhythmus mitgibt (und auch manche Unsäglichkeiten abmildert). Für die Regisseure war es laut Interview im Programmheft ein irritierendes Moment, in einer anderen Sprache als der tschechischen zu inszenieren, und damit schon wieder spannend. Für das deutsche Publikum, zumindest das ältere, rückt die deutschsprachige Fassung die Oper ein Stück weit an "Erkennen Sie die Melodie?" heran und damit an die spießige Behaglichkeit, die doch eigentlich ausgetrieben werden soll.

Vergrößerung in neuem Fenster Kecal, der Heiratsvermittler

So bleibt ein Spannungsfeld zwischen der Inszenierung und der Musik. Vielleicht tut es der Produktion ja ganz gut, das Tomas Netopil sozusagen per Kopfkino die Assoziationen ermöglicht, die vom Regieteam verweigert werden. Wie auch immer: Mit Jessica Muirhead steht eine eindrucksvolle Sängerdarstellerin als Marie auf der Bühne, die zwischen beiden Sphären vermitteln kann. Sicher ist bei ihrem jugendlich-dramatischen Sopran nicht jeder Ton und nicht jede Phrase "schön", dazu ist das Vibrato allzu flackernd, aber die Partie ist ausgesprochen intensiv gesungen, und das bekräftigt musikalisch die Zerrissenheit dieser jungen Frau, deren puppenhaftes Brautkleid die Überforderung deutlich macht, vor der sie hier steht. Für den tschechischen Tenor Richard Samek muss es einigermaßen absurd sein, die Partie des Hans in der deutschen statt in der Originalsprache zu singen; ob es daran lag, dass er in dieser Premiere in der hohen Lage oft unsicher, zwischenzeitlich sogar hochgradig nervös wirkte? Die tenoralen Schluchzer dürfte er sich ruhig abgewöhnen, sein Tenor ist an sich durchaus klangschön. Dass er den Hans arg smart und ohne weitere moralische Skrupel anlegt (was doch ziemlich konventionell ist), mag an der Regie liegen.

Szenenfoto

Glükliches Ende? Marie als Braut.

Ganz großer stimmlicher Glanz kommt auch ansonsten nicht auf. Tijl Faveyts ist ein Heiratsvermittler Kecal mit ziemlich geradlinigem, etwas blechernen Bariton, dabei gestaltet er die Partie souverän und mit entsprechender Bühnenpräsenz. Die clownesken Züge sind bei der Figurenzeichnung arg dominant geraten. Dmitry Ivanchef als stotternder Wenzel bleibt bei aller Souveränität tenoral leichtgewichtig, und auch hier ist die Rolle ziemlich konventionell angelegt. Von den Darstellern der kleineren Partien wird man niemanden in Erinnerung behalten. Anders der große Opernchor des Theaters (Einstudierung: Jens Bingert), der präzise, differenziert und klangschön singt.


FAZIT

Wenn man von der Inszenierung etwas Positives sagen möchte, dann wohl: Sie bewahrt vor folkloristischem Kitsch. Viel mehr leistet sie allerdings auch nicht. Von Jessica Muirhead abgesehen hinterlassen die Sänger keinen nachhaltigen Eindruck; grandios allerdings ist die orchestrale Seite der Aufführung.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Tomáš Netopil

Inszenierung
SKUTR
(Martin Kukučka,
Lukáš Trpišovský)

Bühne
Martin Chocholoušek

Kostüme
Simona Rybáková

Licht
Manfred Kist

Choreinstudierung
Jens Bingert

Dramaturgie
Svenja Gottsmann



Opernchor des Aalto-Theaters

Essener Philharmoniker


Solisten

Kruschina, ein Bauer
Peter Paul

Ludmilla, seine Frau
Bettina Ranch

Marie, beider Tochter
Jessica Muirhead

Tobias Micha, ein reicher Bauer
Karel Martin Ludvik

Hata, seine Frau
Marie-Helen Joël

Wenzel, beider Sohn
Dmitry Ivanchey

Hans, Michas Sohn aus erster Ehe
Richard Samek

Kezal, ein Heiratsvermittler
Tijl Faveyts

Direktor einer Wandertruppe
Rainer Maria Röhr

Esmeralda, Tänzerin
Christina Clark

Muff, Komödiant (Indianer)
Norbert Kumpf






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Da capo al Fine

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