Wäre Giuseppe Verdis Oper Il trovatore eine Kandidatin bei „Shopping Queen“ und Ben Baurs Inszenierung ein Kleid, würde das Urteil wohl lauten: „Das Kleid tut nichts für dich“. Metaphorisch gesprochen passten Kleid und Trägerin an diesem Saisoneröffnungs-Abend für meinen Geschmack einfach nicht so recht zusammen. Dabei sind Bühnenbild und Kostüme in ihrer 30er-Jahre-Optik wahnsinnig schön anzusehen; und auch das dekonstruktivistische Chaos der letzten beiden Akte wirkt durchaus ästhetisch. In dieser schönen Hülle bleibt allerdings die Personenführung – mit Ausnahme der Azucena – blass und das ohnehin schon verworrene Libretto wirkt noch komplizierter, da einige Szenen logische Lücken aufweisen. Denn warum ist beispielsweise Ferrando, eigentlich ein Soldat des Conte di Luna, plötzlich ein omnipräsenter, zwielichtiger Varieté-Boss und offenbar Verbündeter Azucenas? Und wie kann Leonora ihre Arie im vierten Akt vor dem Käfig, in dem Azucena gefangen ist, singen, wenn sie eigentlich vor dem Gefängnis hofft, zu Manrico gelassen zu werden? Abgesehen von diesen, und etlichen anderen, Fragen, die sich mir aufdrängten, empfand ich die vielen, sich beinahe permanent bewegenden Statisten, die zusätzlich zu den Sängern die Bühne bevölkerten, tendenziell als vom Wesentlichen ablenkend. Im Gegensatz zu einem als Repertoirebetrieb geführten Haus bleibt in Graz aber zumindest das (beruhigende) Wissen, dass eine Inszenierung, mit der man sich persönlich nicht so recht anfreunden kann, nur eine Saison lang am Spielplan bleiben wird. Und die musikalische Seite des Abends vermochte glücklicherweise mehr zu überzeugen.

Enrico Caruso soll gesagt haben, dass man für eine Aufführung des Trovatore nur die vier besten Sänger der Welt brauche. Ob dieses Wunder schon jemals einem Opernhaus gelungen ist, darf getrost bezweifelt werden; die Oper Graz kann sich nun zumindest rühmen, mit einer hervorragenden Azucena aufwarten zu können. Die kanadische Mezzosopranistin Nora Sourouzian wirkte zwar bei ihrer Auftrittsarie noch ein wenig zu brav, angesichts der Schauergeschichte von der sie singt, bestach aber von Beginn an mit einem von Wärme durchfluteten Timbre, bruchlosen Registerwechseln, aufregend dunkler Tiefe und strahlenden Höhen. Schon im Duett mit Manrico steigerte sie sich dann auch zu packender Intensität, sowohl in der stimmlichen, als auch in der darstellerischen Gestaltung. Ob mit zarten Piani in Momenten der Verzweiflung oder gleißender Attacke – Sourouzian zog bedingungslos in ihren Bann und schuf eine dreidimensionale Bühnenfigur, mit der man nicht anders konnte, als mitzufiebern.

Nicht ganz so beeindruckend, aber immer noch auf hohem Niveau, agierte Lana Kos als Leonora. Ihren dunkel timbrierten Sopran setzte sie in den Koloraturen und schwebenden Trillern sehr sauber ein, lediglich in der Höhe wurde die Stimme manchmal etwas eng. In langen Bögen hingegen blühte sie zu einem großen Farbenreichtum auf und besaß eine Durchschlagskraft, die man angesichts Kos' zierlicher Erscheinung nicht erwartet hätte. In der Darstellung blieb die Figur hingegen blass, ebenso wie der titelgebende Troubadour des Stefano Secco. Romantische Stimmung kam so gut wie keine auf, unter anderem auch deswegen, weil der Italiener keinen guten Tag erwischt haben dürfte. Man merkte ihm deutlich an, dass singen manchmal harte Arbeit ist. Auch wenn er sichtlich um eine differenzierte Gestaltung und Klangfarben bemüht war, wirkte die Stimme spröde und angestrengt. Ebenfalls nicht gänzlich überzeugend gestaltete Rodion Pogossov den Conte die Luna. Bühnenpräsent bewältigte er die Partie zwar in allen Lagen mühelos, ließ es aber an der nötigen Eleganz in der Stimme vermissen. Seine stärksten Momente hatte er in der Konfrontation mit Leonora im vierten Akt, in der sein Klang deutlich freier strömen konnte, als in den Akten zuvor.

Deutlich aufgewertet wurde, was das Darstellerische angeht, der Ferrando, der in dieser Inszenierung beinahe ständig auf der Bühne und am Geschehen beteiligt ist; für den stets präsenten und spielfreudigen Wilfried Zelinka wurde somit eine Steilvorlage gelegt. Und auch gesanglich überzeugte er mit seinem dunkel fließenden Bass und eleganter Phrasierung auf ganzer Linie. Eine ebenso tragende Rolle fällt dem Chor zu, angesichts dessen Klangschönheit und Präzision, die einen Schweizer Uhrmacher wohl neidisch machen würde.

Am Pult des bestens disponierten Grazer Philharmonischen Orchesters gab Andrea Sanguineti teils sehr straffe Tempi vor, was in den hitzigen Duellszenen ausgezeichnet funktionierte, die lyrischeren Passagen allerdings oft ihres Schmelzes beraubte. Äußerst differenziert war hingegen die dynamische Gestaltung des Dirigenten, der die Sänger nie in Bedrängnis brachte. Als gröber irritierend erwiesen sich für mich die eingeschobenen Takte aus der Ballettmusik des dritten Akts der französischen Version, die hier zwischen dem Zigeunerchor und Azucenas Arie im zweiten Akt erklangen, was die Dramaturgie der Szene störte.

Ein Abend mit so manchen Längen und Unschlüssigkeiten. Dass das opernbegeisterte Publikum in den kommenden Monaten trotzdem in Scharen in die Oper pilgern sollte, dafür sorgt Nora Sourouzian als Azucena, die man gehört haben muss.

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