Wer auf dem Trockenen sitzt

Beim Rossini-Festival in Pesaro spielt die Inszenierung der «Belagerung von Korinth» durch La Fura dels Baus auf einen möglichen Krieg um die Wasservorräte der Erde an.

Henning Klüver, Pesaro
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Entdeckungen am Rossini Opera Festival in Pesaro: Szene aus Gioachino Rossinis Oper «Le siège de Corinthe». (Bild: ROF/PD)

Entdeckungen am Rossini Opera Festival in Pesaro: Szene aus Gioachino Rossinis Oper «Le siège de Corinthe». (Bild: ROF/PD)

Eine Hitzewelle überzieht Südeuropa. Wälder verbrennen, Flüsse und Seen trocknen aus, und Wasser wird zu einer Kostbarkeit. Allmählich rückt ein beunruhigendes Szenarium mehr und mehr ins Bewusstsein: dass nämlich der nächste Weltkonflikt ein Krieg um die Ressource Wasser sein könnte. Wie sensibel Kunst und Kultur derartige Probleme vorwegnehmen können, war am Rossini Opera Festival (ROF) in Pesaro an der Adriaküste zu erleben.

Bei dem Traditionsfestival stand eine Neuinszenierung der Oper «Le siège de Corinthe» («Die Belagerung von Korinth») im Mittelpunkt. Roberto Abbado dirigierte das Italienische Rundfunkorchester der RAI, und Carlus Padrissa vom katalanischen Kollektiv La Fura dels Baus brachte die Handlung um einen türkisch-griechischen Konflikt eben als einen Krieg ums Wasser auf die langgestreckte Bühne der Adriatic Arena.

Gioachino Rossini schrieb das Werk 1826, als er seinen Lebensmittelpunkt von Italien nach Frankreich verlegte. Für «Le siège de Corinthe», seine erste Arbeit in französischer Sprache, arbeitete er einen Stoff um, den er bereits sechs Jahre zuvor unter dem Titel «Maometto II» in Neapel auf die Bühne gebracht hatte. Die Handlung dreht sich um eine dramatische Liebesbeziehung zwischen Mahomet, dem Anführer der Türken, und Pamyra, der Tochter des Kommandanten der Griechen – in Neapel waren es noch Venezianer. Hin- und hergerissen zwischen einer unmöglichen Liebe und patriotischen Gefühlen, wählt die junge Griechin am Ende den Freitod.

Unabhängigkeitskampf?

Die Inszenierung vor Mauern aus himmelblauen Wasserflaschen zeigt Griechen, denen das kostbare Gut langsam ausgeht, während die angreifenden Türken vergeudend damit umgehen. Der Bühnenboden wirkt wie ein Feld aufgebrochener Erdschollen. Doch bleibt diese interessante Idee vom Krieg ums Wasser im Ansatz stecken und überträgt sich nicht auf die Führung der Sängerinnen und Sänger. Die werden zudem im zweiten Akt von aufdringlichen Videoprojektionen zerfliessender Formen gleichsam an den Rand gedrängt. Und wo das Libretto eine grosse Balletteinlage vorsieht, verlässt sich die Regie bei meist nackter Bühne viele Minuten lang auf die Einblendung der Verse eines Poems von Lord Byron über den griechischen Unabhängigkeitskampf am Anfang des 19. Jahrhunderts, die merkwürdig mit den an dieser Stelle ganz festlichen Rossini-Klängen kontrastieren.

Es sind so das Orchester und die Sänger, die den Abend dennoch zu einem Triumph machen. Roberto Abbado, durch eine Armverletzung behindert, kann zwar nur mit der linken Hand dirigieren, doch führt er das Rundfunkorchester, das jetzt als Festivalorchester verpflichtet wurde, ausdrucksvoll durch die fesselnde Klangwelt dieser viel zu selten gehörten Rossini-Oper.

Nino Machaidze, die in Pesaro bereits vor zwei Jahren in «La gazza ladra» überzeugte, bringt als in den Feind verliebte Griechin Pamyra das Publikum mit filigranen Koloraturen zum Jubeln. Bravourös geben der Bariton Luca Pisaroni (Mahomet) und der Tenor Sergey Romanovsky als ebenfalls in Pamyra verliebter griechischer Hauptmann Néoclès ihr Festivaldebüt.

Von Pesaro um die Welt

Ungeachtet ihrer Widersprüche bestätigt diese Inszenierung die bestechende Grundformel des Festivals, das vor 38 Jahren gegründet wurde. Die Musikwissenschafter der Fondazione Rossini (Pesaro) erarbeiten nach und nach in Zusammenarbeit mit der Casa Ricordi (Mailand) die kritische Ausgabe der fast vierzig Operntitel des Komponisten.

Das Festival führt sie bei strenger musikwissenschaftlicher Treue und weitgehender Freiheit der Inszenierung auf. Nur so konnte lange vergessenen Arbeiten wie «Il viaggio a Reims», inszeniert 1984 unter der musikalischen Leitung von Claudio Abbado und in der Regie von Luca Ronconi, von Pesaro aus zu einer neuen Weltkarriere verholfen werden. Mehr noch: Durch das Festival wurde Rossini, der für lange Zeit nur als Autor weniger leichter Opern wie «Il barbiere di Siviglia» abgetan worden war, ebenso als ein Meister des ernsten Fachs, der «opera seria», wiederentdeckt. So mit «Le siège de Corinthe», dessen kritische Werkausgabe, erarbeitet von Damien Colas, jetzt herausgegeben wurde.

Daneben bot das Festival in diesem Jahr die Wiederaufnahme von Aufführungen von Opern wie «Torvaldo e Dorliska» (musikalische Leitung: Francesco Lanzillotta, Regie: Mario Martone) oder «La pietra del paragone» (Daniele Rustioni, Pier Luigi Pizzi). Und während Roberto Abbado die «Belagerung von Korinth» nur mit einer Hand dirigieren konnte, musste der Bass Carlo Lepore in «Torvaldo und Dorliska» den linken Arm, geschickt im Kostüm versteckt, nach einem Bruch in Gips tragen. Seiner überragenden stimmlichen Leistung als rebellischer Burgverwalter unter einem liebeshungrigen Herzog (Nicola Alaimo) tat das keinen Abbruch. Ihnen zur Seite stand die Sopranistin Salome Jicia, die die Rolle der Dorliska mit einer Begeisterung sang, dass das Publikum hingerissen war.

Ungewisse Zukunft

Ernst, halb ernst, komisch – auch in diesem Jahr unterstreicht das ROF seine herausragende Rolle für die Rezeption des Maestro aus Pesaro, der mit 37 Jahren nach fast vierzig Opern plötzlich verstummte und anschliessend bis zu seinem Tod im Alter von 76 Jahren nur noch Gelegenheitsarbeiten komponierte. Langsam kommt freilich auch das Festival in die Jahre: Der Mailänder Musikwissenschafter und Dirigent Alberto Zedda, der es Jahrzehnte lang als künstlerischer Leiter geprägt hatte und zudem mit einer dem Festival vorgeschalteten Sängerakademie für den notwendigen Nachwuchs im Belcanto-Fach gesorgt hatte, ist im Frühjahr gestorben.

Der inzwischen 84 Jahre alte Intendant Gianfranco Mariotti, der das ROF 1980 ins Leben gerufen hatte, wird die Leitung wohl in absehbarer Zeit abgeben. Wer ihm nachfolgen wird, ist offen. Die Stadt Pesaro mischt sich neuerdings stärker – auch politisch – in die Durchführung ein, was erfahrungsgemäss nicht unbedingt von Vorteil ist. Für das Rossini Opera Festival neigt sich ein Zyklus dem Ende zu.